Bärenjäger. Thomas de Bur. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas de Bur
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742723147
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das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Knusprige Rentierfleischbällchen, mit Semmelbröseln panierte Elch–Wallenberger, sahniger Kartoffelbrei und leckerer Preiselbeerkompott lachten ihn lockend an. Die Krönung waren jedoch die Schokoladenkugeln mit Kokosraspeln. Ein ganzer Teller voll stand vor ihm auf dem Tablett. Johan strahlte und rief: «Lena, komm und hilf mir.« Lena wartete wohl direkt hinter der Tür, denn kaum hatte er ausgesprochen, sauste sie schnell wie ein Wirbelwind durchs Zimmer und sprang aufs Bett. Bevor Johan richtig gucken konnte, hatte sie sich den größten Elch–Wallenberger geschnappt. Johan gluckste wohlwollend, nun konnte das Schlemmerfest beginnen. Mit einem Rentierfleischbällchen in der Linken und einem panierten Elch–Wallenberger in der Rechten saßen sie sich gegenüber, kauten fröhlich vor sich hin und schmunzelten sich an. Johan nahm einen großen Elch–Wallenberger und legte ihn zur Seite. »Den bekommt Bamse.« Es dauerte gar nicht lange, da war alles aufgegessen. Satt, zufrieden und in sich gekehrt hockten sie noch eine Weile einfach da. Irgendwann stand Lena auf und nahm die leeren Teller und das Tablett. »Gute Nacht Johan, danke schön«, sagte sie, lächelte ihn an und schwebte hinaus. Seine Eltern schauten noch kurz zu ihm herein und wünschten ihm ebenfalls eine gute Nacht. Dann schlossen sie die Tür. Johan lag noch eine ganze Weile wach. Er war aufgewühlt und durcheinander, aber auch sehr stolz auf sich. »Es ist ganz schön cool ein Held zu sein«, dachte er.

      4

      Früh morgens kann es ganz schön unheimlich sein. Mysteriöse, milchig-schimmernde Nebelschwaden lösen sich aus den Poren geheimnisvoller Wassergeister und schleichen als weiche, wachsende Wattebausche durch die mit glitzerndem Licht gefüllte Welt. Wahrscheinlich sind es gar keine Nebelschwaden, sondern der Atem eines scheuen, uralten Kältewesens, das nur nicht entdeckt werden will. Johan bettete seinen Kopf zurück in sein weiches Kissen. Jeden Morgen faszinierte ihn das Schauspiel. Normalerweise müsste man raus gehen und staunen. Johans Bett stand zwar so, dass er wunderbar aus dem Fenster gucken konnte, aber es auch zu fühlen war immer besser. Ziemlich gerädert war er heute und noch total müde. Er hatte nur etwa vier Stunden nach dem nächtlichen Festmahl geschlafen. Sein Bett war warm und kuschelig weich. Es hielt ihn fest umschlungen. Johan hatte Muskelkater in Armen und Beinen. Heute war er nicht imstande sich gegen die Umklammerung des Bettes zu wehren. Viel zu schwach fühlte er sich. Jetzt wollte er noch nicht aufstehen, er musste auch diesen schönen Traum von eben weiter träumen. In diesem Moment ging die Tür auf und seine Mutter schaute ins Zimmer. »Aufstehen Johan, Frühstück.« Johan blickte sie an und wollte gerade antworten, dass er heute etwas länger ausruhen musste. Dann fiel ihm jedoch ein, dass er dadurch die Zeit mit Lena und seinen Eltern am Frühstückstisch verpassen würde. Gemeinsames Frühstücken und Abendessen waren heilig. Also stand Johan mühsam auf. Frühstückszeit war auch Entscheidungszeit. Nicht immer im Sinne von Johans Wünschen, jedoch im Großen und Ganzen durchaus ausgewogen, wie er zugeben musste. Heute wollte er einen ruhigen Tag verbringen und angeln gehen. Er war sich sicher, dass er nicht zur Schule musste. Immerhin zwickte es überall und einen Tag Erholung brauchte er bestimmt noch. Seine Eltern und Lena saßen schon am Tisch, als Johan etwas leidend und mit gebrechlicher Körperhaltung zum Tisch schlurfte. »Johan, wenn du heute Mittag aus der Schule zurück bist, bring doch bitte dem alten Stellan ein Geschenk von uns. Ich werde eine Fleischpastete machen, darüber wird er sich freuen.« Wahnsinn, wie erschreckend laut sich diese zerstörerischen Detonationen anfühlen, wenn kleine Träume platzen. Die Schockwellen und Nachbeben, die von den umher fliegenden Traumfetzen verursacht werden, lassen manchmal sogar die Lippen zittern und Arme zucken. Johan brauchte eine Weile bis er sich gefangen hatte. »Muss ich heute wirklich schon zur Schule? Mir tut der ganze Körper noch weh. Das schaffe ich sicher nicht«, versuchte er das Blatt zu wenden. »Du hast den Fluss bezwungen, dann wirst du deinen Körper heute auch bezwingen«, meinte sein Vater daraufhin und damit war das Thema leider entschieden. Der kleine Troll, der auf dem Tisch neben dem Krug mit frischer Milch stand, hielt sich feixend den dicken Bauch. Auch hatte Johan ein bisschen den Eindruck, seine Eltern würden sich heimlich angrinsen, aber er ergab sich seinem Schicksal. »Ich helfe dir heute Nachmittag, wenn du das Geschenk zu Stellan bringst«, versprach Lena und blickte ihn dabei tröstend und verständnisvoll