Oblomow. Iwan Gontscharow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Iwan Gontscharow
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753126463
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daß er ihnen die entsprechenden Gegendienste leiste und an dem, was sie selbst interessierte, Anteil nehme. Sie fühlten sich unter den Menschen in ihrem Elemente; jeder von ihnen faßte das Leben auf seine Weise auf, so wie Oblomow es nicht auffassen wollte, aber sie zogen auch ihn in das Leben hinein: all das mißfiel ihm, stieß ihn ab, widerstrebte seinem ganzen Wesen.

      Nur ein einziger Mensch sagte ihm zu: auch dieser störte ihn in seiner Ruhe, liebte Neuigkeiten und die Gesellschaft und die Wissenschaft und das ganze Leben, aber in einer tieferen, wärmeren, aufrichtigeren Art als andere – und obgleich Oblomow gegen alle freundlich war, so war dies doch der einzige Mensch, den er von Herzen liebte, der einzige, dem er Vertrauen schenkte, vielleicht deshalb, weil er mit ihm aufgewachsen war, mit ihm zusammen die Schule besucht und mit ihm zusammen gelebt hatte. Das war Andrei Karlowitsch Stolz.

      Er war abwesend, aber Oblomow erwartete ihn stündlich.

      IV

      »Guten Tag, Landsmann!« sagte Tarantjew in barschem Tone und streckte Oblomow seine haarige Hand hin.

      »Warum liegst du denn zu dieser Tageszeit noch im Bette wie ein Klotz?«

      »Komm nicht so nah heran, komm nicht so nah heran; du kommst aus der Kälte!« sagte Oblomow und deckte sich fest mit der Bettdecke zu.

      »Was ist das für eine Idee: ›aus der Kälte‹!« schrie Tarantjew. »Wenn dir jemand die Hand gibt, dann nimm sie! Es ist bald zwölf, und er liegt noch im Bett!«

      Er wollte Oblomow vom Bette in die Höhe heben; aber dieser kam ihm zuvor, streckte schnell die Beine heraus und fuhr mit den Füßen gleichzeitig in beide Pantoffeln.

      »Ich wollte diesen Augenblick selbst aufstehen«, sagte er gähnend.

      »Ich kenne dich, wie du aufstehst: du hättest dich bis zum Mittagessen im Bette herumgerekelt. He, Sachar! Wo steckst du denn, alter Esel! Hilf mal schnell deinem Herrn beim Anziehen!«

      »Schaffen Sie sich erst Ihren eigenen Sachar an, und dann schimpfen Sie!« sagte Sachar, der ins Zimmer trat und Tarantjew grimmig anblickte. »Und wie Sie den Fußboden vollgetreten haben, wie ein Hausierer!« fügte er hinzu.

      »Er redet auch noch, der Unverschämte!« sagte Tarantjew und hob das Bein in die Höhe, um dem vorbeigehenden Sachar von hinten einen Tritt zu versetzen; aber Sachar blieb stehen, drehte sich nach ihm hin und machte sich zur Gegenwehr fertig.

      »Rühren Sie mich nur an!« rief er wütend mit seiner heiseren Stimme. »Was soll das heißen? Ich gehe wieder hinaus . . .« sagte er und ging wieder nach der Tür zurück.

      »So hör' doch auf, Michei Andrejewitsch; wie heftig du gleich bist! Warum reizt du ihn denn?« sagte Oblomow. »Gib mir meine Kleider her, Sachar!«

      Sachar kehrte wieder um und schlüpfte, nach Tarantjew hinschielend, hurtig an ihm vorbei.

      Oblomow stützte sich mit dem Ellbogen auf ihn, stand mit Selbstüberwindung wie ein sehr ermüdeter Mensch vom Bette auf, ging mißmutig zu einem großen Lehnstuhl, ließ sich in ihn hineinsinken und verharrte regungslos in der Haltung, wie er sich hingesetzt hatte.

      Sachar nahm von einem Tischchen Pomade, einen Kamm und eine Bürste, pomadisierte ihm den Kopf, machte ihm einen Scheitel und frisierte ihn dann mit der Bürste.

      »Wollen Sie sich jetzt auch waschen?« fragte er.

      »Ich will noch ein bißchen warten«, antwortete Oblomow. »Geh nur wieder nach deiner Stube.«

      »Ach, sind Sie auch da?« sagte Tarantjew auf einmal, sich zu Alexejew wendend, während Sachar seinen Herrn frisierte. »Ich hatte Sie gar nicht gesehen. Weshalb sind Sie denn hier? Aber was ist Ihr Verwandter für ein gemeiner Kerl! Ich hatte es Ihnen schon sagen wollen . . .«

      »Was für ein Verwandter? Ich habe gar keinen Verwandten«, antwortete der bestürzte Alexejew schüchtern und sah Tarantjew mit großen Augen an.

