Nachbarschaft mit kleinen Fehlern. Elisa Scheer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisa Scheer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753134857
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Kissen gelümmelt. Aber so? Der Klappsessel war keine Alternative.

      Dann baute sie eben die Sitzbank zusammen! Ganz ordentlich, mit extra noch einmal nachgezogenen Schrauben. Wackelte kein bisschen! Und sie sah im Flur neben dem Garderobenständer wirklich gut aus. Die Stoffkörbe in Gelb passten genau zum Garderobenständer und nahmen Schuhe, Handschuhe und allen übrigen Flurkram auf, so dass es hier sehr ordentlich aussah. Fast wie im Katalog! Nein, besser – im Katalog waren die Zimmer immer recht überladen und voller Schnickschnack. Das gefiel ihr gar nicht.

      Sie faltete einen Teil der Verpackung zusammen und trug das Zeug nach unten, um es in der Papiertonne zu versenken.

      Im Hof traf sie auf eins der schwarzgekleideten Mädchen, aber nicht die, die die Ohrfeige bekommen hatte. Das glaubte sie wenigstens. Sie lächelte freundlich und das Mädchen erwiderte das Lächeln etwas gezwungen und sagte: „Du siehst gestresst aus, möchtest du dich nicht entspannen?“ Der Tonfall wirkte unecht, als spulte sie einen auswendig gelernten Spruch ab. Amelie lehnte freundlich ab.

      „Du musst deine Mitte finden“, wurde im gleichen lustlosen Ton beharrt.

      „Sie sehen mir nicht so aus, als hätten Sie Ihre Mitte schon gefunden. Und heißt es nicht eigentlich innere Mitte?“

      Das Mädchen fuhr zusammen und sah sich ängstlich um. „Bekommen Sie Ärger, wenn Sie keine neuen Kunden anwerben können?“

      „Kunden sagen wir nicht. Wir wollen den Menschen helfen, ihr Potenzial zu erkennen und entspannter zu leben.“

      „Das sollten Sie nicht so sagen, als hätten Sie das auswendig gelernt - so klingt es, als glaubten Sie selbst nicht daran. Und ganz ehrlich, ich habe mein Leben gut im Griff und lebe vollkommen entspannt. Also habe ich kein Interesse an irgendwelchen Psychoangeboten, vielen Dank.“

      „Wieso denn Psycho? Wir bieten spirituelle Hilfe!“

      „Danke schön, ich braucht keine Hilfe. Und ganz ehrlich, ihr macht es ja wohl kaum gratis, oder?“

      „Äh – nein. Aber solche Kurse kosten doch überall Geld? Und sie sind es doch auch wert?“

      „Das erinnert mich zu sehr an Scientology, die machen auch einen auf spirituelle Religion und wollen in Wahrheit nur Geld scheffeln. Also noch mal, nein danke! Überlegen Sie lieber, ob Sie gerne in dieser Sekte leben.“

      Damit eilte Amelie ins Haus zurück und hinauf in ihre Wohnung. Das arme Mädchen – die wurde doch dazu gezwungen, andere Leute mit diesem Quatsch zu belästigen!

      Sie hatte einmal eine Dokumentation über Scientology gesehen und sich notdürftig gemerkt, mit welchen Tricks da gearbeitet wurde. Wetten, hier lief das auch nicht anders ab?

      Und wer sackte dann das Geld ein? Diese Hellgrauen, da war sie sich sicher. Vielleicht sollte man da mal den Sektenbeauftragten anspitzen?

      Gleich mal passende Adressen googeln!

      Sie fand auch gleich eine geeignete Stelle und schrieb denen eine lange Mail, wobei sie auch die Ohrfeige – in aller Öffentlichkeit, diesen Kerlen war ja wohl nichts peinlich! – nicht verschwieg. Zufrieden klickte sie auf Senden: gut gepetzt!

