PRIM. Dietrich Enss. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dietrich Enss
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847621294
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dem Ende der sehr freundlichen und einvernehmlichen Gespräche mit Präsident Avtonoshkin und seiner Delegation hat Präsident Stonington wegen einer vordringlichen, privaten Familienangelegenheit das Treffen verlassen müssen und mich mit seiner Vertretung beauftragt. Bevor ich über das Treffen mit unseren russischen Freunden berichte, möchte ich jedoch Präsident Avtonoshkin das Wort geben. Anschließend stehen wir Ihnen gerne für einige Fragen zur Verfügung. Bitte, Mr. Präsident!«

      Avtonoshkin musste warten. Die Unruhe im Pressesaal wollte nicht enden. Die Journalisten telefonierten oder tippten eifrig Meldungen in ihre Geräte, die über das drahtlose Netz oder die Telefonleitungen des Weißen Hauses mit den Redaktionen verbunden waren. Die Kameras richteten sich nicht auf den russischen Präsidenten, sondern auf Joergensen, der vom Pult zurückgetreten war und leise mit einem der Secret-Service-Agenten sprach. Joergensen war klar, dass das amerikanisch-russische Treffen für die Presse jetzt völlig uninteressant war. Sie würden nachher nur nach den dringenden familiären Angelegenheiten des Präsidenten fragen, ob er krank sei, und ob es nicht in Wirklichkeit ein Zerwürfnis mit den Russen gäbe.

       * * *

      Um in das Büro des Direktors der NSA zu gelangen, waren insgesamt vier Sperren mit Personenkontrolle zu passieren, ohne die am Gebäudeeingang mitzuzählen. Peter G. Tessenberg, Leiter der Abteilung Innere Sicherheit und Stellvertreter des Direktors Ernest Brendan Grey, sprang eilig aus dem Wagen, durchquerte die Sperren mit minimalem Zeitverlust, während sein diensthabender Leibwächter, gestellt von der NSA-eigenen Schutztruppe für das Leitungspersonal, immer weiter zurückblieb. »Warten Sie am Chefportal!«, rief Tessenberg dem Officer zu. Das war eigentlich überflüssig, denn die Kontrollstelle am Zugang zu dem Bereich mit den Direktionsräumen und den Arbeitsräumen der Direktionsassistenten konnte das Schutzpersonal ohnehin nicht passieren. Es gab dort sogar einen Aufenthaltsraum für sie. Bei den beiden Sekretärinnen im äußeren Vorzimmer des Direktors wurde Tessenbergs Vorankommen merklich abgebremst. Ja, er hatte angerufen, und ja, der Direktor führe selbst ein längeres Telefongespräch. Tessenberg richtete derart bedrohliche Blicke auf die beiden Damen, dass ihm die Tür zum inneren Vorzimmer geöffnet wurde.

      »Er spricht, Peter«, sagte Helen Foster, kaum dass er eingetreten war. Die Sekretärin hatte Grey bereits gedient, als er noch von einer schäbigen Hütte in Grenada aus geheime Aktivitäten im Zusammenhang mit der Operation Urgent Fury organisiert hatte. Insgesamt achtundzwanzig Jahre lang hatten sie seitdem zusammengearbeitet, und während Grey in dieser Zeit diverse neue Posten beim Militär und den Geheimdiensten übernommen hatte, immer mit entsprechenden Karrieresprüngen, war Helen Foster eine unveränderliche Größe in Greys Leben geblieben.

      »Helen, Alarm ultra! Ich muss sofort zu ihm. Sag es ihm!«

      »Er spricht mit dem Weißen Haus. Mit dem Präsidenten.«

      Wie so oft missfiel Tessenberg der Ton, in dem Helen Foster mit ihm sprach. Es war aber völlig aussichtslos, wie er nach vielen Versuchen wusste, daran etwas zu ändern. Außerdem war jetzt wirklich keine Zeit für Aussprachen über persönliche Befindlichkeiten.

      »Ich weiß. Darum geht es. Er wird mich ohnehin gleich rufen. Helen, lass mich rein!«

      »Er hat gerade aufgelegt. Bitte!«

      Grey war sichtlich erregt und winkte Tessenberg heran. Der ersparte sich jede Begrüßung.

      »Es ist dringend, Ernie. Sicherlich die gleiche Sache, über die du gerade mit Stonington gesprochen hast.«

      Während Tessenberg dies sagte und im Sessel gegenüber von Grey Platz nahm, hatte der sich über ein Tableau auf seinem Schreibtisch gebeugt, eine Taste gedrückt und »Keine Störung, Helen!« gerufen.

      »Wer ist Ingram? Und wo ist er?«, fragte Grey, ohne auf Tessenbergs Äußerungen einzugehen.

