Der Zauberer fragte sich, was Träume bedeuten, den Träumenden sagen wollen. Gott war das wurscht, Sie dachte an Südfrankreich und an eine gute Bouillabaisse.
Blasen, selbstverständlich hatte Hannemann bereits durch verschiedene märchenhafte Erzählungen ehemaliger Klassenkameraden von jener lustvollsten Praktik erfahren. Doch selbst Tante Ute, die Gute, welche dem ungeduldigen Jüngling sonst alles erdenklich Befriedigende gewährt, hatte ihm, wie gleichfalls keine seiner anderen bisherigen Gespielinnen, die noch unbekannte Gunst erwiesen. Trotz ständigen Drängens seinerseits. Die Drohungen der einzig wahren Kirche vom sofortigen Verlust des männlichen Rückenmarks bei Ausübung jener sündhaftesten Lippenlust hatten die stets um das Wohl ihres Gespielen besorgten jungen, vor allem gläubigen Frauchen davon abgehalten. Der gute katholische Gott würde sie auf der Stelle – folglich noch mit dem Mund an und um Hannemanns Schniepel – mit einem persönlich geschleuderten Blitz treffen und anschließend auf einem heiligen Feuerstrahl in die allerschlimmste Hölle schicken. Das hatte gewirkt. Oder, besser ausgedrückt, jenen Akt reiner, sich vertrauensvoll schenkender Liebe leider verhindert.
Hannemann hatte sich wiederholt gefragt, zu welchem Zwecke Gott denn sonst den Mund eines Weibes erschaffen hat, wenn nicht fürs Blasen. Kein anderes Wesen hatte von Ihm vollere, sinnlichere Lippen erhalten, abgesehen vielleicht von einem Zackenbarsch oder einem Sumatra-Krokodil. Außerdem sorgte der stets mitdenkende Gott durch von weiblicher Seite aus perfekt ausgeübtes Blasen ebenso für die richtige Ernährung aller Frauen in jedem Land Seiner Erde: Täglich ein bis zwei Scheiben Vollkornbrot, um den Bedarf an Kohlehydraten zu decken, plus dem von einem gütigen Mann gespendeten Samen als lebenswichtiges Eiweiß. Dass Gott weiblich ist, hatte Hannemann damals noch nicht gewusst.
„Gasthof zur wilden Sau“ Jede Woche am Montag schlachtete der Wirt und Metzgermeister Aloisius im Hof seines Anwesens fünf zahme zufriedene Schweine. Sehr zufriedene, weil die Säue vor dem letztendlichen Ausbluten – schnelle Betäubung durch den Holzhammer und ein sicherer Stich mit dem Schlachtmesser – bestens ernährt wurden. Neben Körnerfutter und Fallobst machten Essensreste und besonders halb verzehrte Sahnetorten das Borstenvieh glücklich. Die Wirtin und Köchin Aloisia versuchte stets, ihre Gäste mit gigantischen Portionen zu mästen, von denen regelmäßig die Hälfte im Schweinekübel landete. Dem Himmel sei gedankt, Aloisia änderte niemals das Übermaß auf den Tellern, und so entstand zwischen Wirtshausgehern und Säuen ein ausgewogener Ernährungskreislauf: Die Gäste aßen die Schweine, und die Säue fraßen das, was von den gebratenen oder gesottenen Schweinen übrig blieb. Allen Beteiligten schmeckte es ausgezeichnet, Säue und Gäste rundeten sich zu Kugeln. Irgendwann wurden die Kugelschweine wieder schlachtreif – die Gäste, nicht geschlachtet, waren längst zum Abnehmen nach Hause gefahren –, doch neue Schweineschnitzel und neue Essensgeher hielten den Kreislauf aufrecht.
Schlachter Aloisius verwurstete und portionierte die glücklichen Säue vom Kopf bis zu den Schweinefüßen. Besonders der täglich frische Leberkäs, sowie die Weißwürste und der mit vielen Preisen ausgezeichnete Tiroler Speck lockten zahlreiche Kunden aus aller Damen und Herren Länder in seine Metzgerei. Zusätzlich verkaufte der geschäftstüchtige Metzger Aloisius getrocknete Schweinsohren und Schweineschwänzchen für den Hund der zugehörigen gnädigen Frau.
In der Küche des Wirtshauses zeigte Aloisia ihr abwechslungsreiches Können: Schweinskopfsülze mit Bratkartoffeln – Geräucherte Schweinebacken mit Specksauerkraut – Geröstetes Schweinshirn mit Ei – Schweinszüngel paniert in Schweineschmalz gebacken – Blutwurst und Leberwurst mit Sauerkraut und Kartoffeln – Schweinsherz vom Rost mit Specksauce und Kartoffeln – Schweinsleber und Schweinsnieren sauer mit Kartoffeln und Endiviensalat – Gesottener Schweinebauch mit Sauerkraut und Kartoffeln – Schweinsbraten aus der Schweinsschulter mit krachender Kruste, Sauerkraut und Kartoffelknödel – Knusprige Schweinsstelze mit Kartoffel-Endivien-Salat – Rösches gebackenes Schweinskotelette mit Kartoffel-Endivien-Salat – Wienerschnitzel vom Schwein mit Kartoffel-Endivien-Salat. – Für die damals eher sehr seltenen Vegetarier gab es nur Kartoffel-Endivien-Salat. Bei Aufpreis aber auch vier in Schweineschmalz gebratene Spiegeleier dazu.