an. Der Vormittag in der Schule ging schneller herum als gedacht. Sicher hatte auch Lena dazu beigetragen. Sie musste allen ihren Freundinnen erzählt haben, dass sie von Johan aus dem Fluss gerettet wurde. Wie ein Lauffeuer fraß sich die Neuigkeit durch die ganze Schule. Die hochansteckenden Neugierdeviren huschten wieselflink von einer Ecke zur anderen und infizierten alle erreichbaren Kinder und Lehrer mit diesem unglaublichen Hunger nach wichtigen und unwichtigen Informationen. Es brach quasi eine Epidemie aus. In den Pausen wurde überall getuschelt und Johan wurden viel sagende Blicke zugeworfen. Mädchen lächelten ihn verträumt an und waren komischerweise immer irgendwo in seiner Nähe. Ziemlich verwirrend fand Johan das Verhalten seiner Mitschülerinnen, doch es schmeichelte ihm. Als er seinen Freunden erzählen musste, wie das im Fluss genau war, konnte man seine stolzgeschwellte Brust deutlich erahnen. Selbst die Lehrer wollten ihre Neugierde befriedigen und so verbrachte Johan den Deutschunterricht damit, sein Abenteuer ausführlich zu erzählen. Im Physikunterricht demonstrierte der Lehrer, welche Kraft das Wasser entwickeln kann und wie man sie nutzen könnte. Dabei wollte er von Johan andauernd wissen, wie stark ungefähr das Wasser im Fluss war. Nur der Englischlehrer übertrieb etwas, denn bei ihm musste Johan das Ganze in Englisch berichten. Als Johan mittags wieder zu Hause ankam, legte er sich eine kleine Weile erschöpft auf sein Bett, träumte vor sich hin und dachte an die Mädchen in der Schule. Der Vormittag hatte Spuren hinterlassen. Am frühen Nachmittag packten Lena und Johan die leckere Fleischpastete in einen Rucksack, nahmen Bamse an die Leine und machten sich auf den Weg zu Stellan. Stellan war ein alter Same und lebte zurückgezogen in einer kleinen Hütte oben am Fluss. Er war bestimmt über siebzig Jahre alt. Johan und Lena kannten ihn nicht sehr gut. Stellan kam nur ab und zu auf den Waldhof, um ihren Vater abzuholen. Die Beiden gingen regelmäßig zusammen in den Wald. Was genau sie im Wald machten, wussten Lena und Johan nicht. Etwa zwei Kilometer hatten sie bis zu der Hütte von Stellan zu laufen. Sie wählten den Weg oberhalb des Flusses, durch den Wald. Vom Waldhof aus ging es erst über die Wiese bis zum Waldrand, dann im Wald immer parallel zum Fluss. Man konnte ihn die ganze Zeit von oben sehen oder man hörte das gleichmäßige Plätschern und Rauschen. Die Sonne schien strahlend und nur ein paar Schleierwolken schwebten lautlos über den Himmel. Es würde garantiert trocken bleiben. Im Wald gab es keine Wege, doch das gefiel Lena und Johan besonders gut. Lena hüpfte die ganze Zeit um Johan herum und suchte den Boden ab. Der Waldboden federte wie ein weicher, flauschiger Teppich. Alte, verdorrte Nadeln der Fichten und Kiefern mischten sich mit Birkenblättern, Zapfen, Federn, Holzstückchen und knorrigen Wurzeln. Überall wuchsen kleine, grüne Inseln mit Blaubeerbüschen und Waldmeister. Es roch wunderbar würzig. Lena fand einen großen Käfer und nahm ihn auf die Hand. Ein schwarz glänzender, dreigeteilter Panzer schützte das zerbrechliche Tier. Am Maul hatte es zwei Furcht einflößende Zangen, die es immer auf und zu klappte. Wenn man es vorsichtig auf die Hand setzte, verursachten die Beine mit den Widerhaken ein witziges Zwicken auf der Haut. Man erwartete, dass es wehtun würde, weil die Haken und Zangen so gefährlich aussahen, doch man fühlte nur ein ganz leichtes, raues, hakiges Tapsen. Bamse schnüffelte an dem Käfer auf Lenas Hand, aber er zuckte sofort zurück. Der Käfer war ihm wohl nicht geheuer. Vorsichtig setzte Lena den Käfer zurück auf den Waldboden. Ein paar hundert Meter weiter hockte zwischen zwei kunstvoll verschnörkelten Kiefern ein Eichhörnchen herum und knabberte an einem alten Zapfen. Bamse hatte es sofort entdeckt. Er stoppte und blieb angespannt stehen. Lena und Johan sahen es dadurch auch. Das Eichhörnchen ließ sich nicht stören und mümmelte vor sich hin. Doch plötzlich hielt es abrupt inne und erstarrte. Bamse stieß ein leises Winseln aus, schaute nach oben und spitzte die Ohren. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Bamse wurde nervös und tänzelte auf der Stelle. Lena und Johan lauschten angestrengt und bald war es auch für sie zu hören. Ein dröhnendes Knattern näherte sich. Es hatte Ähnlichkeit mit den bollernden Fehlzündungen eines alten Autos, nur viel dumpfer und gleichmäßiger. Sie suchten aufmerksam den Himmel ab. Um die Beiden herum kam Bewegung in den Wald. Das Eichhörnchen flüchtete panisch einen Stamm hinauf. Mehrere Vögel flatterten aufgeschreckt durch die Äste der Bäume. Bamse winselte wieder. Irgendwann wussten die Beiden, was es war. Ein Hubschrauber flog über den Wald und kam genau in ihre Richtung. Er war wahnsinnig laut. Es dröhnte knatternd und man hatte das Gefühl, dass der Hubschrauber Wellen ausströmte, die bis in den Körper zu spüren