»Er hat nichts auf den Servern im Weißen Haus. Er ist kein Anfänger. Und auch nicht auf seinem Notebook, falls er es im Büro gelassen haben sollte. Das ist ganz sicher. Seine Wohnung haben wir überprüft, da ist nichts. Vermutlich sind die vom Secret Service inzwischen auch dort gewesen. Aber er wird in Verdacht geraten. Schon in Verdacht geraten sein. Unsere Suche läuft, und wir werden ihn finden.«
»Hoffentlich. Weiter! Warum Freund Moore da war, ist klar. Auch die Schwester, und die wurde immerhin aus der Nähe von Annapolis herbeigeholt. Mindestens fünfundvierzig Minuten Fahrzeit. Sicherlich mit Sirenen und Blaulicht. Sie hatte die Mail ursprünglich erhalten. Sie musste gefragt werden, ob und gegebenenfalls wo sie ihre empfangenen Mails entschlüsselt abgelegt hatte und ob da irgendwer Zugang hatte. Nicht ganz unwahrscheinlich. Aber warum war Albert da? Er ist doch erst fünfzehn oder so.«
»Er soll sich ja nicht ganz so gut mit seinen Eltern verstehen. Aber er ist ein Computerfreak. Musste wohl gefragt werden, ob er geschnüffelt hat.«
»Hast du die Handynummer von Sinners? Hat er die höchste Stufe?«
»Ja.«
Während beide aufstanden und in das abschirmungsfreie Nebenzimmer mit dem Zugang zu Greys Büroapartment gingen, wählte Tessenberg eine Nummer auf seinem Smartphone.
»Tessenberg. Sind Sie in Ihrem Büro, Sinners? Können Sie reden?«
»Ja zu beidem, Sir. Ich soll im Weißen Haus bleiben, bis Walter, Walter Ingram, wiederkommt. Ich glaube, dass ich beobachtet werde.«
»Wird doch jeder im Weißen Haus«, konnte sich Tessenberg nicht zurückhalten und gab Grey sein Smartphone, während er gleichzeitig den Lautsprecher einschaltete.
»Hier ist Ernest Grey, Sinners.«
Sinners war nur kurze Zeit überrascht. »Sir?«
»Ich stehe hier mit Peter Tessenberg. Wann kommt Ihr Bericht?«
»Ich hatte ihn fast fertig, als Sie, ich meine Mr. Tessenberg, mich angerufen hat. Wie soll ich den Bericht übermitteln?«
»Schicken Sie ihn ganz normal wie immer, natürlich verschlüsselt! Was ich Sie jetzt frage, lassen Sie bitte weg im Bericht. Auch Ihre Antworten.«
»Sir?«
»Waren außer denen, die Sie Peter Tessenberg vorhin genannt haben, noch weitere Personen im Büro der First Lady? Vielleicht auch davor oder danach, falls Sie das wissen?«
»Bel war auch noch da, die Sekretärin von Mrs. Stonington. Sie heißt Belinda, glaube ich, aber den Familiennamen muss ich erfragen. Sie ging etwa zehn Minuten nach meiner Ankunft aus dem Büro, war aber noch im Vorzimmer, als ich dann ging.«
»Noch andere? Wurde mit Leuten telefoniert, die Sie nennen können?«
»Nein. Ich meine: Es wurde telefoniert, aber so leise, dass ich nichts mitbekommen habe.«
»Der Präsident hat offenbar sehr früh, gut eine Stunde bevor Sie hinzugerufen wurden, von dem Einbruch in das Mailsystem erfahren. Warum hat man Sie so spät gerufen?«
»Ich vermute, weil die First Lady von Walter wusste, dass ich im Wesentlichen andere Bereiche bearbeite als das Mailsystem. Ich bin auch zuvor noch niemals von Mrs. Stonington, ihrer Sekretärin oder dem Präsidenten wegen irgendwelcher Mailgeschichten gerufen worden. Außerdem sind ja auch noch die Secret-Service-Leute mit der Sicherheit befasst, vor allem Dr. Vermille. Und Moore kennt sich offenbar auch ganz gut aus; jedenfalls zeigte er Mrs. Stonington an ihrem Monitor irgendetwas bezüglich Löschungen, als ich in das Büro kam.«
»Wissen Sie, wann diese Leute in das Büro gekommen sind? Auch vor Ihnen?«
»Nein, ich kann nur sagen, wer da war, als ich kam, und was ich aus den Gesprächen entnehmen konnte.«
»Nämlich?«
