Freiheit ist.... Lena Schneiderwind. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lena Schneiderwind
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753184289
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ich sicherheitshalber ignoriere. Ich weiß, hierauf gibt es keine Antwort, die mir irgendwie helfen würde, heil aus dieser Situation herauszukommen.

      Er mustert mich kurz und nimmt mein Schweigen als ausreichende Bestätigung zur Kenntnis. „Würden Sie bitte mit uns kommen?“, fordert er mich auf. Die weiteren Beamten, verschwinden beinahe vollständig hinter seinen breiten Schultern und waren mir bis dahin gar nicht aufgefallen. Warum tauchen hier vier von denen auf einmal auf?, schießt es mir durch den Kopf. Das kann keine normale Kontrolle sein.

      Mein Blick fällt auf den Brief, den ich am Morgen wieder unbeantwortet und mit einem verächtlichen Schnauben auf dem Küchentisch zurückgelassen habe und das Blut in meinen Adern ist kurzzeitig unentschlossen, ob es lieber vor Schreck gefrieren oder vor Wut kochen sollte.

      „Hören Sie mir überhaupt zu? Sie sollen mitkommen! Jetzt!“, bricht es aus meinem cholerischen Gegenüber heraus und er packt mich grob am Arm.

      In dem Moment springt ein wütendes Fellknäuel vom Kühlschrank direkt in sein rot angelaufenes Boxer-Gesicht und beschert ihm ein paar hübsche Furchen unter dem rechten Auge, das ohnehin schon von einer unansehnlichen Narbe geziert wird. Er zuckt nicht mal mit der Wimper, packt meine arme Katze Audrey noch im Flug am Nacken und reicht sie einem seiner Kollegen. „Wegbringen“, sagt er nur.

      Meine Schockstarre löst sich in Luft auf und ich schreie verzweifelt: „Nein! Ich bin im Programm! Ich darf eine Katze haben!“.

      Das T-I-E-R-Programm ist, wie ich mit widerwilliger Anerkennung zugeben muss, einer der clevereren Schachzüge der Regierung. Offiziell gilt es als ein Instrument zur Unterstützung und Belohnung der braven Bürger, die sich aus den unteren Leveln herauf gearbeitet haben. Es soll sie belohnen und in ihrem tatkräftigen Interesse und Engagement zur Re-Integration unterstützen.

      Es gibt sicher einige Leute - vor allem in den oberen Leveln -, die sich von dieser geschickten Marketingstrategie überzeugen lassen und das Ganze als die vorbildlich altruistische Institution betrachten, als die es ihnen verkauft wird. Es wurde aber auch ganz klar kommuniziert, dass ein Tier dem jeweiligen Versorger jederzeit, ohne Angabe von Gründen wieder abgenommen oder ausgetauscht werden kann. Angeblich dient dies zur Reduzierung des Abhängigkeits-Potenzials.

      Jeder mit einem Fünkchen Verstand und minimaler Geschichtskenntnis hat aber wohl sofort begriffen, dass es sich dabei eher um ein äußerst praktisches und eigennütziges Mittel handelt, die benannte Zielgruppe besser unter Kontrolle halten zu können und gleichzeitig ein paar störende Streuner von den Straßen zu holen. Zwei Fliegen mit einer Klappe sozusagen.

      Im vollen Bewusstsein dessen habe ich trotzdem mehrere Male erfolglos versucht, in das Programm aufgenommen zu werden. Ich fand den Gedanken toll, jemanden zu haben, der mir jeden Tag Gesellschaft leistet. Und ich mag Katzen wirklich sehr. Deshalb war es mir das Risiko wert, dass man meine Bindung zu dem Tier gegebenenfalls gegen mich einsetzen könnte. Was sollte die Regierung denn auch schon groß von mir wollen, was so ein Druckmittel rechtfertigen würde?

      Außerdem war ich mir ziemlich sicher, zu einer engeren emotionalen Beziehung gar nicht fähig zu sein. Dennoch war ich über die wiederholten Absagen überraschend traurig. Umso größer dann meine Freude als ich vor drei Monaten ganz ohne weitere Bewerbung endlich in das Programm aufgenommen wurde.

      Man teilte mir eine langbeinige, schwarze Schönheit mit verspielten weißen Highlights auf Nase, Hals und Pfoten zu. Uns verband sofort eine Art blindes Verständnis. Die meiste Zeit lassen wir uns einfach in Ruhe, aber wir spüren auch immer instinktiv, wenn der andere gerade ein paar Streicheleinheiten braucht.

      Dass sie sich nun derart selbstlos für mich einsetzt, obwohl wir uns sozusagen noch in der Kennenlernphase befinden, rechne ich ihr hoch an.

      Den Beamten scheint das deutlich weniger zu beeindrucken und er wendet sich völlig ungerührt wieder an mich: „Es kann also doch sprechen.“

      Der Mundwinkel unter dem langen roten Kratzer verzieht sich zu einem gehässigen Lächeln. „Mitkommen jetzt!“, fordert er noch einmal und zerrt mich dabei schon aus der Wohnung.

