Elfenkind. Daniela Baumann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Daniela Baumann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753166094
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und in die Freiheit entlassen konnte. Ja, daran dachte er immer zuerst, denn das hatte Kristina ausgemacht. Ihre Liebe zu Tieren, zu allen Lebewesen und zur Natur.

      Als er das Rauschen der Wasserfälle hören konnte, richtete Steven seine Aufmerksamkeit zurück auf die Umgebung. Seine Stute hatte den Weg in deutlich kürzerer Zeit als er selbst früher zurückgelegt, und ihm war nicht einmal aufgefallen, wie weit sie schon waren. Sie mussten den Platz, an dem das Waisenhaus früher stand, schon hinter sich gelassen haben, ohne dass er es bemerkt hatte. Später, auf dem Rückweg, würde er nochmal danach sehen, ihn reizte zu wissen, was daraus geworden war.

      Er wollte auf dem Rückweg zur Ranch über Flagstaff reiten, um sich nach Mrs. Duncan zu erkundigen. Dann könnte er ein Stück mit der Bahn fahren und Silva schonen. Doch vorher blieb er eine Weile bei den Wasserfällen, er wollte hier in gewisser Weise Abschied von Kristina nehmen. Er würde sie nie vergessen und wahrscheinlich auch ohne sie nie richtig glücklich werden, aber er schwor sich, ihr nicht noch länger nachzutrauern, sondern die Zeit, die er mit ihr gemeinsam gehabt hatte, in guter Erinnerung zu behalten. Er war sicher, Kristina würde nicht wollen, dass er trauerte. Sie war immer ein fröhlicher Mensch gewesen. Nicht einmal die anderen Kinder, die sie ausschlossen, konnten das ändern.

      Steven sprang von Silvas Rücken und ließ sie laufen, sie würde sich Futter und Wasser suchen und in seiner Nähe bleiben. Auch wenn sie eigentlich ein wildes Pferd war, in einer Mustangherde aufgewachsen, sie war ihm treu. Darauf konnte er sich verlassen. Also setzte er sich an die Uferböschung und hielt seine Füße ins Wasser, nachdem er seine Stiefel ausgezogen hatte. Selten war er so entspannt wie gerade, auf der Ranch musste er fast immer hochkonzentriert sein.

      Jetzt erlaubte er sich, seinen Gedanken nachzuhängen. Wieder und wieder drifteten sie zu Kristina. Ein wenig Hoffnung gab es in ihm, dass sie überlebt haben könnte, wenn sie mit den Indianern gegangen war. Inzwischen musste sie etwa zwölf Jahre sein, fiel ihm ein. Wie sie jetzt wohl aussah? Wurde ihre Figur weiblicher, oder blieb sie so zierlich wie früher? Könnte er sie überhaupt noch erkennen?

      Doch, er würde sie erkennen, war er sicher. Selbst wenn sich ihr Aussehen verändert hatte, aber die Augen waren einmalig. Wie oft hatte er sich gewünscht, einfach nur in diese Augen sehen zu können, ohne ein schlechtes Gewissen dabei zu haben? Die Erwachsenen hätten wahrscheinlich falsche Schlüsse gezogen. War er in Kristina verliebt? Er konnte die Frage nicht mit absoluter Gewissheit beantworten, aber irgendwie schien es ihm so. Aber wenn, dann war er es schon immer gewesen. Von Anfang an war Kristina etwas Besonderes für ihn gewesen.

      Gedankenverloren beobachtete er, wie das Wasser in einem steten Strahl von oben herabstürzte. Dieser Anblick beruhigte ihn seltsamerweise, und er blieb einfach sitzen, auch als es dämmerte. Der Mond ging auf, war voll und rund. Und doch spürte Steven eine Unruhe in der Natur um sich. Plötzlich verdunkelte sich der Himmel, obwohl keine Wolke in Sicht war. Erschrocken sprang der junge Mann auf und sah sich um. Es wirkte, als würde sich eine runde Scheibe vor den Mond schieben und ihn verdecken.

      Steven erinnerte sich an die Sonnenfinsternis an dem Tag vor dem Feuer. Es hatte sie alle beunruhigt, doch Mrs. Duncan erklärte damals, der Mond schiebe sich dabei zwischen die Sonne und die Erde, und man könne deshalb die Sonne für einige Minuten nicht sehen. War es hier das Gleiche? Fasziniert beobachtete Steven, wie der Mond immer schmäler wurde, bis nur noch ein Ring zu sehen war.

      Er hatte keine Angst, auch wenn er am Anfang kurz erschrocken war. Das Schauspiel der Natur hielt seine Sinne gefangen. Die Natur klang plötzlich anders, als würde auch sie lauschen. Es roch nach Nacht, aber auch nicht. Etwas Anderes lag in der Luft, aber Steven konnte es nicht benennen. Irgendwie musste er dabei an Kristina denken. Und dann das, was seine Augen sahen. Der Wasserfall war beinahe silbern, genau wie der Mond, der inzwischen nur noch eine schmale Sichel war. Er erinnerte ihn irgendwie an Kristinas Augen, auch wenn sie nicht silbern waren. Wobei, waren sie nicht im Mondlicht irgendwie silbern geworden? Er war plötzlich nicht mehr sicher. Aber auch sie hatten diesen glänzenden Rand um die Iris gehabt, das wusste er. So intensiv wie nie dachte Steven an das jüngere Mädchen.

