Bärenjäger. Thomas de Bur. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas de Bur
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742723147
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Er zwang sich flach zu atmen, um jedes Geräusch zu vermeiden. Die eine Stimme gehörte seinem Vater. Er fragte gerade: »Bist du sicher?« Die andere Stimme antwortete leise und flüsternd, doch Johan erkannte sie sofort. Es war die Stimme von Stellan. »Ja, es gibt keinen Zweifel. Deine Kinder haben mir ungefähr die Richtung gezeigt. Ich bin dann sofort dort hin und habe mit meinem Hund gesucht. Nach Stunden hatten wir es endlich gefunden. Es war ein junges, totes Rentier, dem der Bauch aufgeschlitzt worden war. Jappo stürzte sich sofort darauf und fraß daran. Ich riss ihn zwar sofort weg, als ich ankam, doch es war leider zu spät. Er ist eine Stunde später gestorben. Das kleine Rentier war vergiftet.« Es herrschte kurze Stille. »Wer tut so etwas bloß? Und warum?« Johans Vater war erschüttert. »Es tut mir sehr leid um Jappo. Er war ein ausgezeichneter Jagdhund«, fügte er traurig hinzu und legte Stellan tröstend die Hand auf die Schulter. Stellan nickte dankend für die Anteilnahme, aber das hörte Johan natürlich nicht. »Ich weiß nicht, wer dahinter steckt, Hubschrauber gibt es hier inzwischen viele. Aber es muss etwas Bedeutendes sein und viel Geld muss dahinter stecken, sonst würde niemand dieses Risiko eingehen. Solange wir nichts beweisen können, werden wir den Behörden nichts darüber berichten. Wir müssen vorsichtig sein und vor allem, wir müssen das Tal schützen.« »Du hast recht, Stellan«, antwortete Johans Vater. »Ich möchte, dass wir Johan als Unterstützung nehmen. Er liebt die Natur und er wird alles tun, um sie zu verteidigen. Bitte zeige ihm, was du mir gezeigt hast.« Der alte Stellan lächelte: »Ja, Johan wird ein großer Jäger, das habe ich gesehen. Schick ihn gleich morgen zu mir.« Johan schluckte. Er konnte das alles noch nicht begreifen, aber es war unglaublich, was er da gehört hatte. Er erschrak, das Gespräch schien vorbei zu sein. Sie würden ihn bestimmt entdecken. Schnell entwischte Johan um die Ecke in den Schatten der Scheunenseite. Kaum war er um die Ecke herum, öffnete sich die Tür und die Beiden traten nach draußen. »Gute Nacht, Stellan«, flüsterte Johans Vater. »Gute Nacht«, kam eine leise Antwort. Johan konnte beobachten, wie sein Vater über den Hof ging und die Haustür öffnete. Drinnen wurde kein Licht gemacht, sein Vater schien direkt ins Bett zu gehen. Zur Sicherheit rannte Johan diesmal hinter der Scheune entlang bis zu den beiden trinkenden Kobolden. Von dort pirschte er wieder geduckt zum alten Klohäuschen und nachdem er noch einmal genau gehorcht hatte, ob alles ruhig war, schlich er das letzte Stück bis zu seinem Fenster. Dort stockte er. Lautlos hineinklettern ist schwieriger, als lautlos heraus springen. Johan überlegte angestrengt. Sein Vater schlief sicher noch nicht und wenn er sich ins Fenster stemmte und mit seinen Füssen an der Wand unter seinem Fenster nachhalf, könnte sein Vater ihn hören. Er schaute sich nachdenklich um. Ein paar Meter entfernt stand ein Holzwichtel im Gras und glotzte ihn mit verschränkten Armen tadelnd an. Johan ignorierte den Blick, neigte den Kopf etwas und schürzte abschätzend die Lippen. Ja, so könnte es gehen. Mit ein paar Schritten war er beim Wichtel, hob ihn leise ächzend hoch und stellte ihn unter sein Fenster. »Entschuldigung«, murmelte Johan leise. Nun war es kein Problem. Lautlos und flink kletterte er in sein Zimmer, schloss das Fenster und setzte den Troll auf die Fensterbank zurück. Als er unter seiner Bettdecke lag, pochte sein Herz immer noch bis zum Hals. In seinem Kopf rauschte es. Immer und immer wieder ging er das Gehörte im Geiste durch. Vergiftetes Rentier. Viel Geld. Tal schützen. Vorsichtig sein. Jäger werden. Er verstand das alles nicht. Er hatte einen ganzen Sack voller Fragen. Er war verwirrt, doch er hatte auch ein schlechtes Gewissen. Es war ein Fehler gewesen, seinen Vater und Stellan zu belauschen. Johan warf dem Wurzeltroll einen bösen Blick zu, aber der spähte schon wieder teilnahmslos aus dem Fenster.

