Nachbarschaft mit kleinen Fehlern. Elisa Scheer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisa Scheer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753134857
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fand zwar nicht den Katalog, aber einiges, was in den Müll gehörte, also sammelte sie das alles ein, fand, dem Sozialladen im Wertstoffhof sei das auch nicht mehr zuzumuten, und lief nach unten, um es im Restmüll zu versenken.

      Die Rückfront der Wäscherei sah so aus, wie man sich das vorstellte; ein Gebläse beförderte diesen typischen Chemiegeruch in den Hof und hinter einem Fenster sah man gereinigte Ballkleider an einer Kleiderstange.

      Jede Reinigung hatte so etwas – gingen die Leute wirklich so oft auf Bälle? Gab es überhaupt so viele Bälle? Oder waren die Kleider seit Jahren die gleichen und sollten nur zeigen Seht her, wie toll wir sogar sowas reinigen?

      Auf der anderen Seite der Hofdurchfahrt war die Rückseite des Silver Centre zu sehen. Blöder Name, er klang wirklich, als könne man hier unnützes Silberbesteck verkaufen.

      Auch hier hatten sie diesen hässlichen Sichtschutz – eigentlich komisch, überlegte sie, neben der schwarzen Tonne stehend und den Schlüsselbund in der Hand, wäre es nicht netter, man sähe einen hübschen Meditationsraum, entspannte Leute, die sich mit Namaste begrüßten? Dazu vielleicht eine Liste, was so angeboten wurde? Klangschalentherapie, Rebirthing und was es alles so gab? Oder war das ein ganz anderes Geschäftsmodell?

      Die Hintertür öffnete sich und ein Mann, dieses Mal in einer blassgrauen Kutte, wandelte in den Hof; anders konnte man diesen zugleich würdevollen und entspannten Gang nicht nennen, denn er wirkte wie ein antiker Philosoph. Sie lächelte: wie einer von Marcos Kunden?

      Der Blassgraue warf ihr einen misstrauischen Blick zu und schwieg, als sie höflich Grüß Gott sagte.

      Ach herrje, fühlte er sich von einer religiösen Floskel angegriffen? War Grüß Gott nicht neutral genug? Na, wenn er so albern war: „Guten Tag“?

      Immer noch keine Reaktion.

      Unhöflich oder schlicht schwerhörig?

      Aber wie eine Idiotin hier herumplärren wollte sie nun auch nicht. Und hatte die Frau an der Kasse im Drogeriemarkt nicht gesagt, die Leute wären seltsam?

      Als sie wieder zum Durchgang eilte und sich dort noch einmal kurz umsah, spähte der Mann in die gelbe Tonne. Er hatte doch gar nichts in der Hand gehalten? Wollte er kontrollieren, ob auch niemand etwas Falsches hineingeworfen hatte? Was ging ihn das an?

      Nein, das war Quatsch, tadelte sie sich im Treppenhaus, Mülltrennung war schon wichtig. Und wenn sie jemanden sähe, der Plastikverpackungen in den Restmüll warf, würde sie doch auch was sagen, oder?

      Auf jeden Fall waren die blöd. Und sie würde jetzt noch ein bisschen durch die Geschäfte bummeln, die sie noch nicht inspiziert hatte!

      Selling war wirklich ganz nett, musste sie zugeben. Gut, der Optiker war (noch) uninteressant und der Jeansladen hatte grausiges Zeug im Fenster, aber der Haushaltswarenladen hatte ja gestern schon gezeigt, dass er viel zu bieten hatte. Der Supermarkt war gut sortiert; sie holte sich einen Napf Wurstsalat und zwei Brezen und ärgerte sich kurz, dass sie keine Tupperdose mitgenommen hatte, um Müll zu vermeiden.

      Einen Wachszieher gab es hier auch? Waren die Leute hier so fromm (im Schaufenster gab es neben Kommunionskerzen auch Kruzifixe und Heiligenfiguren) oder fiel hier so oft der Strom aus? Kerzen in allen Größen, Farben und Verzierungen!

      Als nächstes gab es Tierfutter, Wolle und Handarbeitskram, eine Apotheke (auch nicht schlecht), einen Pizzaservice, eine Videothek (dass so etwas noch Kunden anzog?), den Fahrradreparaturservice Garbrecht… oh, und in einer Nische einen richtigen Obstwagen! Wie hinter der Uni! Toll!

      Sie kaufte sich Trauben und drei sehr verlockende Birnen und schlenderte gemütlich zurück. Morgen ein reines Obstfrühstück? Das war doch supergesund? Und dann zum IKEA…

      Vor dem Haus standen zwei schwarze Mädchen, ein dunkelgrauer Mann und ein hellgrauer Mann und schienen sich erbittert zu streiten, jedenfalls schrieen sie sich an.

