DIE LSD-KRIEGE. Gerald Roman Radler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerald Roman Radler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748592853
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und erst so in der Liste aufschien. Wurde ich bisher aufgrund meiner Angepasstheit gewählt, zeichnete jetzt mein Widerstand für meine Befähigung. Ich wunderte nicht, denn ich hatte mit diesem Ergebnis gerechnet. Ich wurde vom Oberstufensprecher und Gerald Hunger unterstützt, die mich an ihrer Seite wissen wollten. Etwas hatte sich allerdings zu den vergangenen drei Jahren geändert. Die Lehrer zeigten sich im Festsaal empört über das Wahlergebnis. Nicht zuletzt, weil die Schulsprecher zumindest pro forma mit dem Stadtschulrat Termine einzuhalten hatten, bei denen ich ab nun anwesend sein würde. Besonders der Hofrat und andere alte Oberstudienräte fürchteten, die Kontrolle über die Schüler zu verlieren. Ich spürte den Hass der Lehrer im Unterricht, die heimlich die Schülerzeitung lasen und sich als Witzfiguren wiederfanden. Einige junge Lehrerinnen, die aber nicht ernst genommen wurden, beglückwünschten mich zu meinem Geschick. Ich war fürderhin ihr Liebling. Sie schenkten mir die guten Noten, während der Rest der Professoren sich befleißigt fühlte, mich in Grund und Boden zu stampfen.

      Ich stieg also mit meinen zwei Nachprüfungen in die fünfte Klasse auf und ahnte, dass ich das letzte Jahr in der Albertgasse verbringen würde. Ich hatte nicht vor, jemals noch ein Lehrbuch aufzuschlagen. Doch ich wollte schreiben, solange es mir möglich war. Es wurde mittlerweile alles veröffentlicht, was ich Gerald Hunger in die Hand drückte.

      DIE GUTEN UND DIE BÖSEN

      In der Oberstufe hatten wir nach dem Unterricht um vierzehn Uhr Schulschluss. Jimi stand vor dem Einlass und blickte, eine Zigarette rauchend, die Treppe empor. Er wartete, bis ich die Stufen hinab kam, hob diskret die Rechte, schüttelte mir kurz die Hand und bat mich im Buwo einen der beiden Flipper besetzt zu halten, während er nach Hause Essen und Umziehen ging. Ich nahm hundert Schilling in Zehner Münzen entgegen und machte mich auf den Weg ins nahe Lokal. Schon eine halbe Stunde später wäre jeder der Automaten besetzt gewesen. Ich war kein besonders guter Spieler, aber ich schaffte es, mit dem Geld auszukommen, bis Jimi kam und wir einen fliegenden Wechsel schafften. Er war ein angesehener Gast. Jeder Kostgänger grüßte ihn und behandelte ihn mit Respekt. Er wurde um Zigaretten gefragt, von denen er die Brusttaschen auffällig ausgestopft hatte, und plauderte zwanglos mit den Gästen. Die Kellnerin schien ein vertrautes Verhältnis mit ihm zu hegen. Sie stellte ihm unaufgefordert eine kleine Flasche Steffl auf seinen Tisch. Mit welcher Selbstverständlichkeit er sein Bier ins Glas laufen ließ! Er bewegte sich leger in der Welt, während ich alles analysierte, bezweifelte und befürchtete. Sie steckte ihm fünfhundert Schilling in die Brusttasche und küsste ihn flüchtig auf die Wange. Offensichtlich hatte sie Geld von ihm geborgt. Er bewegte sich so natürlich, als wäre er zu Hause in seiner privaten Atmosphäre. Mit einer Entschuldigung angelte sie eine Zigarette aus seiner geöffneten Packung. Er grinste gönnerhaft. Ihm gefiel die Rolle des Mäzens. Sein Onkel arbeitete in der Tabakregie und so wurde er mit Rauchwaren hinlänglich versorgt. Während die meisten der Burschen und Mädchen Hobby rauchten, konnte er mit Camel aufwarten. Er kannte all jene, die auf mich sehr eigenständig wirkten und eine markante Individualität ausstrahlten. Mein Ansehen in dieser neuen Formation, die ein Anhängsel jener Generation war, die durch eine Umstrukturierung eine neue Welt schaffen wollten, stieg, umso schlechter mein Notendurchschnitt wurde. Die gesellschaftlichen Regeln wurden wie bei einer schwarzen Messe auf den Kopf gestellt. Es funktionierte bei uns alles gegenläufig. Je mehr Fünfer, desto sicher die Position in der Gruppe.

      Die Schande ausgelacht – ja ausgestoßen, als Versager extrahiert zu werden – verschwand völlig im Hintergrund. Das genaue Gegenteil war der Fall. Als braver, wohlbehüteter Junge, der ständig tat, was man ihm auftrug, wurde ich in die Isolation getrieben. Nunmehr hielt man mich für mutig, revolutionär und bereit einen eigenen Weg zu gehen. Ich war es wert, beachtet zu werden – die tadelnswerten Noten waren Beweis genug für meinen Widerstand. Ich kümmerte mich nicht um den auferlegten Zwang. Allmählich wurde ich ebenfalls zu einem Individuum. So schaffte ich die gebührende Anerkennung zu erwerben, von der ich geträumt hatte. Ich war auf dem richtigen Weg und wusste, wie ich mich zu verhalten hatte. Der informelle Umgang mit der vermeintlichen Niederlage, trug mir einen guten Ruf ein. Der Ruhm, den ich als Vorzugsschüler genossen habe, erblasste gegen die neue Erhöhung, bei der mein frühes Alter keine Rolle spielte, nicht auch von älteren Jahrgängen akzeptiert zu werden. Es wurde mir als Weiterbildung und Erweiterung meiner Persönlichkeit angerechnet und löschte den kleinen, braven Buben, der »lauter Einser« im Zeugnis nach Hause brachte, aus. Die Schüler, sogar die Streber der eigenen Klasse sahen auf zu mir und behandelten mich respektvoll.

