Operation Ljutsch. Reinhard Otto Kranz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reinhard Otto Kranz
Издательство: Bookwire
Серия: Operation Ljutsch
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742712424
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hatten bei den Verhandlungen über den sowjetischen Truppenabzug, Anfang der Neunzigerjahre, im Hintergrund an den sicherheitspolitischen Expertisen gearbeitet. Als zweite Geigen im Orchester der Sicherheitsexperten, auf deren Grundlage die Militär-Chefs und Politiker die Modalitäten und den Zeitplan der Abrüstung und des militärischen Rückzuges aushandelten.

      Man einigte sich damals – am Rande der Abkommen – im Interesse eines schnellen Abzuges aus Deutschland, auf immerwährendes Schweigen über konkrete Fakten und Personalien aus der Zeit des Kalten Krieges.

      Man wollte vonseiten der Bundesrepublik, dass nichts von der breiten Unterwanderung durch den KGB, den sowjetischen Militär-Geheimdienst, die Staatssicherheit der DDR und die Militäraufklärung der NVA ans Licht kommt – und man wollte, vonseiten der Russen, keine Jagd auf die ehemaligen Agenten.

      Das hatte zwanzig Jahre lang gut funktioniert. Selbst die durch russische Überläufer enttarnten Spitzenagenten und Kontakte unter deutschen Politikern, Amts- und Würdenträgern wurden diskret beschwiegen, alsdann jedoch auf ein Abstellgleis rangiert.

      Lasst die Toten ruhen, war in beider Seiten Interesse. Alle großen Parteien der Bundesrepublik wollten das, denn jede hatte da Leichen im Keller und stockte auch deshalb bereitwillig die Mittel für den Abzug der Sowjet-Armee bis auf sechsundfünfzig Milliarden Mark auf. Dann war alles gut.

      Nun aber war da ein Leck entstanden, das Fjodor Folim dem vollends überraschten Ernst Buch so zu erklären versuchte: »Ernst, du musst wissen, es war bei uns damals so wie überall. Die Rivalitäten der Dienste – bei uns zwischen KGB und Militär-Geheimdienst – das hatte ein Eigenleben. Wir durchschauten es manchmal erst, als das Kind schon in den Brunnen gefallen war. So war das auch bei der Öffnung der Berliner Mauer, die damals unser Militär-Geheimdienst organisiert haben soll.«

      Ernst Buch traf der letzte Satz wie ein Blitz, aber er gab sich gelassen, nur die weißen Knöchel seiner verspannten Hände auf den Armlehnen und die geschlossenen Augen, konnten auf einen Alarm im Kopf schließen lassen.

      »Du siehst mich erstaunt, Fjodor Fjodorowitsch«, war der Deutsche bemüht Ruhe zu bewahren. »Irgendwas kam uns dabei immer Spanisch vor und es ist gut, wenn du nach über zwanzig Jahren so offen sprichst. Aber was hat das mit uns zu tun, hier und jetzt?«

      »Sehr viel: An der Spitze dieser Operationen stand ein gewisser in der Perestroika eingesetzter Igor Iwanowitsch Antonow. Der wurde dann – nach dem August-Putsch und der Auflösung der Sowjetunion – auf ein Abstellgleis geschoben. Als Militär-Pensionär aber hat er aus seinen alten Datenbanken Listen erstellt, über alle durch ihn rekrutierten Mitarbeiter und Einfluss-Agenten in Deutschland. Klarnamen, Decknamen, Adressen, operaive Zuordnungen – wer weiß was noch alles.

      Du bemerkst – die Kronjuwelen.

      Als er starb, war auch all sein Wissen ins Grab gesunken, – dachten wir. Da bekommen wir kürzlich die Information, dass eine Verwandte, noch sechs Jahre nach seinem Tod, Informationen an einen Deutschen gegeben hat. Wir haben daraufhin recherchiert und festgestellt, dass es eben diese Listen waren, die da abgeflossen sind.

      Du verstehst unsere Besorgnis, Ernst? Da sind wichtige Personen des öffentlichen Lebens verzeichnet, die meisten sind schon tot oder im Ruhestand. Aber jede Veröffentlichung wäre trotzdem ein Supergau, – denn es berührt unsere Abmachung, zu schweigen.«

      Ernst Buch hörte Folims letzte Worte wie im Traum, denn er ahnte, mit dem Erscheinen dieser Listen stand für ihn wieder alles auf dem Spiel. All die Jahre, die er Deutschland treu gedient hatte, erst im Osten und dann in der vereinigten Bundesrepublik. Dann war alles umsonst, denn die politisch korrekten Amts-Geier würden ihn vom Hof hacken wie einen räudigen Hund, verlustig aller Privilegien, Auszeichnungen und Pensionsansprüche. Ein abgewrackter Geheimer, der froh sein konnte, noch einen Job als Nachtwächter zu finden.