Ende September eines jeden Jahres stampfte Aloisia mit ungewaschenen Füße und Waden das Sauerkraut selbst. Nur grobes Salz und Weißkraut kamen ins Eichenfass und eben ihre dreckigen Füße. Das war eine anstrengende Arbeit, selbst wenn der Wirt dazu auf dem Alphorn eine Polka blies. Dermaßen anstrengend, dass sich Wirtin und Wirt nach erfolgreichem Stampfen ins gemeinsame Ehebett legten. Dort ließ sich Aloisia von ihrem Aloisius die Sauerkrautbeine abschlecken, bis es ihm kam. Danach gab Aloisia dem sichtlich Erschöpften einen herzhaften Schmatz und eilte in ihre Küche, um Schweinsstelzen und Schweinsbraten rechtzeitig für das Abendgeschäft in den Holzofen zu schieben.
Wurscht wie, Hannemann schmeckte jedenfalls alles ausgezeichnet, was die Wirtin auf den Tisch brachte. Er schrieb sogar einige von ihren Gerichten auf, um sie, etwas verfeinert, irgendwann später in einer eigenen Küche zu verwenden.
„Ich habe Hunger!“, laut und vernehmlich der Zauberer.
Gott war seltsam berührt, immer und ewig hatte Sie sich allein aus sich selbst gespeist. Und nun zuerst diese überirdische Bouillabaisse und danach himmlisches Schweinernes. Neugierde wuchs. Mit flinker göttlicher Zunge forschte Sie in ihren Mundwinkeln nach Geschmack. Doch kein Salz der Meere, kein zuckersüßer Honigseim, weder ein Hauch von sauren Limonen noch der von bitteren Endivien. Ihr Entschluss war gefasst: „Also gut, gehen wir essen.“
Der Zauberer wagte nicht, seinen Ohren zu trauen. Vorsichtig fragte er nach: „Essen? Und wohin?“
„Na in diesen Gasthof zu wilden Sau. Ich will eine Schweinsstelze mit Knusperhaut, Knödel und diesem besonderen sauren Kraut.“
„Ich auch, nur für mich drei Knödel bitte!“, brüllte der Zauberer. Welch nie erwartete rosige Aussicht, dann aber kam ihm der Zweifel. „Aber was ist mit der Rechnung, wir besitzen doch beide kein Geld?“
„Kleingeist!“, Gott lachte, seit vielen Erdenjahren wieder einmal. Sie wirkte nachgerade fröhlich. „Ich werde ein Wunder tun und rechtzeitig vor dem Bezahlen die Wirtin erblinden lassen.“
Hannemanns Zimmerchen im „Gasthof zu wilden Sau“ beinhaltete – ein wahrer Segen – zwei kleine Zentralheizkörper, deren altersschwache Rippen wohlig wärmten. Außerdem einen schmalen Schrank, einen Tisch mit Tiroler-Adler-Tischdecke, einen wackeligen Stuhl – alles aus Fichte – und ein emailliertes Waschbecken mit fließend kaltem Wasser. Das WC befand sich außerhalb am Ende des Korridors. Ein weiteres Scheißhäusel stand im Hof, gleich neben der Stelle, wo die glücklichen Säue geschlachtet wurden. Das wichtigste Möbel war jedoch ein bequemes Bett, seltsamerweise aus Eiche. Das Wirtsehepaar wusste anscheinend, welch animalische Kräfte Nacht für Nacht auf den Matratzen ihres ehrenwerten Hauses wüteten.
Kaum hatte Hannemann hinter der Blonden und sich die Zimmertür geschlossen, fielen die Liebenden übereinander her. Sie fistelten gegenseitig an der widerspenstigen Winterkleidung, rissen sich die Unterwäsche vom Leib. Nicht ein Blick von Hannemann auf den sexy BH der Blonden. Harte Hast, unfassbar geil. Schnell stand sie, nur durch eine kleine Perlenkette veredelt, nackt vor seiner Nacktheit und machte – gemeinsam ins Federbett gefallen – kein langes Federlesen: Sie blies. Lippen und Zunge tanzten Rock ´n´ Roll um Hannemanns Stange. Sein Atem ging mit ihm durch. Er sollte, durfte erfahren, was ein Geysir fühlt, bevor er seine vulkanisch aufgeheizte Ladung in den Himmel spritzt. Respektive Richtung Zimmerdecke. Nicht zu kontrollierender Druck. Hannemann spritzte ebenfalls.
Eine Sternenzeit lang wirr, irr strudelnde Hochgefühle. Herz und Lunge