      6

      Am nächsten Morgen war Johan früh wach. Ohne sich auf den Kampf mit seinem weichen Bett einzulassen, stand er auf und zog sich an. Dann ging er in den Wohnraum, um nachzusehen, ob seine Eltern schon aufgestanden waren. Er sah ernst aus. Seine Mutter machte am Herd Wasser heiß. Sie blickte ihn erstaunt an. »Du bist ja früh auf, heute Morgen«, meinte sie. Ohne darauf einzugehen, fragte Johan, ob sein Vater schon auf war. »Ja, er holt mir gerade Holz«, antwortete sie ihm. Die Frage, was er denn auf dem Herzen hätte, war auf ihrem Gesichtsausdruck nicht zu übersehen. »Danke«, sagte Johan knapp und lief nach draußen. Sein Vater war beim Holzvorratsschuppen und schichtete Holzscheite in einen Korb. Johan hörte, wie die Holzscheite aufeinander klackten. Schnell rannte er über den Hof zu ihm hin. »Vater, darf ich kurz mit dir reden?« fing er an. Sein Vater unterbrach seine Arbeit, blickte ihn an und erwiderte überrascht: »Guten Morgen Johan, ja natürlich.« Johan druckste jetzt etwas herum. Sein Mut entwich ihm gerade wie die Luft bei einem aufgeblasenen Luftballon, dem der Verschluss seiner Öffnung abhanden gekommen war. »Ich möchte mich entschuldigen«, begann Johan und schaute betreten zu Boden. Seinem Vater standen Fragezeichen im Gesicht, doch er sagte nichts. »Ich habe einen Fehler gemacht«, stotterte Johan weiter. Sein Vater reagierte immer noch nicht, aber böse sah er auch nicht aus. »Gestern Nacht«, erzählte Johan stockend, »ich habe dich und Stellan belauscht und das tut mir leid.« Johan stand vor seinem Vater, hatte die Hände hinter dem Rücken versteckt und traute sich nicht, seinem Vater in die Augen zu sehen. »Alle Achtung, da warst du aber leise«, meinte dieser anerkennend. »Dann brauche ich dir ja nicht so viel zu erklären. Ich nehme deine Entschuldigung an und freue mich, dass du es mir gesagt hast.« Johan spähte vorsichtig in das Gesicht seines Vaters, der lächelte jedoch freundlich. »Stellan hat mir, als ich so alt war wie du, alles über den Wald und über das Jagen beigebracht. Es gibt niemanden in ganz Lappland, der soviel weiß wie Stellan. Ich möchte, dass auch du alles von ihm lernst, damit du uns helfen kannst. Willst du das tun?« Johan war erleichtert. »Ja, das will ich gerne tun«, antwortete er mit einem Kloß im Hals. »Gut. Heute ist Samstag, du hast keine Schule. Geh nachher gleich zu ihm, er wartet auf dich«, dann schulterte sein Vater den Korb mit Holz und sie gingen gemeinsam ins Haus. Als sie zur Tür herein traten, stand Johans Mutter am Tisch und verteilte die Frühstücksteller. Sie schaute ihnen neugierig entgegen, doch als sie die Gesichter der Beiden sah, war sie beruhigt und deckte weiter den Tisch. Lena war inzwischen auch wach. Sie tanzte gerade in den Wohnraum und sang vor sich hin. Johans Augen blitzten plötzlich schelmisch und unvermittelt griff er mit beiden Händen zu, fasste Lena unter den Achseln und wirbelte sie ein paar Mal im Kreis um sich herum. Lena quiekte vor Vergnügen. Johan setzte sie vorsichtig ab und lachte sie an. Jetzt fühlte er sich wieder gut. Ein paar Minuten später saßen alle am Tisch. Gerade wollten sie mit dem Frühstück anfangen, als sie einen Automotor hörten. Es hupte jemand ungeduldig. Ein Wagen fuhr auf den Hof. Johans Vater stand auf. »Ich gehe nachsehen«, sagte er und verließ das Haus. Eine Autotür schlug zu. Lena und Johan spitzten die Ohren. Einige Minuten saßen sie da und lauschten. Plötzlich vernahmen sie, wie ihr Vater aufgebracht rief: »Nein habe ich gesagt.« Ihre Mutter sah jetzt besorgt aus. Plötzlich wurde die Haustür heftig aufgestoßen, gleichzeitig hörte man wieder eine Autotür zuschlagen und das Starten des Motor. Mit durchdrehenden Reifen fuhr der Wagen los, wendete auf dem Hof und heizte davon. »Was ist passiert«, fragte die Mutter erschrocken. Der Vater stand aufgeregt vor ihnen. »Es war der reiche Rentierzüchter aus dem Dorf«, erzählte er mit bebender Stimme. »Er wollte mich für eine Holzfällerarbeit anwerben. Er will in den Wald eine viele Kilometer lange Schneise schlagen lassen, um seine Rentiere mit dem Hubschrauber da hindurch treiben zu können. Er sagt, er will noch mehr Rentiere kaufen und er spart mindestens zwei Tage Zeit, wenn der Wald dort weg ist. Er hat anscheinend den ganzen Wald aufgekauft. Ich habe keine Ahnung, woher er soviel Geld hat. Ich habe abgelehnt. Dabei mache ich nicht mit.« Lena und Johan blickten Ihren Vater mit aufgerissenen Augen an. Noch nie hatten sie Ihren Vater so erbost gesehen. Johan hallte das Wort »Hubschrauber« im Kopf herum. War der Rentierzüchter derjenige, der das vergiftete Tier im Wald abgeworfen hatte? Ihre Mutter stand auf und umarmte ihren Mann. »Ich denke, du hast dich richtig entschieden.«

      7

      Am Frühstückstisch herrschte jetzt gedrückte Stimmung. Jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt. Lena krümelte an ihrem Brot herum, als sie unvermittelt den Kopf hob. »Mutter, woher weiß man, das man etwas richtig entschieden hat?« Die Mutter erwiderte nach kurzem Zögern:»Es gibt zum Einen viele Gesetze. In denen steht, was man nicht machen darf. Wenn man sich daran nicht hält, wird man bestraft. Zum Beispiel ist es verboten einem Menschen Schaden zuzufügen. Dann gibt es noch ungeschriebene Gesetze, wie man sich verhalten sollte. Und es gibt das innere Gefühl, das jeder hat. Das sagt einem meistens, ob etwas richtig oder falsch ist.« Lena zog die Stirn kraus und dachte nach. »Steht in