Ingrid, die schmerzhaft erfuhr, dass Hannemann ein Koch geworden war, nahm sich vor, einen Altar zu blasen, der seine ursprüngliche Aufgabe erfüllte, der Tisch und Herd zugleich war. Und sie selbst wollte auf diesem Herd der Liebe Frucht, Tier oder Opferweib sein, wann immer es ihrem Geliebten belieben würde zu erscheinen: Als Schüler, als Mann, als Auferstandener oder auch nur als Traum. Ingrid wollte, würde Glasbläserin werden, und er hatte sie dazu gebracht. An ihrem letzten gemeinsamen Abend, als Hannemann sie an sich zum Tanzen abholen wollte, brachte er ihr diesen ganz besonderen Briefbeschwerer mit.
„Es ist ein gläserner Schmetterling von meiner Oma aus ihrem Wohnzimmerschrank. Ich habe ihn geerbt.“ Oder geklaut, wie er manchmal schöne Dinge klaute, dachte sie. „Dieser Schmetterling hat eine besondere Geschichte, meine Geschichte, und ich werde sie dir bestimmt einmal erzählen. Fasse ihn an, nein, nimm ihn in deine linke Hand und sage mir, was du fühlst.“
Ingrid nahm den Briefbeschwerer, zögerte jedoch mit ihrer Antwort: „Ich weiß nicht, es ... Es ist irgendwie angenehm, mehr aber nicht. Doch, jetzt fühle ich etwas, Wärme, die Kugel ist voller Frieden. Wie warmer Sommer auf einer Wiese.“
Hannemann sah sie lange an. „Ich glaube es dir und ich schenke dir den Schmetterling, weil ich nur verschenke, was mir selbst lieb und teuer ist. Doch irgendwann werden wir zusammenleben, das verspreche ich dir, und dann bekomme ich den Briefbeschwerer mit dir zusammen zurück.“
In diesem strahlenden Moment allerreinster Liebe erschien ihr Vater und bat Hannemann mit dem Hinweis, seine Tochter müsse sich ja wohl noch hübsch machen – als ob sie nicht schon den ganzen Nachmittag vor dem Spiegel verbracht hätte –, auf einen Cognac in sein Büro.
„Sie kennen meine Tochter schon lange?"
„Seitdem wir hier in diesem ehrenwerten Wohnblock einziehen durften, Herr Ingrid-Vater!" Das war höflich repliziert, anständig und angemessen. Dennoch fühlte Hannemann sich ziemlich unbehaglich.
„Ach ja, Sie wohnen hier? Seltsam, Sie sind mir noch nie richtig aufgefallen." Der Vater nahm sein Glas. „Auf ihr Wohl, junger Mann." Braun-goldene Flüssigkeit wärmte angenehm den Mut. „Und heute Abend wollen Sie also mit Ingrid zum Tanzen gehen? Nun gut, ist ja nicht ungewöhnlich für die Jugend von heute. Aber Sie besuchen wohl noch die Schule, wenn mich Ingrid richtig unterrichtet hat?"
„Ich bin in einem Internat und bereite mich dort auf mein Abitur vor." Gut gebrüllt, Löwenkrieger, Abitur macht immer Eindruck. „Heute ist mein Heimfahrtwochenende."
„Heimwochenende? Ich denke, Sie wollen mit meiner Tochter ausgehen? So hat sie es mir zumindest gesagt."
„Entschuldigung, Herr Ingrid-Vater, wir dürfen alle vier Wochen für zwei Tage vom Internat nach Hause fahren, und heute Abend würde ich wirklich sehr gerne mit Ingrid zum Tanzen gehen!"
„Alle vier Wochen nur? Ist das nicht ein bisschen wenig? Aber Sie haben ja nichts mehr zu trinken, kommen Sie, ich schenke Ihnen nach. Alle vier Wochen? Da ist man ganz schön ausgehungert, nicht wahr?"
„Ich bin in einem gemischten Internat, Herr Ingrid-Vater." Aua, verdammter Mist, der Cognac. Reingefallen.
Der Vater, Vorfreude Luzifers, hob die Augenbrauen: „Sie betrachten meine Tochter doch nicht etwa als Ihre Vier-Wochen-Freundin?"
Lückenfüller oder Heimatliebchen, in jedem Hafen eine andere Braut, so dachte der gestrenge Herr Vater. Hannemann war sich da sicher. Was also sollte er erwidern? Die Frage und der Branntwein drückten den Schweiß in sein frisches Hemd. Wie sollte er erklären, dass er Ingrid liebte, wenn auch auf eine eigene, körperlose Art? Dass er sie auf ein Podest stellte, erhaben über nackte Sinnlichkeit. Das würde der alte Trottel doch nie kapieren. Hannemann schwitzte in der Klemme. Es war einfach gemein, nein, zum Davonlaufen.
„Kommen Sie, schauen Sie nicht so verschreckt. Ich wollte Ihre Gefühle wirklich nicht verletzen. Trinken wir noch einen guten Schluck." Der Ingrid-Vater nahm die Spannung aus dem Raum. „Was machen eigentlich Ihre Eltern? Besitzen sie nicht diesen auffälligen Sportwagen mit den roten Ledersitzen?"
