„Sie singen auch manchmal?“
„Lieber Himmel, nein! Ich bin ganz unmusikalisch, ich darf nur Leute wegen der Kurse ansprechen und Wäsche waschen. Kochen kann ich nämlich auch nicht.“ Sie lächelte entschuldigend.
„Was reizt Sie eigentlich an dieser Sekte? Ist das wirklich so viel besser, als draußen zu wohnen und einen vernünftigen Job zu haben?“
„Ich weiß es nicht so genau, aber ich fühle mich hier schon geborgen. Es gibt klare Strukturen, das gefällt mir schon ganz gut. Als ich hier reingekommen bin, hatte ich gerade mein Studium abgebrochen, das war alles nicht das Richtige. Na, und da wusste ich jetzt nicht so genau, wie es weitergehen sollte, verstehen Sie? Und ein Mädchen sagte, ich sollte doch erst einmal in mich hineinhorchen, um herauszufinden, was ich wirklich will. Das fand schon ich ganz vernünftig. Und weil ich kein Geld hatte, hab ich halt hier gearbeitet. Das mache ich immer noch.“
„Das Geld wird hier also mit diesen Kursen verdient?“
„Ja, genau. Also – ja. Womit denn sonst?“
„Sagen Sie es mir!“
„Also, das Singen kann es nicht sein. Wie gesagt, da kommt nicht viel rum. Und sonst? Nein, da fällt mir nichts ein.“
„Nun gut.“ Anne erhob sich. „Vielleicht komme ich noch mal wieder, aber für den Moment war´s das.“
Katrin stand schon auf dem Gang und sah drein, als wollte sie gegen die Wände treten. „Ich sag dir, diesem Drecksack sollten wir irgendwas anhängen. So ein Arsch!“
„Psst. Komm nach draußen und erzähl mir alles in Ruhe.“
Katrin schmetterte aber wenigstens die Tür nach draußen ordentlich hinter sich ins Schloss. „So, jetzt geht´s mir schon wieder besser! Weißt du was? Der hat versucht, mich anzumachen!“
„Handgreiflich?“ Anne sah wütend zum Silver Centre zurück.
„Nicht ganz, dann hätte ich mich so wehren können, dass er mit gebrochenem Kiefer und gequetschten Eiern länger liegen müsste…“
„Schönes Bild – aber du missbrauchst deine Polizeigewalt bitte nicht!“
„Weiß ich doch. Aber all dieser Mist – ob ich meine Bedürfnisse nicht kenne, ob ich in einem solchen Beruf wirklich meine Weiblichkeit ausleben könnte – ist es dir schon mal passiert, dass jemand mit so einer Schleimstimme „Weiblichkeit“ sagt und dir dabei ganz ungeniert auf den Schritt starrt?“
„Starker Tobak! Ich gebe dir Recht, der wird akribisch durchleuchtet. Also, die Schermann war kurz hier. Haben die sie umgebracht oder mit ihrem Quatsch eine Psychose ausgelöst oder was?“
„Ich denke, Julia sagt, die Spuren passen nicht zum Selbstmord?“, wandte Katrin ein.
„Ja, stimmt. Kein Selbstmord. Hm… ich denke, wir recherchieren mal, diese Sekte kommt mir nämlich sehr dubios vor. Und ich will alles über Manuela Schermanns Familie und irgendwelche Exfreunde wissen. Komm, wir fahren zurück.“
„Müssen wir das alles noch heute machen? Du hast doch gesagt, es ist Samstag?“
„Nein. Ich rufe kurz bei der Familie an und kündige unseren Besuch am Montag an. Dann sieht es nicht aus, als täten wir nichts, aber natürlich wollen wir die Schermanns nicht am heiligen Wochenende belästigen, nicht wahr?“
„Natürlich nicht!“ Katrin erwiderte das breite Grinsen.
Im Präsidium konnte sie dann bewundern, mit welch rücksichtsvollem, geradezu einfühlsamem Tonfall Anne der trauernden Familie ihren Besuch am Montagvormittag ankündigte und dabei auch gleich erfuhr, dass die Schwester Victoria in Henting wohnte, der Bruder, Benedikt, aber in Hamburg; er hatte nur vor kurzem bei seinen Eltern im Clementinenweg geweilt, wegen des Schicksalsschlags. Anne deutete vorsichtig an, dass man mit der Selbstmordtheorie bei der Kriminalpolizei nicht so ganz zufrieden war, und hörte einen Seufzer der Erleichterung und dann leises Weinen. Schließlich entschuldigte sich Frau Schermann für den – nur zu verständlichen – Gefühlsausbruch und verabschiedete sich.
