Smartphone, Sorgen und Salbei. Karin Firlus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karin Firlus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746793252
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kannte, ihr Handy aus der Jeanstasche und bellte: „Ja?“ Es klang durchaus professionell und ich hoffte, dass sie in ihrer vermeintlichen Frühstückspause keine Firmengeheimnisse ausplaudern würde, da ja jeder Umstehende das Gespräch würde mitanhören können bzw. müssen.

       Aber ihre Antwort zerstreute meine Befürchtungen: „Nää, isch bin grad beim Ladi. Awwa do hänn se aah kä Läptops mehr. Isch kumm hääm un dann fahre ma glei ins Mediacenter. Isch bin doch ned bleed!“

       Nachdem ich noch einige ähnlich „wichtige“ Telefonate in der Öffentlichkeit hatte mitanhören müssen, weil die körperliche Nähe zu den Telefonierenden unumgänglich war, beschloss ich, ohne dieses neumodische Rauchsignal auskommen zu wollen. Erst viel später, als so ziemlich jeder außer mir und meiner Mutter Handybesitzer war, reihte ich mich in die Massen derer ein, die „ohne“ nicht mehr leben konnten. Schließlich konnte ja wirklich einmal ein Fall eintreten, in dem ich es brauchen würde: Ich bin abends allein unterwegs, es ist spät und ich finde in dem großen Parkhaus mein Auto nicht wieder; oder ich entdecke in einer Apotheke die Umschau und weiß nicht, ob meine Mutter sie schon hat oder ob ich sie ihr mitbringen soll, damit sie die Rätsel bearbeiten oder sich darüber informieren kann, was es alles für Krankheiten gibt, die sie rein theoretisch alle bekommen kann oder schon haben könnte, ohne es zu wissen. Und kaum hatte ich ein Handy, mit dem ich telefonieren und sogar sogenannte SMS-Nachrichten verschicken konnte, kamen diese neuartigen Smartphones auf den Markt.

       Nun stelle ich an diesem Morgen zum ersten Mal bewusst fest, dass heutzutage wohl jeder, der etwas auf sich hält, solch ein internetfähiges kleines Telefon sein Eigen nennt. Ich brauche solch ein Teil definitiv nicht auch noch und frage mich, wo die vielen Handys geblieben sind, die als Smartphones natürlich nicht genutzt werden können, da sie zu klein sind. Wie werden sie entsorgt?

      Ich trinke mein Wasser leer und beschließe, mich doch früher als elf Uhr meiner geduldig wartenden Arbeit zu widmen. Irgendwie fühle ich mich in diesem Café wie eine Außenseiterin, denn ich kann mich weder in die Gruppe der wenigen Leute einsortieren, die eher im Alter meiner Mutter sind, noch gehöre ich zu den eifrigen Smartphonenutzern.

       Wo also ist meine Nische? Gibt es so jemanden wie mich eigentlich noch? Vielleicht wird es Zeit, dass ich in meinem Leben etwas ändere, wenn ich nicht zum sprichwörtlichen alten Eisen gehören will.

      Auf dem Weg zum Parkplatz hole ich das nach, was ich in früheren Zeiten bei einem Kaffee und der Tageszeitung genossen habe: Ich rauche eine Zigarette und ignoriere die mahnenden Blicke etlicher Zeitgenossen, die mir wieder vor Augen führen, dass Raucher heutzutage zu wahren Außenseitern geworden sind. Blicke anderer Art, nämlich bewundernde oder zumindest interessierte von Männern meines Alters, kann ich keine entdecken. Ich scheine, zumindest als Frau, unsichtbar geworden zu sein.

       Unfreiwillig und kostenlos bekomme ich noch Ratschläge für eine gesunde Lebensgestaltung. Die Auslagen in einer Apotheke preisen ein neues Schlankheitsmittel an, das „garantiert innerhalb kürzester Zeit zum gewünschten Erfolg“ führe. Auf der Titelseite einer Frauenzeitschrift prangt die erschlankte Figur eines weiblichen C-Promis mit der fetten Überschrift: „Die neue Herbstdiät ohne Jojoeffekt!“

       Ich frage sich, wie lang es gedauert hat, die wirklichen Kurven mit dem entsprechenden Computerprogramm zu retuschieren. Dennoch kaufe ich anschließend in der Bäckerei an der Ecke ein Kilo Brot mit mindestens 70% Roggenanteil anstatt das frische Baguette, das mich anlacht. Bin ich doch nicht so immun gegen jegliche Art von Werbung, wie ich immer geglaubt habe?

       Ich schaffe es locker, kurz nach halb elf im Büro einzulaufen.

      Kapitel 1: Der Schock

      „Sie sind zu alt - und zu teuer! Das kann unsere Firma sich auf Dauer nicht leisten.“ Er sagte es völlig emotionslos, so, als sei dies eine unumstößliche Tatsache.

