DIE LSD-KRIEGE. Gerald Roman Radler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerald Roman Radler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748592853
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wollen: »Seht her, ich bin eingeraucht!«

      Über einen längeren Zeitraum hinweg hatte ich den starken Wunsch gehegt, mich mit pflanzlichen Drogen zu beschäftigen. Damals, als mein Interesse erwacht war, gab es noch nicht den Dealer, der vor der Schule die Kinder ansprach und den Einstieg in die Sucht erheblich erleichterte. Man wusste zwar um die Disposition der Betreffenden, die sich allein durch ihr Aussehen verrieten, aber nicht, wie die Drogen erstanden und wo sie konsumiert wurden. Ich sollte bald in die Riten der Kundigen eingeweiht werden.

      Momentan hatte ich den Eindruck, ich wurde auf Herz und Nieren überprüft, ob ich in meinem Alter überhaupt würdig war, in die Liga der Eingeweihten aufgenommen zu werden. Und da halfen mir meine Essays in der Schülerzeitung und meine Manuskripte, die jeden, der sich Gedanken über das Leben und den Tod machte, erfreuten. Dennoch entsprangen meine Texte dem puren philosophischen Geist – von praktischer Toxikologie hatte ich überhaupt keine Ahnung. Wohl hatte ich mit Begeisterung Andrew Weil – das erweiterte Bewusstsein – gelesen, aber ich wusste nichts über die Einnahme von Rauschgiften. In einem einschlägigen, seichten Buch aus der Bibliothek über weiche und harte Drogen fand ich auf den Autor Andrew Weil einen Hinweis. Dort stand, dass er ein Junkie war, der in seinem spannenden Werk darlegte, wie ein Heroinist mit gutem Stoff und sauberer Nadel – so wie er es selbst seit Jahrzehnten praktizierte – in einem geeigneten sozialen Umfeld weit über achtzig Jahre alt werden konnte. Mein Interesse war geweckt. Einige Wochen später fand ich sein Werk im Regal und verschlang es förmlich, noch bevor ich Carlos Castaneda gelesen hatte. Wenn auch der Inhalt des Buches gänzlich abwich von meinen Vorstellungen und der Präsentation, die ich in der anderen Lektüre gelesen hatte, so beeinflusste es stark mein Denken. Andrew Weil war alles andere als ein Junkie. In seinem leidenschaftlichen Werk räumte er ungeniert und schonungslos mit allen Vorurteilen auf. Er legte wirklichkeitsnah die tatsächlichen Hintergründe der Verteufelung gewisser Drogen dar, ohne ihren mächtigen Einfluss auf die Menschheit zu beschönigen. Er schrieb, dass die Untersuchungsergebnisse, die eine Zerstörung des Menschen durch Halluzinogene postulierten, unter falschen Voraussetzungen gemacht wurden. Niemand nahm in einer Klinik LSD. Niemand nahm THC oral ein, die Menschen rauchten Cannabis. Die Meinungsumfragen wurden bei auffälligen Jugendlichen debütiert, die offensichtlich ein Drogenproblem hatten. Sie konsumierten unzählige Joints an einem Tag und waren nicht mehr in der Lage, klar zu denken. Es wurde für die Studien zugängliche Krankengeschichten einer Anzahl von Studenten aufgelistet, die einen längeren Aufenthalt in einer psychiatrischen Anstalt absolviert hatten, nachdem sie nach einer hohen Dosis LSD einem Horrortrip erlegen waren.

      Ich verstand trotz meiner Jugend, was Weil eigentlich sagen wollte. Die Regierung und das Drogendezernat hatten ein dringendes Interesse, ein bestimmtes Bild von einem gefährlichen Drogenkonsum zu formulieren, ohne die tatsächlichen Risken zu erörtern. Ich hatte von einem studierten Menschen das Recht auf Bewusstseinsveränderung erworben. Es wundert nicht, dass ich die Thematik rasch in meine Prosa übernahm und aufbereitete. Unauffällig brachte ich meine Schriften in Umlauf. Ich steckte Jimi einige Blätter zu und tat so, als hätte ich gerade zufällig einige meiner Werke dabei. Außer über die Texte in der Schülerzeitung, für die er mir gratulierte, verlor Jimi kein Wort über den Eindruck, den er von meinen Aufsätzen hatte. Ich ging mit Bedauern davon aus, dass er keine Notiz von ihnen nahm, oder der Schwerpunkt doch eher bei der Schülerzeitung lag, weil die Situation bei Gymnasiasten bekannt war.

      Den Ausschlag zu dem geheimnisvollen Treffen mit Tommy gaben also meine Schriften, die er mit mir besprechen wollte. Stundenlang redeten wir über unsere Ideologien und außersinnliche Wahrnehmungen. Ich war mehr als stolz, dass dieser vermeintlich arrogante Mensch gerade mir seine Zeit widmete. Von den Gleichaltrigen konnte ich nichts erwarten, aber bei dieser erquicklichen Zusammenkunft war ich in meinem Element. Jimi war der menschliche, joviale Typ. Mit Tommy konnte ich tief liegende Gedankenkomplexe austauschen, ohne ausgelacht, oder für verrückt gehalten zu werden.

