„Er ist sensibler als man zunächst denken würde, tu sais? Nachdem sie ihm seine Stelle und alles andere genommen `aben, `at er sisch hier verkrochen und sisch fast ssu Tode getrunken. Wären Fox, Flora und Pan nischt aufgetaucht und `ätten ihn aus seiner Lethargie gerissen, ´ätte er es wahrscheinlisch auch geschafft. Seitdem ist er trocken, aber gerade in schwierigeren Situationen muss man immer noch eine bischen auf ihn aufpassen.“, erzählt Aurélie und zieht zum Schluss verständnisvoll die Schultern hoch.
Je länger ich hier bin, desto klarer wird mir, dass wohl jeder in diesem Haus ein ordentliches Päckchen mit sich herum trägt.
Umso schöner ist es, zu sehen, dass sie alle irgendwie zueinander gefunden haben und sich nun gegenseitig unterstützen. Wie Günter sagte: Eine große, glückliche Familie.
Aurélie und ich bleiben noch eine Weile am Esstisch sitzen und sie erzählt mir ein bisschen mehr über die einzelnen Mitglieder dieser ungewöhnlichen Formation.
Fox hat sich wohl relativ schnell als eine Art Anführer herauskristallisiert. Seine ruhige, bedachte Art gepaart mit großem Organisationstalent, einem beeindruckenden Verhandlungsgeschick und der Fähigkeit, mitreißende Motivationsreden zu schwingen, halten das ganze Unternehmen - wie Aurélie es nennt - auch in schwierigen Zeiten auf Kurs.
Von seiner Freundin Meiling schwärmt Aurélie richtig. Sie erzählt mir, wie mutig und selbstlos die zierliche Asiatin ist und dass sie ihr ohne zu Zögern geholfen hat, ihrem brutalen Ex-Mann zu entkommen. Auch vor diesem Ereignis hatte sie schon als Insiderin für die Gruppe im Repro-Zentrum spioniert und sich hierdurch immer wieder in große Gefahr gebracht. Selbst die Schusswunde, die ihr der arme Fox nur mit großem Widerwillen zugefügt hatte, war ihre eigene Idee gewesen. So sollte jeder Verdacht, sie hätte irgendetwas mit meiner Flucht zu tun, im Keim erstickt werden.
„Wie es aussieht, `at sie diese Opfer umsonst gebracht.“, seufzt Aurélie niedergeschlagen. „Aber keine Sorge, wenn sie jemand retten kann, dann unsere vier einssischartige Freunde!“
Flora, Fox acht Minuten jüngere Zwillingsschwester, ist im Gegensatz zu ihm Fremden gegenüber zunächst skeptisch, aber, wenn man sie besser kennt, wohl eher der Typ quirliger Freigeist. Neben ihrer Kreativität und Offenheit ist sie außerdem eine echte Kämpfernatur und das tatsächlich im physischen Sinne, klärt Aurélie mich auf.
Sie beherrscht diverse Kampfsportarten und einige eigene Tricks, die sie im Ernstfall auch ohne zu Zögern einsetzt.
Wenn ich an die zierliche, zurückhaltende Frau denke, die mir beim Frühstück gegenüber saß, kann ich mir das so gar nicht vorstellen. Dann erinnere ich mich aber auch an die Euphorie, mit der sie bei meiner Rettung unsere Verfolger immer wieder abgeschüttelt hat, und muss einräumen, dass sie tatsächlich ein sehr vielschichtiger Mensch zu sein scheint.
Pan ist einer ihrer ältesten Freunde. Ihnen wurde schon oft eine intimere Beziehung nachgesagt, aber Aurélie ist sich sicher, dass die zwei sich dazu viel zu ähnlich sind. „Er ist mit der Sseit quasi ssu die dritte Sswilling geworden.“, sagt sie kichernd.
Alle anderen Frauen sollten sich vor ihm jedoch besser in Acht nehmen, warnt sie mich mit einem Augenzwinkern: Seine eigene Bezeichnung als Weiberheld scheint nicht übertrieben. Auch die weiteren von ihm benannten Interessenfelder scheinen alle korrekt zu sein. In Anbetracht seines besonderen Talentes, Tatsachen glaubwürdig zu seinem Vorteil zu verdrehen und anzupassen, fühle ich mich durch seine offenbare Ehrlichkeit mir gegenüber ein wenig geschmeichelt.