»Charles Moore muss sehr früh dort gewesen sein. Er berichtete den anderen bei jeder Gelegenheit, wie entsetzt Mrs. und Mr. Stonington über die Mail gewesen seien. Es klang irgendwie so, als ob der Präsident erst nach Moore gekommen ist. Moore war sehr nervös und hat den Raum während meiner Anwesenheit mehrmals für kurze Zeit verlassen. Über Bel kann ich nichts sagen, sie ist ohnehin ständig mit Mrs. Stonington zusammen, allerdings auch mit Moore. Als ich gerufen wurde, waren beide Stoningtons, die Chefin vom Secret Service Krienitz, Mr. Joergensen und Dr. Vermille da. Und Albert Stonington. Dann kam noch die Schwester von Mrs. Stonington. Heißt Viola oder so ähnlich. Gleich darauf wurde ich entlassen.«
»Von wem?«
»Mrs. Krienitz sagte, dass ich gehen sollte. Sie verbot mir, über den Vorfall zu reden. Und sie sagte, dass ich zunächst weiter im Haus bleiben müsste, mindestens bis Walter zurück ist.«
»Haben Sie die fragliche Mail gesehen?«
»Nein, Sir.«
»Was meinen Sie zu der Sache mit der Mail?«
»Ich? Oh, Sir, ich denke, dass es falscher Alarm ist. Da ist niemand eingebrochen, da hat nur jemand seine Passwörter weitergegeben oder sie so aufbewahrt, dass man leicht herankommt. Und Mrs. Stonington wird keine Staatsgeheimnisse an ihre Schwester geschickt haben, davon können wir sicherlich ausgehen. Aber es macht eben einen großen Unterschied, ob jemand harmlose Mails von Jane Q. Public klaut oder von der First Lady.«
»Danke Sinners, sehr gut.«
Grey beendete das Gespräch. Er blickte zum Boden. »Jane Public, ha!«, stieß er hervor. Dann leise: »Der Boss, seine Frau, Moore, Belinda Rust«, sagte er leise ohne den Kopf zu heben und blickte Tessenberg mit weit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Scheiße«, antwortete Tessenberg.
Grey forderte Tessenberg auf, ihm den Bericht von Sinners sowie alle neuen Informationen zu der Sache bis spätestens 21 Uhr vorzulegen. Falls Walter Ingram gefunden würde, sollte Tessenberg ihn sofort anrufen. Außerdem sollte Tessenberg sich darauf einstellen, ihn morgen nach Washington zu begleiten und dort zur Verfügung zu stehen.
Die Männer gingen zurück in Greys Büro. Dort blinkte eine gelbe Lampe an der Gegensprechanlage. Grey drückte auf den Lampenknopf.
»Helen?«
»Ja, Ernie. Das Büro des Präsidenten hat angerufen. Du musst morgen bereits um 6 Uhr zur Konferenz in das Oval Office kommen.«
2
Es herrschte das allererste Morgengrauen, als Taylor und Zanolla ihren Wagen mit gelöschten Scheinwerfern und abgestelltem Motor auf dem Schotterweg vor die Hütte rollen ließen und anhielten. Zwei Autos, eine Limousine und ein Pick-up, parkten in einem nur mit Dach und Rückwand versehenen Unterstand rechts neben der Hütte. Der Pick-up war mit einem rostigen Metallgegenstand beladen, der am ehesten noch wie ein alter Küchenherd aussah. Zwischen Hütte und Unterstand war ein kleiner Generator aufgestellt. Er lief nicht, und auch er war lediglich mit einem Wellblech gegen Regen geschützt. Das obere Ende des Abgasrohres glänzte, als ob es verchromt oder aus nichtrostendem Stahl war. Fünfzig Schritte entfernt war das Seeufer zu erkennen. Der Wald reichte an den anderen Seiten bis fast an das Anwesen. Von den Bergen war nichts zu sehen.
»Der Ford, das ist sein Wagen«, sagte Zanolla und deutete auf den Unterstand.
»Ja. Dann wecken wir ihn mal.«
»Ihn und seinen Onkel. Wie kann man hier nur wohnen!«
»Er ist wohl ein Naturfreund, vermute ich. Komm!«
Die beiden Männer stiegen aus. Beim Näherkommen sahen sie, dass die Fenster bis auf eines offen standen - sicherlich wegen der sommerlichen Hitze - und mit Fliegengaze überspannt waren. Sie versuchten, etwas durch die Fenster zu erkennen, aber es war noch zu dunkel.
Sie gingen zur Tür, neben der eine brüchige Holzkiste mit Angelgerät stand. Taylor gab Zanolla Handzeichen, etwas zurückzutreten. Er selbst nahm neben der Tür Aufstellung, dann klopfte er laut gegen das