      Die verdienten es ja wohl auch nicht besser… und nachher würde sie noch die restlichen Pappen wegbringen

      7 Samstag

      „Ruhe und Frieden, himmlisch“, seufzte Ben wohlig und streckte sich hinter seinem Schreibtisch. Anne fasste ihn streng ins Auge. „Und da bist du ganz sicher, ja?“

      Katrin kicherte. „Da wäre zunächst mal Bens Schreibtisch.“

      „Es gibt Wichtigeres. Habt ihr beide den Fall Manuela Schermann vergessen?“

      Ben und Katrin sahen beide etwas verblüfft drein; Ben fasste sich etwas schneller: „Aber das war doch ein Selbstmord? Die hat sich doch irgendwo in Selling aufgehängt?“

      „Richtig. An einem Baum hinter dem Supermarkt an der Düsseldorfer Straße. Aber Julia Engelhorn hat sich die Verletzungen am Hals noch mal genauer angeschaut und Indizien für Fremdverschulden gefunden. Das heißt, wir sollten doch davon ausgehen, dass wir zu ermitteln haben.“

      „Schon klar“, resignierte Katrin. „Wo hat die denn gleich wieder gewohnt? Und was gearbeitet?“

      Anne grinste. „Sehr brav. Das kriegst du bitte gleich mal raus, ja? Und Ben informiert uns über den familiären Hintergrund?“

      Beide wandten sich ihren Rechnern zu und Anne vertiefte sich erst einmal in die dünne Akte, die vorsichtshalber angelegt worden war, bevor sie sie wohl etwas verfrüht wieder geschlossen hatten. Also, Selling, vor zwei Wochen genau. Gefunden hatte sie der Filialleiter, als er morgens Lieferungen hereinholen wollte. Der LKW war zwar nahe an den Hintereingang herangefahren, aber der Mann hatte am Wagen vorbei doch über den Parkplatz und in die Baumreihe dahinter blicken können – und da hatte sie an einem der Bäume gehangen.

      Warum ausgerechnet da? Wollte man bei einer so endgültigen Aktion nicht eher ungestört sein? Kamen dort nicht auch nachts immer wieder Leute vorbei? Immerhin war die Düsseldorfer Straße die Sellinger Einkaufsmeile und es gab dort auch einige Lokale. Und Leute, die containern wollten, gab es hier garantiert auch.

      Hatte die Schermann mit dem Supermarkt etwas zu tun gehabt?

      „Habt ihr schon was?“

      Katrin sah auf. „Gewohnt hat sie zu der Zeit im Dortmunder Weg. Nummer vier. Ob alleine oder mit Freund oder in einer WG, kann ich hier nicht sehen. Ist in der Akte gar nichts?“

      „Nein“, gab Anne ärgerlich zu. „Da haben die von der Bereitschaft und auch wir uns wohl viel zu früh geschlagen gegeben, peinlich. Ich hab hier einen windigen Bericht von der Auffindesituation, dann etwas Vorläufiges von Julia, grobe Todeszeit und Strangmarken – und sonst nichts. Habt ihr was zum Arbeitsplatz?“

      „Nein. Ben?“

      „Nö. Aber etwas über die Familie. Andreas Schermann, also der Vater, hat eine kleine Firma für Nahrungsergänzungsmittel. Studierter Chemiker. Seine Frau ist Innenarchitektin, arbeitet aber nur für Freunde und ausgewählte Kunden, recht entspannt offenbar. Drei Kinder, Manuela war die Jüngste. Die Eltern wohnen… ach ja, Clementinenweg. Wo ist das?“

      „Nördliches Waldburgviertel. Schöne Gegend. Warum wohnt die Tochter dann in Selling?“

      „Papa zahlt nicht besser?“

      „Eltern sind Kapitalisten, sie will einen Akzent dagegen setzen?“

      „Sie steht auf die Fünfziger?“

      „Sie könnte auch Minimalistin sein“, versuchte Ben noch einen draufzusetzen.

      Katrin grinste zu ihm hinüber: „Und was, wenn sie in Selling eine vollgestopfte Vierzimmerwohnung hat?“

      Er streckte ihr kurz die Zunge heraus.

      „Kindergarten“, murmelte Anne. „Gut, bis auf das letzte kann alles möglich sein… halt, Moment, ich hab einen Bericht vom Gespräch mit den Eltern gefunden. Wer hat den verkehrt herum gefaltet eingeheftet?“

      „Der Kurti?“, schlug Katrin vor und grinste breit.

      „Dachte ich auch gerade, aber das dürftige Ding war noch gar nicht im Archiv. Nein, das war irgendjemand hier oben…“

      „Wir nicht!“

      „Nein, wir nicht. Aber auf die Frage, wer das versaubeutelt hat, konzentrieren wir uns jetzt nicht. Wer könnte das Mädel umgebracht haben, heißt die Frage! Nicht so plump, natürlich.“

      Sie entfaltete den Bogen. „Handschriftliches Protokoll… wer war das bloß? Egal. Also, Mutter jammert, das waren diese Gestörten. Vater sagt Was die schon alles von Manus Geld bekommen haben!