      Ich ziehe alle Register: ich bitte, ich flehe, ich schreie. Wie eine Furie zerre ich an der Hand, die meinen Arm eisern umklammert und trete wie wild um mich, bis schließlich ein zweiter Beamter hinzukommt und sie mich an Armen und Beinen aus dem Gebäude schleppen.

      Ansonsten herrscht auf den Gängen totenstille. Keiner meiner Nachbarn - alle Level 3 natürlich - würde seinen Status auf’s Spiel setzen, um irgendeiner Wildfremden zu helfen, die ab und zu mal für ein bisschen musikalische Unterhaltung sorgt. Ich kann es ihnen nicht mal verübeln.

      Draußen werden ich und meine mittlerweile nicht mehr ganz so mutige Katze in den hinteren Teil eines Kleinbusses verladen, der mit quietschenden Reifen davon brettert. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wohin ich gebracht werde oder was mich erwartet.

      Nur eins weiß ich sicher: das Ganze hat bestimmt nichts mit meinem Klavierspiel oder meiner Katze zu tun. Das hier ist ernst, richtig ernst und ich glaube nicht, dass ich es dieses Mal schaffe, heil hier raus zu kommen.

      Nach einer gefühlten Ewigkeit wird die holprige Fahrt durch eine leicht übermütige Misshandlung des Bremspedals gestoppt.

      Die Schiebetür des Vans wird geräuschvoll aufgerissen und ich rechne wieder damit in das grimmige Gesicht des mir bereits gut bekannten Teilzeit-Ogers zu blicken. Stattdessen steht da nun ein schlaksiges Milchgesicht und versucht sichtlich angestrengt all seine Gliedmaßen unter Kontrolle zu halten und eine möglichst genaue Kopie seinen Oger-Vorbilds abzugeben.

      Spätestens seine brüchige Stimme macht seinen beherzten Versuch jedoch zu Nichte: „Aus-s-s-s-steigen.“ Was wohl ein Befehl werden sollte, geht in seinem unsicheren Genuschel beinah völlig unter. Ich folge mehr aus Mitleid als aus Respekt und schwinge meine steifen Beine samt der sich daran festklammernden Katze aus dem Wagen.

      Draußen dämmert es bereits, aber der Platz vor mir ist taghell und ich kneife instinktiv die Augen zu. „Mitkommen“, nuschelt das zarte Stimmchen neben mir. Ich öffne die Augen und, da sein deutlich autoritärerer Kollege weit und breit nicht in Sicht ist, nehme ich mir noch einen kurzen Moment, um mir genauer anzuschauen, wohin man mich so unsanft verfrachtet hat.

      Wir stehen auf dem imposanten Vorplatz eines hochmodernen in strahlendem Weiß gehaltenen Gebäudekomplexes. Die ganze Szenerie wird von eben so strahlend weißen scheinwerferähnlichen Lampen erhellt, die rund um das Gebäude angebracht sind. Hier kommt sicher niemand unbemerkt herein...oder heraus, denke ich und wie zur Bestätigung fallen mir nun auch die diversen Kameras auf, die wie kleine Deko-Elemente ringsherum angebracht sind.

      Ich merke, wie mein unbeholfener Begleiter langsam nervös wird, da ich mich immer noch nicht vom Fleck bewegt habe. Mit besänftigender Unschuldsmiene setze ich mich in Bewegung, meine vor Panik nahezu katatonische Katze fest an die Brust gedrückt. Das Gefühl, sie beschützen zu müssen gepaart mit dem offensichtlich mangelhaften Durchsetzungsvermögen meines Aufpassers nimmt mir einen großen Teil der Angst, die mich seit der rüden Unterbrechung meines Klavierspiels begleitet hat.

      Erhobenen Hauptes trete ich neben Milchgesicht durch die lautlos aufgleitenden Schiebetüren in das eindrucksvolle Foyer.

      Mein erster Blick fällt auf einen großen Brunnen am anderen Ende der hellerleuchteten Halle. Alles ist in Grau- und Weißtönen gehalten und wirkt sehr modern, aber auch sehr steril. Der Empfang zu unserer Rechten sieht aus wie ein riesiger Betonklotz, der beim Bau einfach hier vergessen wurde. Die auf Hochglanz polierte Glasplatte darauf wertet ihn zwar auf, kann diesen Eindruck aber nicht ganz nehmen.

      Genauso wenig wie die adrett gekleidete junge Dame mit ordentlichem, kastanienbraunem Bubikopf, die dahinter Stellung bezogen hat und uns nun mit einem strahlenden Lächeln und den gut einstudierten Worten: "Guten Tag, willkommen im Repro-Zentrum. Wie kann ich Ihnen helfen?" begrüßt.

      Es ist ihr sicher nicht bewusst, aber mit diesem herzlichen Willkommensgruß hat sie meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Mein Magen zieht sich zusammen und schon ist sie wieder zurück: die Angst. Meinem Begleiter scheint meine Reaktion komplett zu entgehen und