Träume aus dem Regenwald. Bernd Radtke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernd Radtke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742781581
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ist doch noch gar nicht dunkel«, entschuldigte sich Jaíra. »Außerdem ist das Buch so schön, ich konnte nicht aufhören. Hans hat mir ein Bier für dich mitgegeben.« Verschmitzt sah sie ihren Vater an, als sie ihm die Dose in die Hand drückte.

      »Das ist Bestechung«, lachte der Vater.

      Sie gingen die Treppe hoch auf die Plattform über dem Ufer, wo das Haus, geschützt vor dem jährlichen Hochwasser, stand. Es hatte nur einen einzigen Raum, dessen hinterer Teil durch eine Stoffdecke abgeteilt war, hinter der Eduardos und Manaras Hängematten hingen. In dem Raum brannte bereits eine Kerze, die ein schummriges Licht verbreitete. Manara wärmte die Feijão, die schwarzen Bohnen, zu denen sie Reis gekocht hatte. Dazu gab es wie immer Fisch. Hungrig setzte sich Jaíra zu ihren Geschwistern an den Tisch. Nachdem sie fertig war, legte sie sich in ihre Hängematte und schlief gleich ein.

      Jaíra veränderte sich, aus dem kleinen Mädchen wurde eine Frau. Ihr Körper rundete sich und langsam wuchsen ihre Brüste. Ihre ältere Schwester Juçara hatte das längst hinter sich und so war Jaíra nicht überrascht, als sie eines Morgens Blut in ihrer Hängematte entdeckte. Manara drückte ihre Tochter fest an sich, als sie ihr von der Neuigkeit berichtete. Hinter einem Lächeln verbarg sie ihre Sorgen, ihr war nicht entgangen, dass die Jungen ihre Tochter anstarrten und versuchten, ihre Aufmerksamkeit zu erregen.

      Mit leisem Plätschern tauchte das Paddel in das dunkle Wasser, langsam glitt das Kanu über den Fluss. Ein Boto, einer der kleinen Flussdelphine, tauchte dicht neben ihr aus dem Wasser und Jaíra musste an die Geschichte denken, dass sich Botos ab und zu in schöne Männer verwandeln, um Mädchen und Frauen zu verführen. Sie folgte ihm, wobei sie wünschte, dass er sich in ihren Traumprinzen verwandeln würde.

      Der Boto schwamm flussaufwärts und verschwand schließlich in der Bucht am rechten Ufer, an der sie sonst immer vorbei gepaddelt war, zu viele stachelige Bäume wuchsen dort. Immer noch schwamm der Boto voraus, so als wollte er sie führen. An einer Stelle, an der sich die Baumkronen im hochstehenden Wasser verzweigten, tauchte er. Hinter dichtem Blattwerk hörte Jaíra ihn wiederauftauchen. Sie kämpfte sich durch die Äste, die ihre Haut zerkratzten und jede Menge Krabbeltiere fielen in ihr Boot. Endlich war sie durch und erreichte wieder freies Wasser.

      Am anderen Ende mündete ein kleiner Seitenarm. Als sie dort den Boto auftauchen sah, folgte sie ihm weiter, immer noch an den verwunschenen Prinzen glaubend. Hinter einer Kurve erstarrte sie. Der Fluss hatte sich zu einem See erweitert, riesige Bäume standen mit ihren Brettwurzeln im Wasser, Palmen säumten das sanft ansteigende Ufer. Ein Tukan flog an der grünen Wand entlang und verschwand zwischen den Bäumen, mehrere Morpho-Falter, deren blaue Flügel in der Sonne schillerten, tanzten in der Luft.

      Schnell legte sie an und stand staunend am Ufer. Dieser Platz gefiel ihr, sie hatte das Gefühl, als gehöre sie hierher. Diese Stelle würde ihr Geheimnis bleiben, niemandem würde sie davon erzählen.

      Jaíra träumte wieder an ihrem geheimen Platz. Sie hatte sich aus dünnen Bäumen und Palmwedeln eine kleine Hütte gebaut und lag in der Hängematte, die sie dort aufgehängt hatte. Schwärmerisch glitt ihr Blick über das Wasser. Sie stellte sich vor, hier mit ihrer zukünftigen Familie zu wohnen.

      Bisher konnte sie sich für keinen Jungen interessieren, obwohl sie die Annäherungsversuche der Jungen bemerkt hatte und um die Schönheit ihres Körpers wusste.

      Vor ein paar Tagen hatte sie mit einigen Freunden zusammengestanden. Neckisch und verspielt hatte sie sie unbewusst gereizt, bis Fabio sie schließlich an sich gedrückt und geküsst hatte. Sie war überrascht und so ließ sie es geschehen. Danach hatte sie sich aus seinen Armen befreit und war unter Gelächter weggelaufen. Später, zu Hause, war sie wie elektrisiert gewesen und hatte die Nacht unruhig geschlafen. Oft beobachtete sie Juçara, wie diese ihre Freunde küsste und bestürzt hatte sie sogar gesehen, dass sie es zuließ, dass die Jungen unter ihr Top griffen und sie dort streichelten.

