Zog es sie schnell zurücke,
Und warf sie zu der Rechten,
Und faltete die Hände,
Wie fromme Beterinnen,
Die Händ’ aus Andacht falten.
Ach! sprach ich zu den Brüdern,
Ach seht, das Mädchen betet!
Warum mag doch das Mädchen,
Den harten Himmel bitten?
Vernimm es, sprach ein Bruder:
Ich weiß, dass fromme Mädchen
Gott oft um Männer bitten,
Und dass sie oft, in Träumen,
Die Bitten wiederholen,
In Träumen Männer haben,
Und glauben sie zu küssen.
Dies glaub es, lieber Bruder,
Dies glaubet auch das Mädchen.
Gleich schlich ich zu dem Mädchen,
Und fragt es: Willst du küssen?
Da streckte mir das Mädchen
Die Lippen schnell entgegen,
Und eh ich sie berührte,
Ertönten schon die Schmätzchen.
Nun sagt einmal, ihr Schönen,
Zu mir und meinen Brüdern:
Ihr wollt nur immer küssen.
Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Der Flor
O Reize voll Verderben!
Wir sehen euch und sterben.
O Augen, unser Grab!
O Chloris, darf ich flehen?
Dich sicher anzusehen,
Lass erst den Flor herab!
Gotthold Ephraim Lessing
Belinde
Es sank hinab das flatternde Gewand,
O, welch ein Blick! – die göttliche Belinde,
Die nun, wie Venus einst am Ida stand,
Ward um und um ein Spiel der sanften Winde! –
Ach, als ich allen Reiz enthüllet fand,
Floss in mein Herz das süße Gift der Sünde.
Erstaunt, entzückt, mir selber unbewusst,
Bemächtigte sich die Gewalt der Sinnen
Ach! allzubald der Tugend meiner Brust.
Du, der du sagst: ich will den Sieg gewinnen;
Ach lass doch nie das süße Gift der Lust,
Lass es doch nie nach deinem Herzen rinnen.
Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Kinderfragen
So bald ein Mädchen spinnen kann,
So bald fängt es zu fragen an:
Ihr Schwestern sagt, was ist ein Mann?
Und seine Schwestern sagen ‘s dann,
Und dann denkt es so oft daran,
Dass es nicht länger warten kann;
Es küsst und nimmt sich einen Mann.
So bald ein Knab im Donat liest,
Fragt er: Ihr Brüder, wenn ihrs wisst,
So sagt mir, was ein Mädchen ist?
Dann sagt ein Bruder, voller List:
Es ist nicht, was du Knabe bist.
Dann eilt der Knab, und liebt und küsst
Zu wissen, was ein Mädchen ist.
Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Die Frage
Was mag das für ein Ding wohl sein –
Sprach Röschen einst im Kämmerlein –
Was hier in dies Ding kommt hinein?
Und mit der Finger zarter Hand
Hob sie das zierliche Gewand,
Bis sie entblößt am Bette stand.
Sie fühlte forschend hin und her
In ihrem kleinen Wonne-Meer,
Sie fragte abermals und wieder,
Sie legte zitternd sich danieder,
Und wie vom Blitzes-Strahl gerührt,
Als sie allein sich sah, verspürt
Sie plötzlich – ach – das Schönste aller Schönen
Und rief errötend und mit Sehnen:
Wie kann die Zeit man schöner sich vertreiben,
Ich will nun vor der Hand beim Fragen bleiben!
Anonym
Die erste Liebe
O wie viel Leben, wie viel Zeit
Hab ich, als kaum beseelt, verloren,
Eh mich die Gunst der Zärtlichkeit
Begeistert und für sich erkoren!
Nun mich dein süßer Kuss erfreut,
O nun belebt sich meine Zeit!
Nun bin ich erst geboren!
Friedrich von Hagedorn
Der Jüngling
Mein Mädchen mit dem schwarzen Haare
Vollendet heute sechzehn Jahre
Und ich nur achtzehn: Welch ein Glück!
Die Sehnsucht weckt uns jeden Morgen,
Und die Unwissenheit der Sorgen
Versüßt uns jeden Augenblick.
Wir wachsen und, mit uns, die Triebe:
Denn unsrer Jugend gönnt die Liebe
Viel Unschuld; aber nicht zu viel.
Verstand kommt freilich nicht vor Jahren;
Allein, was wir bereits erfahren,
Ist gleichwohl auch kein Kinderspiel.
Der Liebreiz, der uns früh verbunden,
Beschäftigt unsre frohen Stunden
Und bringt dich wieder, güldne Zeit!
Zwar lehren wir und lernen beide;
Doch unsre Wissenschaft ist Freude
Und unsre Kunst Geselligkeit.
Ich will die besten Blumen pflücken,
Euch, Wunder der Natur, zu schmücken:
Dich, freies Haar! dich, schöne Brust!
Wir