      »Walter Ingram ist unser Mann im Weißen Haus, der für die Sicherheit der privaten elektronischen Kommunikation der Präsidentenfamilie zuständig ist. Du kennst ihn nur unter seinen Codenamen »Pink«. Er hat zwei Tage Urlaub genommen. Wir suchen ihn. Zuhause ist er nicht, und sein Smartphone ist abgeschaltet. Ich habe Sinners gesprochen und ...«

      »Dann ist das ja richtig übel! Ausgerechnet jetzt ist er nicht da. Und wer ist Sinners?«, unterbrach ihn Grey.

      »Unser zweiter Mann in der Hütte. Thomas Sinners. Er macht die peripheren Sachen. Und er vertritt Ingram in dringenden Fällen, wenn also nicht auf ihn gewartet werden kann.«

      »Der Präsident ist stinksauer. Er hat mich für morgen früh um halb sieben zu sich bestellt. Um halb sieben! Was weißt du, und was hat dieser Sinners berichtet?«

      »Ich erwarte seinen Bericht in jeder Minute. Er wurde um 17:20 Uhr von einem Secret-Service-Mann in Pamela Stoningtons Büro gerufen, das war fast eine Stunde nachdem der Präsident seine Teilnahme an der Pressekonferenz zum Treffen mit den Russen abgesagt hatte. Im Büro waren außer Pam der Präsident, Kathleen Krienitz vom Secret Service und Moore. Dann Dr. Vermille und der Sohn des Präsidenten, Albert. Kann Helen etwas hören?«

      »Nein.«

      »Es gefällt mir nicht, dass sie einen roten Terminal hat.«

      »Peter! Sie ist seit hundert Jahren meine rechte Hand. Und trotzdem bekommt sie die Passwörter nicht. Beruhige dich!«

      »Wir müssen gelegentlich über die Auslagerung der Dateien sprechen. Edwards sieht es auch so.«

      »Quatsch! Weiter. Vermille ist dieser Computerfreak, den Stonington beim Secret Service zur Wartung der Geräte der Familie untergebracht hat, nicht wahr? Warum so viel Familie und Freunde?«

      »Dr. Timothy Vermille. Der Präsident und er duzen sich, hat Ingram berichtet. Und was Familie und Freunde angeht: Versuch mal, das aus deren Sicht zu sehen. Pam Stonington erhält über ihren privaten Account eine Mail. Sie öffnet sie mit ihrem Schlüssel. Neben dem Text enthält die Mail die entschlüsselte Kopie einer offenbar sehr vertraulichen Mail«, Tessenberg betonte die letzten Worte und machte eine bedeutsame Pause, »von ihr selbst an ihre Schwester. Pam ist entsetzt. Sie ruft nach Walter Ingram. Und wie du sagst: Ausgerechnet heute ist er nicht da.«

      »Verdammt! Verdammt!«

      »Dann ruft sie natürlich ihre Schwester an. Dringendst. Sie soll sofort kommen. Sie kam kurz nach Thomas Sinners in Pams Büro.«

      Beide begannen gleichzeitig zu sprechen, und Grey hob die Hand um Tessenberg zu stoppen. »Was wollten sie von Sinners? Und hat er die Mail gesehen?«

      »Er wollte natürlich an ihren Terminal, um vielleicht anhand der Absender- und Verlaufsdaten in der Mail etwas herauszufinden. Aber Vermille und die Krienitz haben das verhindert. Offensichtlich hatten sie ihre Untersuchungen schon begonnen, und Sinners wurde mehrfach und sehr eindringlich gefragt, wo Walter Ingram erreicht werden könnte.«

      »Was er nicht wusste?«

      »Nein. Er kannte nur seine Telefonnummern, die waren aber den anderen auch bekannt. Er konnte nicht einmal Ingrams Adresse nennen, kennt sie nicht.«

      »Kann Sinners von seinem Büro aus auf Pam Stoningtons Daten auf dem Server zugreifen?«

      »Ingram konnte es, aber Sinners nicht. Aber vermutlich hatte der Secret Service den betreffenden Bereich auf dem zugehörigen Server im Weißen Haus bereits komplett gesperrt.«

      »Was wollten sie also von Sinners?«

      »Er sollte sagen, ob er irgendetwas über Fehler im Verschlüsselungsprogramm oder Lecks im System wüsste. Nein. Er sollte sagen, wer außer Pamela Stonington Zugriff auf ihre privaten Mails hat. Auf die verschlüsselten ein- und ausgehenden Mails nur Walter Ingram und Dr. Vermille und alle, die an den Vermittlungsstellen Datenströme abgreifen könnten. Auf entschlüsselte Mails nur die, denen die Stonington selbst Einblick gewährte. Dann sollte er sagen, wer die Mails entschlüsseln könnte. Nur Pamela Stonington, unter der Voraussetzung, dass sie ihr Passwort für ihren privaten Schlüssel nicht verriete.«

      »Großer Mist!« Grey lehnte sich in seinem Chefsessel zurück und schloss die Augen. »Lass uns mal zusammenfassen,