      Irene stand da und starrte ihren Chef an. Sie war gerade von ihrem Zahnarzttermin gekommen und sogar eine halbe Stunde früher als angekündigt im Büro zurück. Am Tag zuvor war er auf einer Konferenz gewesen; er hatte ihr nicht einmal telefonisch zu ihrem Fünfundfünfzigsten gratuliert. Anstatt es jetzt nachzuholen, hatte er sie in sein Büro zitiert und ihr dieses Urteil an den Kopf geknallt.

      Sie schluckte krampfhaft den Kloß in ihrem Hals hinunter und sah ihm, unter Aufbietung all ihren Mutes, in die Augen. „Und was heißt das jetzt konkret?“

      „Dass ich alles versuchen werde, Sie innerhalb der nächsten zwölf bis maximal vierundzwanzig Monate loszuwerden!“ Sein Blick glitt von ihrem Gesicht zu seinem Computerbildschirm und seine Hand griff zum Telefon – das Gespräch war von seiner Seite aus beendet.

      Irene drehte sich um, ging ins Vorzimmer zurück, schloss energisch die Tür zu seinem Büro und sank auf ihren Bürostuhl.

      ‚In ein bis zwei Jahren …‘ Ihre Gedanken rasten. Mit spätestens siebenundfünfzig würde sie auf der Straße stehen, ohne die geringste Chance, in diesem Alter noch eine bezahlte Arbeit zu finden. Sie wäre zwei Jahre arbeitslos gemeldet und danach „auf Hartz IV“. Nach achtundzwanzig Jahren, in denen sie sich mit guter Arbeit und Engagement für „ihre“ Firma eingesetzt hatte, einfach so abserviert. Unvermittelt schossen ihr Tränen in die Augen.

      Ihre Kollegin kam mit einem Becher Latte Macchiato herein. „Nanu, was ist denn mit dir los?“

      Irene wischte sich übers Gesicht. „Meinert hat mir soeben angekündigt, dass ich zu alt und zu teuer bin, deshalb will er mich so schnell wie möglich hier rausekeln.“

      Britta schlürfte von ihrem Latte. „Nun, es ist ja kein Geheimnis, dass er die Firma verschlanken will. Und das heißt eben auf gut Deutsch, dass er die alten Mitarbeiter loswerden muss.“

      „Alt?“ Irene sah ihre zwanzig Jahre jüngere Kollegin schockiert an. „Ich bin doch nicht alt! Ich arbeite erst seit knapp dreißig Jahren für diese Firma. Der Vater von unserem letzten Chef hat mich damals eingestellt. Und sowohl er als auch sein Sohn waren immer mit meiner Arbeit zufrieden!“, fügte sie trotzig hinzu.

      „Sag ich doch. Du arbeitest hier seit Ewigkeiten. Und du musst doch zugeben, dass du nicht mehr so schnell bist wie früher und so flexibel auch nicht mehr.“

      Irene funkelte Britta ungehalten an. „Das mag wohl sein; dafür kenne ich die Firma in- und auswendig. Wer hat dir denn alles beigebracht, als du vor zwei Jahren hier angefangen hast?“

      „Das warst du. Aber allmählich gehst du auf die sechzig zu und bist eben nicht mehr so leistungsfähig wie früher. Der Meinert versucht doch, seit er vor achtzehn Monaten hier anfing, den Gewinn der Firma immer mehr zu steigern. Das wird von den Topmanagern heutzutage erwartet. Gewinnmaximierung, nichts anderes zählt. Das bedeutet, er braucht ein top leistungsstarkes Team und somit möglichst viele junge Mitarbeiter, die schnell arbeiten und sich auf neue Situationen direkt einstellen können.“

      Irene schwieg. Schnell und flexibel zu sein war ihrer Meinung nach nicht das einzig Wichtige bei der Arbeit. Man musste auch genügend Kenntnisse und Erfahrung einsetzen können. Daran mangelte es vielen jüngeren Mitarbeitern; auch an der Einstellung zur Arbeit.

      Irene erinnerte sich an das letzte Mal, als Azubis nach ihrer Prüfung übernommen werden sollten: Ein einziger war es nur; die anderen fünf, die zuvor in der Firma gelernt hatten, waren nicht gut genug. Und an neuen Azubis hatten sie nur zwei eingestellt, obwohl sie wesentlich mehr hätten gebrauchen können; doch viele junge Leute heutzutage brachten noch nicht einmal die wichtigsten Voraussetzungen mit, wie eine ordentliche Rechtschreibung und zumindest die Kenntnis der Grundrechenarten.

      Aber, dachte Irene, für Britta sah das anders aus; sie als Fünfunddreißigjährige und nur zweite Schreibkraft bekam längst nicht so viel Gehalt wie Irene. Dass ihre Briefe fast immer vom Chef verbessert zurückkamen und Irene meist diejenige war, die Überstunden drosch, weil Britta ja ihr Privatleben pflegen musste, vergaß sie ganz offensichtlich.

      Mit einem Mal schoss Irene vor Wut die Röte ins Gesicht. Britta hatte nicht einmal überrascht gewirkt über Meinerts Absichten. Ob sie bereits davon gewusst hatte? Irene fing an zu schwitzen; sie würde ab