      Es ging hier nicht um ein aufgepfropftes Image, sondern um eine innere Veränderung, die den ungewohnten Umgang mit dem schulischen Versagen mit sich zog. Ich hielt zu meiner Note »nicht genügend«, wie ich früher zu meinem Vorzug stand.

      Tatsächlich konnte ich meinen Vorzug nie ungetrübt genießen. Ich genierte mich, weil ich merkte, dass ich eine lächerliche Gestalt war. Abermals erinnerte ich mich schmerzlich, als mir übel mitgespielt wurde. Eines Tages wollte ich nach dem Französischunterricht, der in einem anderen Stockwerk stattfand, in meine Klasse gehen, um meine Schultasche und einige Bücher aus meinem Tischfach zu holen. Fremde Schüler anderer Klassen wurden inzwischen in meinem Klassenzimmer unterrichtet. Doch wie war ich verstört, ein leeres Fach anzutreffen. Auch der Platz neben dem Sessel war leer. Ich nahm an, einer der Schüler eignete sich meine Sachen an. So konnte ich nicht nach Hause gehen. Das Schulgebäude leerte sich allmählich. Meine Verzweiflung wuchs, denn ich hatte überall nachgesehen, wo ich meine Schultasche vermutete. Allein lief ich schluchzend durch die leeren Gänge, bis ich endlich auf eine Professorin traf, die gerade aus dem Konferenzraum kam. Sie erbarmte sich meiner und sperrte sämtliche Klassenzimmer auf. In einem der Räume lag dann auch meine Schultasche. Meine Bücher waren am Fußboden verstreut. Sie strich mir über den Kopf und tröstete mich.

      Auf der Straße überfiel mich einmal eine Bande Halbwüchsiger und leerte den Inhalt der Schultasche auf das Trottoir. Meine Kopfbedeckung, mit den abstoßend biederen Ohrenschützern, über die ein Metallkettchen genietet war, riss mir der Anführer mit einem Griff vom Kopf. Die braune, hässliche Knautschlederkappe, die ich wegen meiner labilen Gesundheit tragen sollte, warf er erheitert unter ein parkendes Auto. Im Befehlston zwang er mich, die Kappe unter der Karosserie hervor zu fischen. Das meckernde Gelächter der Buben verfolgte mich. Nach diesem unerfreulichen Einsatz war meine Kleidung ölig und schmutzig. Die Kappe allein reichte schon – obwohl ich die Ohrenklappen immer nach inne stülpte, wenn ich mich außer Sichtweite der Fenster unserer Wohnung befand – um gehasst und gequält zu werden. Es war so, als würde ich mich durch mein Aussehen verraten, als trüge ich ein leuchtendes Mal, dass mich als Feigling auszeichnete.

      Ich war der Knabe, der sich nicht traute, einen Zweier nach Hause zu bringen. Und genauso war es auch. Manchen Eltern reichte es vollauf, wenn ihr Sprössling mit einem »genügend« die Klasse abschloss. Ich wurde bei der Note »gut« mit Missbilligung bedacht und eindringlich dazu angehalten, meine Leistung zu verbessern. Mein Magen verkrampfte sich, bei der Vorstellung an diesen ungerechten Zwang. Diesen schrecklichen Druck war ich mit einem Schlag los. Ich grämte mich, weil ich nicht schon früher auf die Lösung meiner Einengung gekommen war.

      Aber im Grunde genommen, konnte ich mit mir zufrieden sein. Ich war ohnehin zum ehe möglichsten Termin auf die Idee der Verweigerung gekommen. Vielleicht hätte ich schon als fünfjähriger Knirps rebelliert, wenn ich die Ereignisse außerhalb der eigenen vier Wände beobachtet hätte. Zu diesem Zeitpunkt bemerkte ich, dass eine konstante Hemmung meiner Wissbegier unweigerlich zu Krankheit und Elend führen musste. Ein anderer Streber, der so wie ich unter allergischem Asthma litt, aber nicht so viel Intelligenz besaß, seine eigenen Schlüsse zu ziehen, litt weiter unter Bronchialasthma und benötigte eine tägliche Dosis Cortison.

      Nachdem ich für Jimi Tag für Tag den Flipper frei gehalten hatte, machte er mich mit einem introvertierten Jungen bekannt, mit dem ich schon lange in Kontakt treten wollte. Er war etwa so groß wie ich, doch sein wenig athletischer Körperbau, ließ seine Gestalt schlampig erscheinen. Er ging vorübergebeugt und ließ seine Haare über die Augen hängen. Sein Gesicht hatte ein ungewöhnliches Aussehen. Eine schmale, kurze Nase richtete sich über einem herzförmigen Mund auf. Die Augen waren nach oben geschrägt und die Brauen zusammengewachsen. Tommys Haltung war wenig