Außerdem rät mir Aurélie noch dringend davon ab, ihm irgendwelche noch so wertlosen Besitztümer zu überlassen. Von Mitgliedern der Gruppe würde er zwar niemals stehlen, jedoch hat er einen Hang dazu, alles, was er in die Finger bekommt, auseinanderzunehmen und macht sich einen Spaß daraus, es hinterher nicht wieder ganz korrekt zusammenzusetzen.
Das klingt erst einmal lustig, aber die strenge Französin scheint von dieser Eigenschaft inzwischen ziemlich genervt zu sein. Seine kindliche Art hat ihm auch seinen Spitznamen eingebracht:
„Pan, so wie Peter Pan, tu sais?“, erklärt Aurélie.
Günter hat seinen hingegen wegen seiner schier unermesslichen Geschichtskenntnisse. Gerade die Ereignisse der letzten 25 bis 30 Jahre sind allzeit abrufbereit in sein Gedächtnis eingebrannt. „Anfangs ´aben wir ihn einmal mitten in der Nacht geweckt, nur um ssu sehen, ob er die ganssen Daten und Fakten tatsäschlisch auch im Schlaf beherrscht wie er immer be`auptet.“, erzählt Aurélie mit einem schelmischen Grinsen, das sie schlagartig 10 Jahre jünger wirken lässt.
„Zuerst war er rischtisch sauer, aber dann `at seine Stolz doch gesiegt und er `at uns seine geballte Wissen nur so um die Ohren ge`auen!“
Bei der Erinnerung an seine Reaktion muss sie ein herzhaftes Lachen unterdrücken.
„Naja, wir sind schon alle auf unsere Art rescht clever, aber die wahre Genie `ier ist Tristan.“, führt sie weiter aus. Er scheint an irgendeinem bahnbrechenden Projekt zu arbeiten, zu dem sie mir aber keine Details nennen möchte.
„Du wirst schon sehen! Es ist erstaunlisch!“, sagt sie nur geheimnisvoll.
Wie ich bereits vermutet hatte, mangelt es ihm dafür aber leider ein wenig an sozialer Kompetenz. Autismus wurde zwar nie offiziell diagnostiziert, aber je nach Tagesform scheint sein Verhalten stark in diese Richtung zu tendieren.
„Und dann sind da noch meine Wenischkeit und natürlich Maddie.“, schließt Aurélie ihre Ausführungen ab. „Isch bin `ier so eine Art Mamam für alle und achte darauf, dass sie nischt völlisch außer Rand und Band geraten. Und Madeleine… nun ja sie ist wie die Sonne: Sobald sie auftaucht sind alle glücklisch.“
Sie lächelt gedankenversunken. Gerade als ich fragen will, wie ich in diese spezielle Konstellation hineinpasse und worum es bei diesem ganzen „Unternehmen“ überhaupt geht, reckt sie sich und gähnt herzhaft.
„Isch bringe Maddie und misch mal besser in unsere Bett. Ansonsten bin isch morgen ssu Nischts ssu gebrauchen und ich fürschte, es wird keine leischte Tag werden. Du solltest auch sehen, dass du noch eine bischen Schlaf bekommst, chérie!“
Damit steht sie auf und geht zum Sofa, von dem sie ihre schlafende Tochter mit einem geübten Griff hochhebt und aus dem Zimmer trägt.
Ich sehe noch, wie Maddie ganz kurz die Augen öffnet, in das Gesicht ihrer Mutter blickt, sich fest an ihre Schulter schmiegt und dann einfach weiterschläft.
Ich fühle mich auch völlig ausgelaugt und erschöpft, aber ich weiß genau, dass ich kein Auge werde zumachen können, solange der Rest nicht wieder wohlbehalten zurückgekehrt ist.
Also beschließe ich, nicht ins Bett zu gehen und kehre stattdessen in das Krankenzimmer zurück, wo ich mit Audrey auf dem Schoss neben unserer Patientin Wache halte.
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