Er schrieb einer Malerin in Ungarn und einem Maler auf Lanzarote, einer Rocksängerin in England, einem Liedermacher aus Österreich nebst einem Balladendichter aus Kanada. Ein Brief ging an einen Schriftsteller zu einem Baumhaus nahe einem nordwestamerikanischen Fischerdorf und einer nach Kolumbien. Er hätte gleichfalls nach Neufundland oder Neuseeland, Jamaika, Äthiopien oder Kapstadt schreiben können – Druiden waren, sind immer und überall –, doch es wäre stets das gleiche geschehen. Nämlich nichts. Keine Antwort. Enttäuschend. Bisher war er wohl zu unwichtig und zu unauffällig gewesen.
Doch damals, in jener Nacht vom 31. Oktober zum 1. November, musste möglicherweise ein Irrtum geschehen sein, denn um Mitternacht öffnen sich – wie jedes Jahr – die beiden Welten einander. Die vermeintlich reale der vermeintlichen Anderswelt. Das geschieht zu dem Zweck, um zu gestatten, offensichtliche Fehler zu korrigieren, die ein Doppelgänger in der jeweiligen Anderswelt begangen hatte. Aber welcher Fehler war ihm oder seinem Alter Ego unterlaufen? Und warum waren seine Frau aus der Anderswelt und er selbst, denn es war offenkundig seine Stimme, die nach ihr gerufen hatte und der sie gefolgt war, an jenem Nachmittag auf dem herbstlichen Blumenmarkt von Menton noch anwesend, noch vorhanden gewesen?
Gut, er, Hannemann, war in diesem Leben seiner Vorbestimmung nicht gefolgt und hatte Ingrid nicht geheiratet. Dafür die Blonde. Vielleicht war ja genau das sein Fehler? Ingrid hatte bereitgestanden, hätte ihn nur zu gerne genommen. Aber viele andere Frauen wollten ihn ebenfalls, und er hatte einmal schlichtweg keine Lust verspürt, dieser angeblichen Vorbestimmung zu folgen. – Warum also der Aufstand zwischen den Blüten? Oder war er einfach zu besoffen gewesen und damit in jener Nacht für seine Frau aus der Anderswelt und ihre Bedenken nicht ansprechbar? Derart betrunken, dass sie, die jenen Zustand der Trunkenheit aus ihrer Ehe mit ihm kennen musste, einfach länger geblieben war?
Hannemann glaubte kaum, dass er in der Anderswelt ohne Droge A leben würde. Und da musste dieses Weib doch wissen, dass er gegenüber Vorhaltungen wegen seines Suffs, seiner Vielvögelei oder möglicherweise wegen einer falschen Wahl, die er getroffen hatte, besonders bockig war. Außerdem hatte er sich Jahre später sowieso von der Blonden getrennt. Wo war denn da Deborah gewesen, um ihm zu helfen? Keine Freunde, aber mitfühlende Frauen hatten ihn weiter durchs Leben geschleift. Sie, das andere Weib, hatte sich nicht gekümmert, ihn nicht wieder mit Leben erfüllt. Dieser leidvollen Aufgabe stellte sich allein die Rechtsschläferin. Doch war Bin etwa ebenso falsch, ein neuer Irrtum?
Es ergab keinen Sinn. Warum erschien sie, seine fremde Frau, erst jetzt, nach so vielen Jahren? Ihr erneutes Erscheinen bedurfte der Klärung. Er musste einfach des Rätsels Lösung finden, schließlich war er mit ihr verheiratet, wenn auch in einer anderen Welt. Und falls es sich ergab, wollte er unbedingt mit ihr pennen. In dieser, seiner jetzigen Welt, der Ordnung der Druiden zum Trotz.
Blond ist schön. Aber nur blond, ist das ebenfalls schön? Der Zauber wollte es etwas genauer: „Hat jene Blonde auch einen Namen?“
Gott schaute überrascht auf, Sie schien in der Tat verwundert zu sein. „Warum in aller Welt sollte eine Blonde einen Namen haben? Sie kann ihn sich ja ohnehin nicht merken.“
Der Zauberer fühlte den Spott. „Trotzdem würde mich interessieren, wie Ihr zum Beispiel die blonden Namenlosen unterscheidet?“
„Das ist nicht sonderlich schwer, ich ordne ihnen Zahlen zu. Etwa Blond 1, Blond 2, Blond 3, Blond 264 und immer so weiter.“
Jetzt fühlte sich der Zauberer aber richtig auf den göttlichen Arm genommen.
Bei ihrem ersten Aufeinandertreffen – im wahrsten Sinne des Wortes – warf die Blonde Hannemann schlichtweg zu Boden. Ebenfalls im wahrsten Sinne des Wortes. Der vor Kraft und Säften strotzende Jungmann segelte gerade mit seinen Skiern über die Kuppen einer von Pulverschnee bedeckten Tiroler Piste, hatte „I am sailing“ von Rod Stewart im Ohr, als ihm urplötzlich die Blonde in seine rechte Seite rauschte. Die Sicherheitsbindungen befahlen den Skiern, sich zu lösen, ungewollt umklammerten sich Beine und Arme, bevor die Blonde und Hannemann in eine Mulde krachten. Eine gewaltige Schneewolke stob auf. Die feinen Schneekristalle wirbelten eine gefühlte Ewigkeit durch die kalte Luft, um sich endlich, wie auf Befehl einer höheren Macht, zögerlich wieder auf die Abfahrtspiste zu legen. Zwei Gesichter sahen einander fassungslos an.