      Und dann riss er die Augen auf. Der Wasserfall leuchtete wie Silber. Hell, glänzend. Wie unter Hypnose ging Steven langsam darauf zu, er konnte sich dem Bann nicht entziehen. Seine Stiefel trug er abwesend in der einen Hand, während er Silvas Zügel in der anderen Hand hielt, und ging durch das Wasser auf den Wasserfall zu. Irritiert erkannte er, dass er nicht nass wurde, als er darunter durchschritt. Er erwartete, in der Höhle zu sein, doch das hier war nicht die Höhle, die er kannte. Er sah Schnee, der den Boden nur wenige Schritte vor seinen Füßen bedeckte.

      Noch nie hatte er echten Schnee gesehen, wusste nur aus Büchern, was das war . Vorsichtig tastete er mit seinen Zehen danach und zuckte zurück, als er die Kälte spürte. Schnell schlüpfte er in seine Stiefel. Viel wärmer war es nicht, aber zumindest trocken. Das Leder von Silvas Zügel entglitt seiner Hand und die Stute trat ein paar Schritte zur Seite, scharrte mit den Hufen, um das Gras vom Schnee zu befreien, damit sie fressen konnte.

      Der Schnee war so unheimlich weich, nie hätte er das geglaubt. Fasziniert griff Steven danach, sah zu, wie er in den Händen schmolz, pustete dagegen und verfolgte die einzelnen Schneekristalle, wie sie einer Feder gleich zu Boden glitten. Mit der Zunge kostete er das weiße Pulver, nachdem er daran gerochen hatte. Auch wenn er wusste, dass es gefrorenes Wasser war, er versuchte, diese Erfahrung mit allen Sinnen zu erfassen. Ihm war schleierhaft, wie Schnee hier erscheinen konnte und was mit dem Wasserfall passiert war, aber der Schnee interessierte ihn im Moment viel mehr.

      Erst, als es langsam hell wurde, drehte er sich um, doch der Wasserfall und die ihm bekannte Welt war verschwunden. In dem Moment ignorierte er diese Tatsache, er war viel zu fasziniert von dem Schnee. Wie ein Kind tobte er durch die weiße Pracht, warf den Schnee in die Luft, sodass er auf ihn herunter fiel. Fühlte es sich so an, wenn es schneite? Früher, wenn Mrs. Duncan ihnen aus Büchern vorgelesen hatte, versuchte er sich vorzustellen, wie es sich anfühlte. Wusste er es jetzt?

      Auch Silva entspannte sich nach einer Weile. Sie scharrte eine Weile, dann begann sie, das Gras richtig zu fressen. Anfangs hatte sie nur ein wenig genippt, beinahe als wollte sie probieren, ob das Gras anders schmeckte. Ihre Augen blieben dennoch auf Steven gerichtet. Vermutlich verwirrte er die Stute, weil er noch nie so ausgelassen gewesen war.

      Doch Steven konnte nicht anders. Er fühlte sich so frei und entspannt wie noch nie. Als wäre eine Last von ihm abgefallen. Nie hatte er so entspannt spielen können. Nun holte er nach, was er nie hatte. Obwohl er bis zu diesem Moment das alles nicht vermisst hatte, jetzt merkte er, was ihm gefehlt hatte. Und nun genoss er einfach, ohne weiter darüber nachzudenken. Er ignorierte die Tatsache, dass der Weg zurück versperrt schien. Nichts schien gerade wichtig, nur seine Gefühle, das Spielen im Schnee.

      7. Die Befreiung der Kinder

      Die Erkundung der Umgebung nahm viel Zeit in Anspruch, da sie sicherstellen mussten, dass die Spinnen sie nicht entdeckten. Das sollten sie erst, wenn es einen Plan gab. Elizas Vater wirkte besorgt und ängstlich, doch auch er sah ein, dass es den Kindern nicht half, wenn die Spinnen sie vorzeitig entdeckten. Die Angst, dass die Spinnen genau jetzt daran gehen könnten, die Kinder zu ihrer Mahlzeit zu machen, verfolgte ihn jedoch. Jack war mit Manaba zurückgeblieben, um die Spinnen zu beobachten, sie konnten allerdings nur wenig Aktivität ausmachen, die Spinnen steckten in ihren Höhlen und rührten sich kaum vom Fleck. Yáhzí und ihre Wölfe halfen, indem sie den Umkreis des Lagers absuchten und mögliche Orte für Yas sichtbar machten.

      Erst gegen Abend hatten sie einen kleinen Teilerfolg. Sie entdeckten eine Baumgruppe, die weit genug von anderen Bäumen entfernt war, um bei einem Feuer nicht den gesamten Wald in Gefahr zu bringen. Immer vorausgesetzt, es blieb windstill, doch da waren Jayla und Yas sicher, das Wetter würde sich nicht ändern. Rechts und links der Baumgruppe waren hohe, steile Felsen, dort konnten sicher auch die Spinnen nicht vorbei. Also sollten sie hinter den Bäumen tatsächlich in Sicherheit sein, sobald diese brannten. Viel Spielraum war nicht, sie konnten nur hoffen, dass die Spinnen diesen Zwischenraum bei einem Feuer in den Bäumen nicht mehr nutzen konnten. Die Windrichtung durfte sich auch nicht ändern, da sie sonst im Rauch nicht atmen könnten, aber Jayla war sicher, dass dies nicht passieren würde.