      Während sie weiter an ihren ersten Kuss dachte, glitt ein Lächeln über ihr Gesicht und sie spürte ein angenehmes, aufregendes Kribbeln in ihrem Bauch. Unwillkürlich dachte sie an die Geräusche, die sie hinter dem Vorhang der Eltern hörte. Erst gestern, als sie wieder über ihren ersten Kuss nachdachte, hatte sie ihre Mutter laut stöhnen gehört; es musste einfach schön sein.

      Jaíra trat aus dem Schuppen, in dem sie Farinha und Paranüsse abgegeben hatte. Auf der anderen Straßenseite entdeckte sie Hans, der vor Sandros Bar an einem der kleinen Tischchen saß. Jaíra winkte und ging zu ihm hinüber. Ihr schlanker, brauner Körper steckte in einem gelben Top und knappen Shorts. Hans beobachtete sie, während sie die staubige Straße überquerte und auf ihn zukam.

      »Boa tarde - Guten Tag, Hans.«

      »Hallo Jaíra. Möchtest du eine Cola?«

      »Gerne.«

      Jaíra setzte sich. Ihre Einkaufstasche stellte sie auf den Boden, wobei Hans in ihrem Ausschnitt die Ansätze ihrer kleinen Brüste sehen konnte.

      »Ist etwas?« Jaíra bemerkte, dass Hans sie anstarrte.

      »Nein, es ist alles in Ordnung. Als ich dich über die Straße gehen sah, musste ich daran denken, wie ich dich kennengelernt hatte. Damals warst du acht Jahre alt und jetzt wirst du in ein paar Monaten sechzehn. Aus dem kleinen Mädchen ist eine fast erwachsene Frau geworden und eine hübsche dazu.«

      »Nichts ist in Ordnung«, dachte er. »Ich sitze hier, starre ein sechzehnjähriges Mädchen an und mache mir Gedanken, die ich mir nicht machen dürfte.« Nervös fuhr er sich durchs Haar.

      Jaíra freute sich über das Lob und darüber, ihn zu treffen. Sie sahen sich nicht mehr so oft, nachdem sie mit der Schule fertig war. Hans hatte ihr Lesen, Schreiben und Rechnen beigebracht, ihr Deutsch war sehr gut geworden. Einmal im Monat kam sie noch, und er unterrichtete sie in Dingen, die er in der Schule nicht lehrte, aber Jaíra war auch keine normale Schülerin.

      »Ich wundere mich, dass du mit dem Deutschlernen durchgehalten hast«, lenkte er ab.

      »Es hat mir einfach Spaß gemacht. Außerdem möchte ich mich mit den Leuten unterhalten können, wenn du mich einmal mitnimmst.«

      Hans stach es ins Herz. Er erinnerte sich an sein damals gegebenes Versprechen, von dem er nicht wusste, ob er es halten konnte.

      »Du denkst immer noch daran?«

      »Klar, ich denke immer daran, mal von hier wegzukommen und all das mit eigenen Augen zu sehen, wovon du immer erzählt hast.«

      »Ich hoffe auch, dass es mal klappt und ich dich mitnehmen kann, bis jetzt bin ich selber in den letzten Jahren nur bis nach Manaus gekommen«, lachte er.

      »Ich meine ja später, in ein paar Jahren, wenn ich älter bin.« In ihren Augen blitzte es.

      »Hast du Farinha hergebracht?«, wechselte Hans das Thema.

      »Ja, gestern haben wir wieder den ganzen Tag gearbeitet und die Farinha geröstet.«

      Jaíra schüttelte sich, als sie an die Herstellung der Farinha dachte. Zwei Tage lang hatten sie und ihre Geschwister Maniokwurzeln geschält und gerieben, um schließlich das Mehl in einer großen Pfanne zu rösten.

      Sie trank ihr Glas aus. »Ich muss jetzt weiter, wenn ich den Reis nicht bald zu Hause abliefere, hat Pai heute Abend nichts zu essen und dann gibt es Ärger.«

      Sie stand auf, packte ihre Sachen und ging zum Fluss, um nach Hause zu paddeln.

      Nachdenklich sah Hans ihr nach.

      »Noch träumst du. Was wird in ein paar Jahren aus dir geworden sein? Viele Mädchen in deinem Alter sind bereits schwanger. Ich hoffe, dass du nicht so sein wirst«, dachte er und wurde eifersüchtig auf den Jungen, der sie einmal besitzen würde.

      Das ganze Dorf hatte mitgeholfen. Jeder steuerte seinen Teil bei, damit es ein schönes Fest werden würde. Die Männer hatten Bretter zu Bänken und Tischen zusammengenagelt, die Frauen gekocht und gebacken. Es war der Jahrestag der Schule und Hans hatte wie jedes Jahr an diesem Tag ein Fest organisiert. Alle aus der Umgebung waren gekommen, das Ufer war