Hannemann dachte: Öha, eine Blonde. Eine ganz normale Blonde mit langen Haaren, wie sie überall beim Skifahren zu finden ist. Von der Natur ausgestattet mit blütenreiner Stirn, azurblau strahlenden Augensternen, dem typischen süßen Näschen, schwellend roten Lippen, lockenden Schultergrübchen, einem vollendeten Busen in Pfirsichform, nur statt dem Pfirsichstiel kleine rosa Brustwarzen. Weiterhin lockten ein Bauchnabel für wonniges Zungenspiel und ebenso die Muschel, Ziel aller Wünsche, gesegnet mit dem Duft eines zarten jungfräulichen Herings. – Ab den Schultergrübchen hatte Hannemann seine Röntgenblicke eingeschaltet.
Die Blonde dachte: Ein teurer Ski-Anzug von Bogner, die Ski von Head, vielleicht eine Chance für eine sorgenfreie Zukunft. Die Blonde lächelte reizend, aufreizend. „Wollen wir uns nicht heute Abend am Kriegerdenkmal treffen?“ Die Blonde lächelte zuckersüß, viel versprechend.
Eine tief verschneite Thujen-Hecke säumte den Heldenplatz. Vom nahen Friedhof quietschte die rostige, unverschlossene Eisentür unverdrossen mit dem Grabchoräle pfeifenden Wind. Tausend tote Krieger froren sich das letzte Hemd ab. Der Platz lag menschenleer, war fast verzweifelt einsam. Und kalt, saukalt sogar. Mindestens zwanzig Grad unter, nach Schätzungen der tausend toten Krieger. Glücklich die noch lebenden Menschen an den ortsüblichen Kachelöfen in ihren warmen Häusern. Deppen hingegen, die sich zu dieser finsteren Stunde am Kriegerdenkmal einfanden. Die Blonde und Hannemann fühlten sich jedoch nicht als Deppen, sondern bereits nach wenigen Minuten in inniger Liebe verbunden. Außerdem wollten sie bumsen. Im Schutz des Kriegerdenkmals auf der Holzbank an der Flanke des grimmigen bronzenen Löwen. Sie näherten sich ungeduldig dem Löwenvieh.
Warum nur bewachte – wie immer und überall auf der Welt – ein grimmiger bronzener Löwe die tausend toten Krieger und nicht etwa ein ebenso starker eiserner Eisbär? Allemal logischer bei dieser Schweinekälte. Oder gar ein gemütliches hölzernes Kamel? Was zum Henker spräche denn gegen ein Kamel? Abgesehen davon, wieso ausgerechnet ein Kamel in einen Tiroler Skiort kommen sollte. Ergo präziser: Was genau trieb ein normalerweise durch arabische Wüsten schiffendes Kamel im Pulverschnee? Menschliche arabische Araber waren allerdings dort haufenweise anzutreffen. Ergo noch genauer: Was hatte ein tierisches Kamel überhaupt neben einer Buckelpiste zu suchen? Oder zu finden? Doch nicht etwa seine Höcker?
Solche Fragen hätte sich Hannemann mit Sicherheit in seinen späteren Jahren gestellt. Jetzt nicht, jetzt war er geil. Die Blonde trug jedenfalls einen Kamelhaarpullover. Ihre Höcker waren unter dem Licht der einzigen Straßenlaterne kaum zu übersehen. Darüber hinaus hatte sie nichts dagegen, dass Hannemann bereits nach wenigen Küssen seine winterkalten Flossen unter den Pullover und den spitzen Büstenhalter schob und an die Höcker grapschte. Ganz im Gegenteil jodelte die Blonde bereits nach wenigen Sekunden ihre durch die frostigen Finger an ihren Nippeln empfangene Lust in die andächtigen Ohren der tausend toten Krieger. Weiterhin schaukelte ihr in engste Keilhosen gezwängter Unterleib im wüsten Kamelgalopp, Hannemann reibend, treibend, wo er es am liebsten hatte. Tausend tote Krieger erinnerten sich an eigene Reibereien und sahen neidvoll zu. Selbst der bronzene Löwe schnaubte heftig, er hatte Kamele zum Fressen gern.
Doch der Löwe und tausend tote Krieger bemerkten ebenfalls, es blieb lose in der geschaukelten Hose. Zwanzig Grad unter Zero, die erlaubten dem sonst so munteren Keimling keinerlei Wachstum. Die Blonde öffnete Hannemanns Hosenlatz, prüfte mit kundiger Hand. Nichts. Noch nichts? Mit zu zärtlicher Rundung gebogenen Fingern liebkoste sie aufmerksam den ihr noch fremden Schniepel. Wahrhaft ein Nichts, Väterchen Frost besaß den stärkeren Griff. Eine sichere Zukunft war keineswegs fassbar. Es sei denn …
Tausend tote Krieger und ein bronzener Löwe konnten trotz