Freiheit ist.... Lena Schneiderwind. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lena Schneiderwind
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753184289
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sicher bereits."

      "In Ordnung, ich gebe ihr Bescheid. Sie können die Dame schon einmal in den Besucherraum bringen. Sie kennen ja den Weg.", antwortet die Empfangsdame ungerührt.

      Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber für einen kurzen Moment glaube ich so etwas wie Mitleid in dem Blick zu erkennen, den sie mir dabei zuwirft. Meine Hoffnungen auf ein gutes Ende sinken ins Bodenlose. Ich blicke schicksalsergeben zu Boden und folge den zur Uniform passenden, polierten Halbschuhen vor mir vorbei an der Rezeption in einen langen, ebenso sterilen Gang, der auf der rechten Seite von Türen gesäumt ist. An der linken Wand befinden sich ordentlich aufgereiht und im gleichen Abstand zueinander diverse wertvolle Gemälde und andere teure Kunstobjekte.

      Ach hier verstecken sie die alle, meldet sich eine sarkastische Stimme in meinem Kopf und trotz meiner Angst merke ich, wie die Wut in Anbetracht dieses legitimierten Museumsraubes in mir hochkocht.

      An der fünften Türe bleiben die schlaksigen Beine vor mir stehen. Mein Begleiter zückt eine Karte, die mit einer Art Gummiband an seiner Uniformhose befestigt ist und hält diese vor ein kleines, graues Viereck neben der Tür, welches ich bis dahin für einen Lichtschalter gehalten hatte. Die Tür springt auf und er bedeutet mir mit einer kurzen Handbewegung einzutreten.

      Ich zögere widerwillig und seine Hand zuckt in Richtung des Tasers, der direkt neben dem Gummiband in einem schwarzen Lederholster hängt. Eine interessante Kombination aus Hightech und Wildwest-Charme, der ich aufgrund der angedeuteten Bedrohung aber leider keine weitere Aufmerksamkeit schenken kann. Eingeschüchtert stolpere ich in den Raum und höre noch wie Milchgesicht erleichtert ausatmet, bevor er die Tür ohne ein weiteres Wort mit einem leisen Klicken hinter mir schließt.

      Die triste, graue Kammer wird von einem Edelstahltisch mit passenden Stühlen beherrscht. Ansonsten herrscht gähnende Leere. Keine Fenster. Nur eine gleißend helle Deckenlampe, die dem Ganzen ein freundliches OP-Flair gibt.

      Mit dem Mut der Verzweiflung drehe mich auf dem Absatz um und hebe die Hand dorthin, wo ich einen Türgriff vermutet hätte, aber auch auf diesen hat man wohl im Sinne des puristischen Stils verzichtet.

      In Ermangelung weiterer Möglichkeiten lasse ich mich mutlos auf den Stuhl auf der anderen Seite des Tisches fallen. Von hier aus habe ich die Tür im Blick, was mir zumindest ein gewisses Gefühl der Kontrolle zurückgibt.

      Während ich angespannt darauf warte, dass sich diese wieder öffnet, streichele ich unbewusst über das glatte, schwarze Fell meiner zitternden Katze. Ich weiß nicht genau, wen ich damit beruhigen will, sie oder mich selbst.

      Nachdem ich die grifflose Tür vor mir gute 10 Minuten lang feindselig angestarrt habe, höre ich eilige Schritte auf dem Gang, die auf Höhe des mir zugewiesenen „Besucherraums“ - ein recht gewagter Euphemismus angesichts der kleinen Folterkammer, in die ich gesteckt wurde - verklingen.

      Mit dem ihr eigenen dezenten Klicken springt die Türe auf und gibt den Blick auf die wohl bekannteste und zugleich umstrittenste Persönlichkeit unserer Zeit frei.

      Frau Dr. Elsa Dorsch ist sozusagen der Inbegriff der neuen Weltordnung. Psychologin, Verhaltensforscherin, Suchtexpertin und alles, was die Regierung sonst noch zu Rate ziehen könnte, um die geltenden Vorschriften durchzusetzen und stetig um immer innovativere „Maßnahmen zum Schutze der Bevölkerung“ zu erweitern. Wenn man die Kausalkette so weit führen möchte, ist sie auch der Grund dafür, dass ich seit einer geschlagenen Woche versuche, ein gewisses Interesse für Zeitreisen aufzubringen, um dem letzten Buch aus meiner monatlichen Lektüre-Lieferung zumindest einen gewissen Unterhaltungsaspekt abzugewinnen. Trotz meines familiären Hintergrundes bin ich zugegebenermaßen nämlich leider nur mit einem rudimentären Verständnis jeglicher Art von Wissenschaft gesegnet.