Anne sah Katrin an. „Bitter, wenn du dein Kind verlierst! Anscheinend war sie aber ganz froh, dass es kein Selbstmord war.“
„Finde ich nachvollziehbar“, antwortete Katrin nachdenklich. „Schau, wenn sich jemand umbringt, den du gut gekannt hast, fragst du dich dann nicht, ob du das hättest erkennen müssen, ob du etwas hättest tun können oder müssen – ob du vielleicht eine Schuld daran hast? Was hab ich falsch gemacht, sozusagen? Aber bei einem Mord kannst du ja nichts dafür…“
Anne nickte. „Ja, da hast du wohl recht – aber schön ist so ein Mord auch nicht, nur weil ein anderer Schuld hat. Mal sehen, was am Montag rauszukriegen ist. So, und jetzt gehen wir heim… wo ist Ben eigentlich?“
Bens Schreibtisch war picobello aufgeräumt, auf der grauen Platte lag nur ein Zettel, auf dem stand: Keine Anrufe, Akten im Archiv, im Netz fast nichts über den Fall Schermann. Gehe heim.
Angeheftet waren einige Ausdrucke von Zeitungsartikeln, in denen aber außer Spekulationen auf den ersten Blick nichts zu finden war.
„Komm, wir gehen auch. Ich schnüffle vielleicht später diesem Silver Centre hinterher. Aber erst muss ich endlich mal was zu essen kaufen!“
9 Samstag
Greta saß auf ihrer Schlafmatte und dachte nach. Diese Manuela… wann war die genau gegangen? Warum eigentlich? Hatte es ihr hier nicht gefallen? Hatten die Kurse, die Entspannungsübungen, die Meditation ihr nicht geholfen? War jemand unfreundlich gewesen? Vielleicht Hari? Aber der war halt so, der meinte es nicht so. Vielleicht war es so sogar besser. Hari war ja so etwas wie ein Geistlicher, die sollten vielleicht gar nicht übermäßig charmant sein? Gut, Pranesh war freundlicher, der hatte auch eher den Part der Seelsorge, wenn man in den Begriffen der katholischen Kirche sprechen wollte. Dann war Hari wohl so etwas wie ein strenger Kardinal… Sie kicherte unwillkürlich. Und Silver wäre dann ein Papst? Nein.
Wenn er sich einmal blicken ließ und so verträumt durch die Räume schwebte, hatte er eher etwas von einem Engel. Nicht von dieser Welt. Und wenn man gelegentlich einmal zu ihm geführt wurde, war es tatsächlich, als träte man vor einen Gott, und man fühlte sich hinterher irgendwie – naja – erhaben? gesegnet? Jedenfalls fühlte man sich – besser. Eigentlich merkwürdig…
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Rosi Högl hatte alles beobachtet, von der Ankunft dieser beiden Frauen – die sahen irgendwie aus wie die Kripo in den Vorabendserien – bis zu ihrem Abgang. Von dem Türenknallen wackelte beinahe das Haus! Na, diese komischen Leute, diese Pseudo-Mönche, konnten einen auch wirklich ärgern!
Wenn man sie traf, vor dem Haus oder im Treppenhaus, dann sahen sie durch einen hindurch, als seien sie über gewöhnliches Volk erhaben. Arrogantes G´schwerl…
Jedenfalls sie und den Greifenklau schauten sie immer so an. Die Schmalzl und die Behnisch eigentlich auch? Waren die nur an jungen Dingern interessiert? Man hatte ja über solche Leute schon viel gelesen, nicht wahr?
Was die Polizei bei denen wohl gewollt hatte?
„Tät mich schon interessieren“, murmelte sie und ließ ihren Parkettboden gleich noch energischer ein.
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Anja spielte mit ihrem Sohn; sie stapelte zwei Bauklötze aufeinander und Luca warf den kleinen Turm vergnügt krähend wieder um. Davon bekam er offenbar nie genug. Immerhin wartete er nach einiger Zeit schon, bis sie einen dritten Baustein obendrauf gesetzt hatte, und zerstörte den Turm dann erst. Etwas mechanisch baute Anja den Turm immer wieder auf, während sie überlegte, wer da wohl nebenan eingezogen war.
Ein gutes Haus, das musste man sagen. Solide. Dicke Wände. Hier musste man