      »Na, der, der hier ebenfalls angestellt ist, wie heißt er doch? . . . Afanasjew heißt er. Wie sollte er denn nicht Ihr Verwandter sein? Natürlich ist er Ihr Verwandter.«

      »Ich heiße ja aber nicht Afanasjew; ich heiße Alexejew«, erwiderte Alexejew. »Ich habe keinen Verwandten.«

      »Na, daß das nicht ein Verwandter von Ihnen ist! Er sieht ebenso unansehnlich aus wie Sie und heißt ebenfalls Wasili Nikolajewitsch.«

      »Bei Gott, er ist nicht mit mir verwandt! Ich heiße Iwan Alexejewitsch.«

      »Na, ganz egal, er hat mit Ihnen Ähnlichkeit. Aber er ist ein gemeiner Kerl; das können Sie ihm wiedersagen, wenn Sie ihn sehen.«

      »Ich kenne ihn nicht und habe ihn nie gesehen«, sagte Alexejew und öffnete seine Tabaksdose.

      »Geben Sie mir mal eine Prise!« sagte Tarantjew. »Haben Sie da nur gewöhnlichen Schnupftabak, keinen französischen? Wahrhaftig«, fuhr er fort, nachdem er geschnupft hatte; »warum haben Sie keinen französischen?« fügte er dann in strengem Tone hinzu.

      »Ja, so ein gemeiner Kerl wie Ihr Verwandter ist mir noch nie vorgekommen«, fuhr Tarantjew fort. »Da habe ich mir einmal (es wird jetzt schon zwei Jahre her sein) fünfzig Rubel von ihm geborgt. Na, fünfzig Rubel, ist das etwa eine große Summe? Man möchte meinen, das könnte er doch wohl vergessen. Aber nein, er denkt daran: alle Monat, wo er mich nur trifft, sagt er: ›Wie steht es denn mit Ihrer Schuld?‹ Der Mensch wurde mir wirklich langweilig. Und damit nicht genug: gestern kam er zu uns ins Ministerium und sagte: ›Sie haben gewiß Ihr Gehalt bekommen; jetzt könnten Sie mir das Geld zurückgeben.‹ Ich gab ihm mein Gehalt hin; aber dann habe ich ihn vor aller Ohren so madig gemacht, daß er kaum die Tür fand. ›Ich bin ein armer Mensch‹, sagte er, ›ich habe das Geld selbst nötig!‹ Als ob ich es nicht nötig hätte! Bin ich denn ein reicher Mann, daß ich ihm immer fünfzig Rubel hinspucken kann? Gib mir eine Zigarre, Landsmann!«

      »Die Zigarren sind dort, in dem Kistchen«, antwortete Oblomow, nach einer Etagere zeigend.

      Er saß nachdenklich in der ihm eigenen schönen, trägen Haltung auf dem Lehnstuhl, ohne zu bemerken, was um ihn herum geschah, und ohne zu hören, was gesprochen wurde. Liebevoll betrachtete und streichelte er seine kleinen weißen Hände.

      »Ach herrje! Sind das immer noch dieselben?« fragte Tarantjew in strengem Tone, indem er eine Zigarre herausnahm und Oblomow anblickte.

      »Ja, es sind dieselben«, antwortete Oblomow mechanisch.

      »Und ich habe dir doch gesagt, du möchtest andre kaufen, ausländische! Du merkst dir immer gar nicht, was man dir sagt! Also sorge dafür, daß am nächsten Sonnabend unbedingt welche da sind, sonst werde ich lange Zeit nicht mehr zu dir kommen. Nun seh einer, was das für ein Schund ist«, fuhr er fort, nachdem er die Zigarre angezündet und eine Rauchwolke in die Luft geblasen, eine zweite eingesogen hatte. »Gar nicht zu rauchen!«

      »Du bist ja heute so früh gekommen, Michei Andrejewitsch«, sagte Oblomow gähnend.

      »Du bist meiner wohl überdrüssig, ja?«

      »Nein, ich meinte nur so; du kommst sonst gewöhnlich erst unmittelbar vor dem Mittagessen; jetzt ist es aber erst zwölf durch.«

      »Ich bin absichtlich früher gekommen, um mich zu erkundigen, was es bei dir heute zu Mittag geben wird. Du fütterst mich immer mit so elenden Gerichten, daß ich fragen möchte, was du heute zu machen angeordnet hast.«

      »Frage doch dort, in der Küche«, antwortete Oblomow.

      Tarantjew ging hinaus.

      »Aber ich bitte dich«, sagte er, als er zurückkam: »Rindfleisch und Kalbsbraten! Ach, Bruder Oblomow, du verstehst nicht zu leben, und dabei bist du doch Gutsbesitzer! Ist das ein Leben für einen adligen Herrn? Du lebst ja wie ein Kleinbürger und verstehst es nicht, einen Freund zu bewirten! Na, ist Madeira gekauft?«

      »Ich weiß es nicht; frage Sachar«, erwiderte Oblomow, der fast gar nicht nach ihm hinhörte.