      Amelie blieb einen Moment lang stehen, um ihren Schlüsselbund herauszukramen und die merkwürdigen Gestalten aus dem Augenwinkel zu beobachten, da wurde sie prompt angeschnauzt: „Gehen Sie gefälligst weiter!“

      „Nein. Ich wohne hier. Streiten Sie sich doch gefälligst drinnen, wenn Sie Geheimnisse haben!“

      „Werden Sie nicht unverschämt!“ Das war der Hellgraue.

      „Ich hab doch nicht angefangen! Und ich wüsste nicht, warum Sie das Recht haben sollen, andere Leute schwach anzureden. Sind Sie vielleicht die Polizei? Und sogar da würde ich ein Mindestmaß an guten Manieren erwarten, solange ich mich nicht strafbar gemacht habe.“

      „Wie reden Sie denn mit mir?“ Er trat etwas näher.

      „Wie man in den Wald hineinruft…“

      „Sie wissen wohl nicht, wer ich bin?“

      „Einer von diesen Sektenfuzzis, sieht man doch!“

      „Oh…!“ Er trat noch näher und Amelie verschwand hastig im Haus und drückte von innen die Tür zu.

      Oben schlich sie auf ihren Balkon und linste verstohlen nach unten – die stritten sich schon wieder! Und der blöde Dunkelgraue ohrfeigte doch glatt eins der Mädchen, woraufhin der Hellgraue wiederum mit ihm zu streiten anfing.

      Soweit war es bei denen mit Liebe, Harmonie und Entspannung also auch nicht her… Ohrfeigen gingen ja wohl gar nicht!

      Das andere schwarzverkleidete Mädchen tat gar nichts, sondern stand nur mit demütig gesenktem Kopf daneben, sie tröstete nicht einmal ihre Glaubensschwester (konnte man dieses Wort hier wohl verwenden?), die ganz offensichtlich weinte – jedenfalls wischte sie sich immer wieder über die Augen.

      Amelie verspürte eine starke Lust, den Mädchen zu raten, einfach wegzugehen. Das war doch wohl nicht wie ein Kloster – und auch dort konnte man doch sagen Ich will nicht mehr Nonne sein? Den Habit ablegen, nannte man das nicht so?

      Sie würde sich jedenfalls nicht so schikanieren lassen, das war mal sicher!

      Aber diese alberne Sekte konnte ihr ja wohl völlig gleichgültig sein. Viel wichtiger war die Frage, wie sie diesen Balkon einrichten sollte – Blumen? Passend zur Fassade? Einen gemütlichen Sessel und einen passenden Tisch? Aus dem Baumarkt? Oder auch von IKEA?

      Morgen vielleicht…

      Diese Sektentypen brauchen bestimmt nie Möbel, die hatten einfach jeder eine Matratze. Zumindest sah es bei Sekten, die im Fernsehen vorkamen, gerne so aus. Ach ja, und keinerlei Privatbesitz!

      Und warum wohl diese Schwarzgrau-Töne? Gab´s da eigentlich auch einen, der weiß trug? Wie der Papst? Oder wie so ein Guru oder Swami oder wie immer man die Obersten da so nannte?

      Sie wollte doch gar nicht mehr darüber nachdenken!

      Lieber räumte sie ihre Wohnung jetzt endgültig auf – die Regale konnten noch übersichtlicher gestaltet werden, sie hatte noch nicht überlegt, wo sie die leider immer noch nicht völlig vermeidbaren Abfälle schön getrennt sammeln wollte und was sie am besten in den Flur stellen konnte.

      Ganz kahl war ja auch nichts. Einen Garderobenständer vielleicht, einen wie aus den ganz alten James-Bond-Filmen? Und ein kleines Regal für Schuhe, Taschen, Schals und Handschuhe? In Körben versteckt. Und das kleine Regal so stabil, dass man sich zum Stiefelanziehen auch darauf setzen konnte. Genau, vielleicht noch mit einem Kissen darauf. Alles in – gelb?

      Sie liebte Gelb eben und so schlecht passte es wirklich nicht zu Kiefernholz.

      Am besten machte sie sich für morgen eine Liste.

      Und in der Küche brauchte sie einen freien Unterschrank, wenigstens mit zwei Eimern oder so für Verpackungen und Altpapier. Restmüll müffelte einfach zu schnell!

      Sie schaute in alle Unterschränke und entdeckte sogar zwei, in denen noch gar nichts stand. Und wenn sie sich im Haushaltswarenladen zwei passende Eimer holte, gelb und blau, am besten viereckig? Das würde sie jetzt machen!

      Das