Träume aus dem Regenwald. Bernd Radtke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernd Radtke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742781581
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Jivaro von einer herunterfallenden Nuss an der Schulter getroffen worden. Er hatte großes Glück.«

      »Pah, zu Hause sammele ich die Nüsse selber, ich kenne mich aus, keine Angst«, antwortete Jaíra und freute sich über die Sorge ihres Freundes.

      Lange sahen sie sich in die Augen, bis Jaíra die Stille brach.

      »Was ist los mit dir? Du bist so anders zu mir«, wollte sie wissen.

      »Du, du … du hast dich seit dem letzten Besuch ganz schön verändert, du bist kein Kind mehr, du bist eine Frau«, antwortete Ivo stockend.

      »Na und, ich bin immer noch Jaíra«, neckte sie ihn.

      »Trotzdem.«

      »Gott sei Dank kommt er nicht auf den Gedanken, mit mir etwas anzufangen«, dachte Jaíra auf dem Heimweg beruhigt. Sie wusste, dass Ivo in Luçena verliebt war. Ivo war für sie der Freund und Spielkamerad aus früheren Zeiten geblieben. Nach einer neuen Liebe stand ihr im Moment nicht der Sinn. Ihre letzten zwei Freunde waren ihr zu aufdringlich und machohaft gewesen.

      Sie grinste, als sie an eine andere Möglichkeit dachte, von der sie manchmal träumte, dass sie mit Hans in Deutschland wäre und sie dort einen reichen Gringo kennenlernen würde.

      »So ein Quatsch«, sinnierte sie weiter und sah in das dichte Blätterdach des Waldes über ihr. »Hier bekommt mich niemand weg.«

      Nach drei Wochen packten sie die getrockneten Kräuter und unter vielen Segenswünschen legten sie ab.

      Bei der Rückkehr kam Juçara gleich zu Jaíra und stieß sie an.

      »Während du weg warst, ist hier viel passiert«, flüsterte sie ihr zu und lächelte vielversprechend.

      Bei der nächsten Gelegenheit zog sie Jaíra zur Seite.

      »Ihr wart kaum weg, da musste ich ins Dorf. Ich kam an Sandros Bar vorbei. Manuel wischte gerade die Tische ab und wir haben uns unterhalten.« Sie machte eine Pause, um die Spannung zu erhöhen. Ihre Augen strahlten. »Wir sind jetzt zusammen.«

      Zwei Monate später war Juçara zu Manuels Familie gezogen. Raimundo, Jaíras ältester Bruder, hatte sich in Rosa verliebt. Zusammen mit Eduardo und Rosas Brüdern baute er eine kleine Hütte in der Nähe seiner Eltern. Rosa war von untersetzter Statur, der man die indianischen Vorfahren deutlich ansah. Bald fing Rosas Bauch an zu wachsen; sie war schwanger.

      »Bist du mit Luçio zusammen?«, fragte Hans vorsichtig.

      »Das ist schon wieder vorbei. Hier gibt es nicht den Richtigen für mich, ich warte auf meinen ‚Boto’.« Sie lachte Hans offen an.

      »Danke noch einmal für deine Hilfe und das Verständnis damals, als ich mit Fabio zusammen war. Er lebt jetzt mit Marilú zusammen, sie haben schon ein Kind und sie ist wieder schwanger. Wenn ich daran denke, dass ich das hätte sein können.«

      Sie schüttelte langsam den Kopf und Hans legte zärtlich seine Hand auf ihren Arm.

      »Es ist besser so.«

      Jaíra nickte. Ihr Leben floss langsam und gleichmäßig wie der Fluss vor dem Haus. Ein Tag war wie der andere, das Leben hier war genauso.

      »Ich habe ganz vergessen, dir zu sagen, dass im nächsten Monat eine Kommission vorbeikommt, um sich wegen des Hospitals umzusehen.« Hans wechselte das Thema.

      »Du glaubst, dass es was wird?«

      »Es muss. Sieh mal, das Dorf ist schon wieder größer geworden und überall an den Ufern siedeln sich neue Familien an.«

      »Es gehen auch viele weg«, gab Jaíra zu bedenken. »Silvio ist mit seiner ganzen Familie nach Barcelos gezogen, Homero sogar nach Manaus. Hier gibt es keine Arbeit. Das bisschen Farinha oder die Paranüsse, die wir verkaufen, sind für die meisten von uns zu wenig. Es bleibt kaum etwas übrig, um die anderen Lebensmittel davon zu kaufen.«

      »Wie ist es mit euch, ihr kommt zurecht?«, fragte Hans besorgt.