      Die Burschen in meiner Klasse beschäftigen sich allesamt ausschließlich mit Fußball und dem Besuch urzuständlicher Filme im Kino. Sie konsumierten triviale Popmusik und waren brav und angepasst. Sie hoben erstaunt den Kopf, wenn ich ihnen eigene Ideen zum Dasein unterbreitete und nahmen Reißaus. Meine Freude war unbeschreiblich, endlich über all die Themen reden zu können, die mir schon lange an Herzen lagen. Ich war nicht der Einzelgänger, für den ich mich gehalten hatte. Es gab Menschen, die sich ähnliche Gedanken über das Dasein machten.

      In meinen Ausführungen über meine Vorstellungen vom Leben, baute ich immer wieder den Wunsch, meine Erfahrungen mit Drogen bestätigt – oder widerlegt – zu wissen. Irgendwann stellte mir Tommy die Frage, ob ich schon einmal etwas geraucht hätte. Endlich war ich am Ziel. Jetzt hieß es, vorsichtig zu agieren. Obwohl das Äußere meiner neuen Bekannten dem gängigen Klischee der Aussteiger und Rauschgiftsüchtigen am ehesten entsprach, legten sie Wert darauf inkognito zu bleiben. Ich wollte sie daher keinesfalls durch eine unbedachte Äußerung vergraulen. Es bestand kein Zweifel, dass seinem Wesen eine gewisse paranoide Unsicherheit innewohnte. Denn jedes Mal, wenn Tommy Rauchen, oder Haschisch sagte, drehte er den Kopf flink nach links und dann nach rechts – eine einstudierte Geste, die längst zum Reflex geworden ist. Vielleicht wollte er auch sicher sein, dass uns niemand belauschte. Auf mich wirkte sein Betragen konstruiert. So konnte ich die Situation einschätzen und erkannte, dass ich auf dem richtigen Weg war, wenn ich etwas über Drogen erfahren wollte.

      Er genoss es über einige Themenkreise, die mich offensichtlich interessierten, Bescheid zu wissen und sich mit einer Aufklärung Zeit zu lassen. Trotzdem er mit beträchtlichem Klassendünkel sein Geheimnis noch nicht preisgab, steckt mehr hinter seiner Illustration des Insiders. Ich spürte mit jeder Faser meines Körpers, dass hinter der Fassade des Verbotenen, welches unter höchster Geheimhaltungsstufe weiter gegeben wurde, eine tiefere Suche nach der Wahrheit lag, an der ich nunmehr beteiligt war. Ich wurde zum Mitglied einer verschworenen Gemeinschaft, die am Weg war, hinter das Mysterium aller Existenzen zu blicken. Ich wurde nach bestimmten Kriterien – ihnen gefiel mein brillanter Geist und meine sprühende Fantasie – ausgesucht, um mich aktiv, mit einem genau definierten Aufgabenbereich zu beteiligen.

      Als ich mich wieder mit Jimi im Buwo traf, stellte er mir die Frage, ob ich mit Tommy schon eine Unterhaltung geführt hatte. Ich bejahte, und er nickte nur schweigend und schien beruhigt, ohne weiter seine Frage zu erläutern. Ich drang nicht weiter in ihn. Dann tauchte Tommy auf und die beiden tuschelten hinter der schweren Gardine vor den Toiletten, die anscheinend nur dazu aufgebaut waren, um wichtige Konferenzen abzuhalten. Tommy telefonierte kurz vom Automatentelefon neben der Theke und warf mir während seines Gespräches tiefe, ernste Blicke zu.

      »Hast du Zeit heute?« fragte er, nachdem er zu Tisch zurückgekehrt war.

      »Den ganzen Tag, wenn es sein muss!« gab ich aufgeregt zur Antwort.

      Dann gingen wir die Josefstädter Straße über den Gürtel hinauf zum Brunnenmarkt und er hielt den Kopf gesenkt, als wäre er in tiefen Gedanken versunken. Wir betraten ein Haus mitten am Markt. Im fünften Stock wurden wir schon erwartet. Es war Mike, ein Bursch mit kurzem, rotem Haar, der uns mit spöttischem Grinsen die Türe zu einer geräumigen Dachwohnung öffnete. Ich kannte ihn bereits vom Sehen. Er gehörte ebenfalls zur Hofrunde, die gegen den Uhrzeigersinn wanderte und schwarze Brillen trug. Ihn hatte ich nicht erwartet. Die Überraschung war perfekt, ich wurde mit einem knappen Gruß bedacht und er schüttelte mir fest die Hand. Er hob den Kopf und ich wusste, er wollte meine Namen wissen.

      Ich sagte: »Arthur!« und er sagte: »Angenehm, Mike!«

      Dann kicherte er. Vielleicht lachte er über mich, doch ich musste genauso lachen. Unser knappes Gespräch war wie in einem alten Film. Er führte mich durch mehrere Räume, bis wir in sein Privatgemach gelangten. Die Wohnung war großzügig angelegt. Mikes Eltern dürften wohlhabend gewesen sein. Dort roch es nach teuren Räucherstäbchen und parfümierten Zigaretten. Er bot Tee an und gab sich ansonsten wortkarg, während er andauernd grinste und mir wiederholt streng in die Augen blickte und dann nickte. Es war eine äußerst geheimnisvolle Begegnung. Ich konnte es kaum fassen, bis ins Zentrum des Zyklons vorgedrungen zu sein. Nun saß ich tatsächlich bei den Alten, und die unmögliche Hürde, die ich in dem Schulgebäude gespürt hatte, war niedergebrochen. In den Gängen während der Pausen heischte