      Seine Karriere zog wie ein Abspann zum Traum, wie ein eiliger Schwarm von Zugvögeln vorbei: Am Anfang ein talentierter Puppenspieler im Pionierpalast, delegiert zum Studium der Theaterwissenschaften in Moskau. Dann, als Sohn von Funktionären der liberalen Partei, ein Quoten-Liberaler an der Diplomaten-Akademie der DDR und in den Ost-Botschaften tätig. Nach der Wende, als Unbelasteter in die Dienste der Bundesrepublik übernommen, galt er dort als Experte für Ost-Europa.

      Seine Kenntnisse der Kultur und politischen Szene, sein bisweilen artistisches Parlieren zwischen Diplomaten-Sprache, russischer Hochkultur und Moskauer Vorstadt-Slang verschafften ihm dann Zugang zu einer Karriere im Deutschen Geheimdienst – und begründeten dort seinen Ruf als Vielzweck-Waffe.

      Ernst Buch kannte seine Pappenheimer, bewegte sich in Moskau wie ein Chamäleon und bevorzugte das Jagdverhalten einer Muräne im Korallenriff: immer geräuschlos, immer abgetarnt, alles registrierend und dann blitzschnell zuschlagend, wenn ein Vorteil in Sicht war. Er kannte sich aus, er kannte die scharfzähnigen Muränen der anderen Riffe und war bestrebt sein Revier beständig auszubauen – was in Zeiten, da alles käuflich wurde, immer weniger Probleme machte.

      Er war der erfolgreichste Agent in Moskau, so sahen es seine Chefs: Politische Stiftungen, Nichtregierungs-Organisationen und durchgeknallte Typen mit Zugang zur Hightech-Szene waren seine Lieblingswerkzeuge.

      Und nun auf einmal – mit den Listen – stand nach über zwanzig Jahren für ihn alles auf dem Spiel, wie in einer letzten Poker-Runde, nach der er sich die Kugel geben konnte.

      Er zwang sich zur Ruhe und ging in die Offensive. »Warum so verkniffen?«, fragte er mit gespielter Siegermiene. »Unsere Vereinbarung kenne ich, aber sind da vielleicht Leute dabei, die heute noch für euch arbeiten? Habt ihr deshalb Fracksausen?«

      »Nein, nein – wenn es darum ginge, würde ich dich nicht um Hilfe bitten, sondern allein handeln. Es ist nicht wie du denkst. Es geht vielmehr um unsere gemeinsame Geschichte bei der Deutschen Einheit, wenn du so willst. Die hatte für beide Seiten gerade ihr Gleis gefunden, wie man bei uns so sagt. Wie stehen wir da, als Russen? Es waren nicht die äußeren Umstände damals, nicht unsere beschränkten, missgünstigen Satelliten, nicht unsere objektiven, wirtschaftlichen Schwierigkeiten, ein überdehntes Imperium zu sichern, sondern Agenten der Militär-Geheimdienste des ganzen Ostblocks waren es, die halfen, einen der geschichtlich größten Machtblöcke aufzulösen.«

      Wieder durchzuckte es Ernst Buch. Obwohl sich Folim nichts anmerken ließ, denn eigentlich musste der Russe, bei der Sichtung der Listen, auch auf seinen Namen gestoßen sein, – den Puppenspieler, als der er im Militärgeheimdienst der DDR einst agierte.

      Ihn jetzt damit gefügig zu machen, hob sich der alte Taktik-Fuchs, als den er Folim kannte, wohl für brisantere Momente auf – da hatte er keine Zweifel.

      Beeindruckt schob er seine Brille zurecht: »Das klingt gewaltig – gerade aus deinem Munde, Fjodor – aber was geht das uns an, als Deutsche?«

      »Bedenke das Ende!«, raunzte Folim. – »Eure ganzen schönen Geschichten vom Wunder der Deutschen Einheit, vom Heiligen Geist der Revolution, der da übers Volk kam, werden völlig neu beleuchtet, da bin ich mir sicher. Ich frage dich, ob das dann unseren und euren regierenden Politikern gefällt?«

      »Hm, – ist schon gut«, stöhnte Buch einsichtig, «ich verstehe die Brisanz, glaube ich. Was erwartest du von uns, Fjodor Fjodorowitsch?«

      »Hier hast du seine Legende – ein gewisser Albrecht van Oie. Zieh ihn aus dem Verkehr und sammele die Daten von Antonow ein. Du kannst dir ja eine Kopie machen und kannst dann sicher auch Schlüsse ziehen, was zu tun ist«, lächelte er mit geschlossenen Augen so kryptisch, dass Ernst Buch eine Chance witterte, doch noch das Unheil abzuwenden, oder wenigstens darauf vorbereitet zu sein.

      Vor allem aber irritierte auch Buch jetzt der Name van Oie, denn den hatte er im Herbst des Wendejahres in der Moskauer Botschaft gehört, ohne ihn zuordnen zu können, – auch wegen der nervenzerreißenden Kommandoaktion gegen den KGB, die ihn damals fast den Hals gekostet hätte und ihn zum Abtauchen nach Berlin zwang.

      Er beäugte Oies altes Bild wie ein Numismatiker und fand keinen Anhaltspunkt – doch der Name verunsicherte ihn zutiefst.

      »Danke, dass ich Einsicht