      Bisher kenne ich Frau Doktor Dorsch nur aus den Nachrichten und einigen Auftritten in hitzigen Diskussionsrunden. Hier war sie immer im Hosenanzug oder Kostüm zu sehen. Wie sie jetzt so in der Tür steht mit ihren perfekt frisierten, grauen Haaren, der kleinen silbernen Brille auf der Nase, ganz leger in Jeans und schwarzem Kaschmirpullover könnte sie als völlig normale, wohlbetuchte Dame mittleren Alters durchgehen. „Entschuldigen Sie bitte, dass Sie warten mussten. Das ist sonst eigentlich nicht meine Art, aber hier ist heute einfach die Hölle los!“, begrüßt sie mich mit einem theatralischen Seufzer.

      „Hat man Ihnen denn gar nichts zu Trinken angeboten? Hier ist auch wirklich auf niemanden Verlass!“

      Ich bin so verdutzt über die unerwartete Höflichkeit, dass ich sie nur verständnislos anstarre.

      „Ach, wo habe ich nur meine Manieren?“, fährt sie daraufhin beinahe übergangslos fort. „Dr. Elsa Dorsch, sehr erfreut!“

      Sie macht zwei Schritte auf mich zu und streckt mir ihre Hand entgegen. Intuitiv reiche ich ihr meine, denn ich bin ja gut erzogen, und lasse sie energisch von ihr schütteln.

      „Schön, dass Sie es einrichten konnten. Wollen wir nicht nach oben in mein Büro gehen? Hier unten ist es so ungemütlich.“

      Offensichtlich eine rhetorische Frage. Ohne meine Antwort abzuwarten geht sie entschlossenen Schrittes zurück zur Tür. Da mir gerade jeder Ort verlockender erscheint als der kleine graue Kasten, in dem ich mich bisher aufhalten durfte, stehe ich auf und versuche mit ihr Schritt zu halten während sie über den Gang hastet.

      Ich bin schon ein wenig aus der Puste als sie ganz am hinteren Ende vor einem kleinen Aufzug anhält, der sich in einer Nische hinter einer riesigen, kunstvoll bemalten Vase verbirgt. Sie hält ihre Karte vor den kleinen grauen Kasten links an der Wand daneben und die Türen gleiten auf.

      „Nach Ihnen“, sagt sie mit einer einladenden Handbewegung.

      Die kurze Fahrt in den 4. Stock verbringen wir schweigend, eingehüllt in die berieselnden Klänge dezenter Fahrstuhlmusik. Oben angekommen öffnen sich die Fahrstuhltüren derart lautlos, dass ich es zunächst gar nicht bewusst wahrnehme. Frau Doktor Dorsch steigt aus und schaut mit einem erwartungsvollen Blick über die Schulter, als ich nicht umgehend folge.

      Kurz denke ich über einen Fluchtversuch nach, aber dieser Gedankengang wird bei dem Blick auf die in ordentlichen Abständen postierten, uniformierten Herren, die den Gang säumen, im Keim erstickt. Ich ergebe mich also wieder in mein Schicksal, ignoriere das beklemmende Gefühl, nicht atmen zu können und folge den eifrig klackernden Pumps meiner Gastgeberin.

      Während wir den hotelähnlichen Flur entlang rennen, grüßt sie jeden der Wächter mit einem freundlichen „Hallo“ und einem kurzen Nicken und erhält dafür einen ebenso freundlichen Gruß zurück.

      Diese selbstverständliche Freundlichkeit kann die Beklemmung, die mich in Anbetracht meiner ausweglosen Situation übermannt leider keinesfalls mindern. Vielmehr empfinde ich es als umso erschreckender, dass diese für alle anderen Beteiligten zum ganz normalen Arbeitsalltag dazu zu gehören scheint.

      Am Ende des Flures bleibt „Frau Doktor“ vor einer großen Flügeltür stehen und öffnet auch diese mit ihrer Schlüsselkarte.

      Beim Eintreten überkommt mich sofort ein befremdliches, unpassendes Gefühl der Entspannung. Der Eingangsbereich und das dahinter liegende großzügig geschnittene Zimmer erinnern eher an ein Spa als an ein Büro. Überall liegen dicke, weiße Teppiche, ein steinerner Zimmerbrunnen plätschert gemütlich vor sich hin und alles ist in angenehm warmes Licht getaucht. Der Ausblick aus den bodentiefen Fenstern ist atemberaubend und es duftet ganz leicht nach einer Mischung aus Sandelholz und Vanille.

      „Setzen Sie sich doch!“, sie deutet auf eine einladende Sitzgruppe aus weißen Polstermöbeln, die sich um einen kleinen, antiken Holztisch scharen.

      Geschafft von den Ereignissen des Tages lasse ich mich in einen der Sessel fallen. Die Situation ist so surreal, dass ich ein hysterisches Kichern unterdrücken muss als meine Gastgeberin mir gegenüber auf der Kante des Sofas Platz nimmt.

      Sie legt eine Art Mini-Pager neben eine kleine, silberne Glocke, die auf dem Tischchen in der Mitte steht, nimmt diese zur Hand und lässt sie sanft klingen. Sofort öffnet sich geräuschlos eine schmale Tür, am anderen Ende des Zimmers, die so geschickt in die Wand eingelassen