Aha, der alte Knabe hatte sich erkundigt. Jetzt hieß es vorsichtig sein. Noch so einen Lapsus durfte er sich nicht mehr erlauben. Hannemann schlug das rechte Bein über das linke Bein, gab so ein Zeichen ruhiger Gelassenheit, nahm einen Schluck des heißen Feuers und antwortete in beeindruckenden Wir-Sätzen: „Wir sind in der Gastronomie engagiert. Es geht uns wirtschaftlich sehr gut, und dieser Sportwagen ist ein Mercedes 190 SL. Er steht vor der Tür." Gedrechselte Worte, die Zunge hölzern und irgendwie pelzig. Doch der alte Knacker sah überhaupt nicht beeindruckt aus.
„So, Gastronomie? Nun, wir gehen selten aus, kennen das Metier nicht so sehr. Aber Sie wollen doch bestimmt in die Fußstapfen Ihrer Eltern treten? Koch oder Kellner werden. Koch mit Abitur, geht denn das? Meine Tochter wird jedenfalls einmal Ärztin."
Vorsicht, nimm deine Finger weg! Koch, Küchenleichenverarbeiter oder Gemüsekiller, den Gästen unterwürfig gegen Bezahlung Zucker in den Hintern Pustender, das hatte der Herr Ingrid-Vater wohl damit gemeint. Gastronomie, Dienstleistung, ähnlich der Prostitution. Pah! Hannemann spürte es genau, nahm einen weiteren Schluck. Er schmeckte bitter.
Ingrid-Vater besaß plötzlich vier kreisende Augen und sein Mund sabberte. Aber Hannemann würde es ihm zeigen: „Dasch Schöne, Enschuldigung, das Schöne an einer Wirtschaft ist, dasch ein Koch", verfluchte S-Laute, "mit dem Arscht durschaus verwandt ischt. Der Koch beugt vor, er erhält, er heilt ebenfalls."
„Junger Mann!"
Scheiße auf das „Junger Mann!"
„Ich wollte Sie nicht beleidigen. Kann ohne weiteres sein, dass Koch ein ehrenwerter Beruf ist. Kommen Sie, trinken wir aus, ich schenke noch einmal ein."
„Kommen Sie? Kann sein? Kann sein, dass es ein ehrenwerter Beruf ist? Der Koch ist nach Gott das Ehrenhafteste überhaupt!" Jähe Gedanken schenkten cognacglühende Klarheit und kräftige Worte. Der überhebliche Einbildling in dem Sessel gegenüber hatte wieder zwei, aber dafür böse lauernde Augen. „Und ein Koch hat schon längst in die Suppe gespuckt, bevor so ein kleines Doktorlein wie Sie diese überhaupt auf den Tisch bekommt!" Hannemann wollte aufstehen, im Zorn einen großartigen Abschied hinlegen. Hannemann wollte, seine Beine wollten nicht. Er kam halb hoch, dann sackte er wieder in seinem Sessel zusammen. Verdutzter Gesichtsausdruck, absolute Peinlichkeit.
Herr Ingrid-Vater schaute wie ein Kater beim Spiel mit der Maus. Hannemann wurde schlecht. Der ungewohnte Cognac drängte mit Macht zurück ans Licht. Kreise flogen links herum. Der Schreibtisch, Herr Ingrid-Vater fuhren links herum. Hannemann kotzte. Teurer Teppich. Es wurde kalt, die Beine zitterten, doch die Scham befahl den Abgang. Hannemann flüchtete und kam nie wieder, dafür lernte er irgendwann die Blonde kennen.
„Verzeiht, mein Gott, aber wie lernt ein Mann eine Blonde kennen?“
„Eine intelligente Frage, Eurer durchaus würdig.“ Gott schien sich zu amüsieren, selten genug für Sie in diesen turbulenten Zeiten. „Am sichersten lernt der Mann eine Blonde an Orten kennen, wo die höhere Intelligenz zuhause ist. Universitäten, Bibliotheken, Galerien und Museen etwa. Aber auch beim Sport, der für Blondinen angemessen ist. Beim rhythmischen Wasserballett oder beim Skifahren etwa. Ja, genau dort verkehren die Blonden.“
„Ach, so ist das. Folglich vermag ein Mann, wenn er ebenfalls die Orte der höheren Intelligenz oder eine Schwimmhalle besucht, dort sogleich mit einer Blonden zu verkehren? Toll und irgendwie praktisch eingerichtet.“ Manchmal war der Zauberer geradezu bezaubernd naiv.
Ingrid legte sich den Schmetterling zwischen die Beine. Sie hatte das Gespräch, das Verhör und die verächtliche Beleidigung ihres Vaters Hannemann gegenüber mit dem Stethoskop von der Wand ihres Zimmers abgelauscht. Allerdings bereits zuvor geahnt, ihr Liebling würde in eine gemeine Falle taumeln. Sie weinte, weil sie ihm nicht helfen konnte und weigerte sich, ihre Höhle zu verlassen, nachdem Hannemann aus der elterlichen Wohnung geflohen war. Die Jungfrau vergrub