      »Es geht. ‚Pai’ ist hier der beste Fischer und Jäger, er weiß immer, wo gerade Früchte reif sind. Außerdem haben wir Bananen, Salat und Gemüse im Garten hinterm Haus, Hühner, ab und zu sogar ein Rind oder ein Schwein. Wir kommen zurecht, es reicht gerade so.«

      Zum Abschied gaben sie sich die obligatorischen Küsschen. Abwartend standen sie voreinander. Gerne hätte Jaíra ihre Arme um ihn geschlungen und sich an ihn gedrückt.

      Hans hatte ihr Zögern bemerkt. Nachdenklich blickte er hinter ihr her, wie sie auf der Dorfstraße hinunter zum Fluss ging.

      »Hoffentlich findest du deinen ‚Boto’, deinen Traumprinzen, ich wünsche es dir.«

      Kapitel 2

      Es war früher Morgen, die Sonne brannte bereits erbarmungslos auf die wenigen Personen, die am Anleger auf das Erscheinen des Flussschiffes warteten. Jaíra, die bei Juçara geschlafen hatte, schlenderte zum Ufer. Etwas abseits saß Marilú auf einem Baumstamm, sie hielt ein kleines Baby im Arm.

      »Bom dia – Guten Morgen.«

      »Bom dia, Jaíra.« Marilú rückte etwas zur Seite, damit sich Jaíra ebenfalls auf den Baumstamm setzen konnte.

      »Auf wen wartest du?«, fragte Jaíra.

      »Ich warte auf meine Mutter. Ich wollte, dass sie bei der Geburt von Aline dabei ist, nur war das Kind schneller als das Schiff.«

      Das kleine Baby fing an zu quengeln. Marilú öffnete ihre Bluse und gab dem Kleinen die Brust.

      »Und du?«

      »Hans müsste mit dem Schiff zurückkommen. Er war jetzt zwei Monate in Manaus wegen dem Hospital. Ich hoffe, dass es geklappt hat.«

      Marilú nickte. Bald darauf tauchte am Horizont das Schiff auf, was Bewegung in die am Ufer stehenden Leute brachte.

      Längst hatte Marilú ihre Mutter begrüßt, als endlich Hans das schmale Brett, das als Gangway diente, herunterkam. Hinter ihm gingen zwei junge Männer, die sich neben ihn stellten und neugierig zusahen, wie Hans von Jaíra begrüßt wurde.

      »Das sind Adriano und Naldino. Sie sind die Neffen von Salvatore«, stellte er die beiden Männer vor. »Sie sind Maurer und werden das Hospital bauen. Das Material kommt im nächsten Monat.«

      »Dann hat es geklappt, das Hospital wird gebaut?«

      »Ja, stell dir vor. Und wir werden sogar einen deutschen Arzt bekommen.«

      Neugierig betrachtete Jaíra die jungen Männer. Sie sahen gut aus. Sie mochten wohl Mitte zwanzig sein, schätzte sie und bemerkte, dass sie ebenfalls gemustert wurde.

      »Wir gehen erst einmal zu unserem Onkel. Wenn es soweit ist, melde dich. Wir warten«, sagte Adriano, der wohl der Ältere war.

      Sie nahmen ihre Taschen und gingen am Ufer entlang, um ein Kanu zu suchen, das sie zu ihren Verwandten bringen würde.

      »Wo hast du die zwei kennengelernt?«, fragte Jaíra interessiert, als sie weg waren.

      »Unterwegs hatten wir einen Motorschaden und mussten an einer Siedlung anlegen. Die beiden konnten den Motor reparieren, sie waren sehr tüchtig. Ich kam mit ihnen ins Gespräch und sie erzählten, dass sie eigentlich Maurer seien und zurzeit keine Arbeit hätten. Also habe ich sie eingestellt. Dass sie hier Verwandte haben, passt prima. So brauche ich mir um ihre Unterkunft keine Gedanken zu machen.«

      Mittlerweile waren sie am Haus angekommen und bald saßen sie zusammen und frühstückten.

      »Es hat lange gedauert, bis etwas passiert ist. Die Bürokratie ist hier sehr langsam. Durch meine Beziehungen zum deutschen Konsulat und dem Bischof gelang es endlich, eine Zusage zu bekommen. Das meiste Geld kommt von der Kirche oder kirchlichen Vereinigungen. Deutschland bezahlt etwas und Brasilien hat seinen Anteil versprochen. Über ein Missionswerk kommt ein Arzt. Ich hoffe, dass das zugesagte Baumaterial bald hier ist und