Operation Ljutsch. Reinhard Otto Kranz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reinhard Otto Kranz
Издательство: Bookwire
Серия: Operation Ljutsch
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742712424
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      Der Ofen erzitterte mit dem Geräusch einer krachend knackenden Nuss so schwer, dass aus den Fugen des Ofenrohrs Ruß stob, und der Schatten fiel wie ein Sack von Wasser in sich zusammen – nur seine Hand zitterte noch, in Wellen erschlaffend, wie elektrisiert, am Unterarm Oies.

      Angewidert nach Luft schnappend, nahm Oie nun wahr, wie sich unter der sichtbar faustgroßen Einkerbung des fast kahlen Schädels vom Schattenmann schnell eine wässrig-blutige Pfütze bildete.

      Gepolter auf der Treppe zum Dachgeschoss alarmierte ihn jetzt aufs Höchste – und sein Belastungsasthma schnürte bedrohlich. Die da kommen mindestens zu zweit, wenn nicht zu dritt, schwante ihm und er fühlte, auf noch mal soviel Glück konnte er nicht hoffen.

      Die Gutsküche lag zu nahe am Hauptflur des Hauses, sodass ein Rückzug zum Auto aussichtslos erschien. Da er auch sonst nicht zu ahnen vermochte, aus welcher der Durchgangstüren der nächste Angriff vorgetragen würde, in welcher Raumflucht er entfliehen konnte, entschloss er sich blitzartig zum Abtauchen. Sein Standort im Gutshaus war wie geschaffen dafür.

      Jeder Flügel des Gebäudes hatte zentral einen großen steinernen Mantel-Kamin, der im Erdgeschoss zu beiden Seiten des Mittelflures auf zwei mächtigen Zügen ruhte, die bis in den Keller reichten. Im Durchgang zur Küche befand sich eine der niedrigen quadratischen Eichentüren, die als Inspektionsluke dienten. Die Tür leise öffnend schwang er sich auf die Steigeisen, schloss die Luke hinter sich und stieg geräuschlos zum Keller hinab, während er oben das aufgeregte Fluchen zweier Stimmen vernahm, deren sprachliche Herkunft er nicht zuordnen konnte.

      Der Gewölbekeller, an dem der Schornstein-Zug endete, ließ sich geräuschlos betreten, indem er über einen inneren Kipphebel der Tür den Haken einer Haspe anhob.

      Im Dämmerlicht kleiner verstaubter Kellerfenster überraschte ihn ein letzter Duft von Geräuchertem. Den hatte der feuchtmuffige Wildkeller konserviert, in dessen Decke verrostete, schmiedeeiserne Haken zum Abhängen des Wildes, der Schinken und Dauerwürste eingemauert waren, um den Mäusen jede Chance auf Beute zu nehmen.

      Seinen Kindern hatte der Anblick dieser spitzen Eisen in der Gewölbekeller-Märchenwelt Schauder in die Augen getrieben, daran erinnerte er sich merkwürdigerweise gerade in diesem Augenblick. Wenn er nicht selber daran enden wollte, so war ihm klar, musste er sich schleunigst vom Acker machen.

      Seine Gedanken rasten: Wer waren die? Was wollten sie und wer hatte sie geschickt? Woher wussten die eigentlich, dass er hier war?

      Die Funknummer hatten sie von der Auskunft, das war klar, aber wo er war, wusste niemand, außer dem Taxifahrer und Alma - die aber schieden für ihn aus. Das war aber nicht das Hauptproblem in diesem Augenblick, denn wo sollte er hin?

      Es gab erstmal nur eine Richtung, die Flucht der Kammern im Kellergewölbe.

      Die waren durch schwere rahmenlose Eichentüren verbunden. Nach der Passage von drei Türen und einigen unvermeidlichenQuietschern der Scharniere stand er in der Garage unter dem Haus. Die hatte er damals, aus Ratlosigkeit gegenüber der ausschweifenden Raumfülle des Gutshauses, in die dem Buschwald zugewandte Kellergewölbe eingebaut und mit einer wagehalsigen Rampe nach außen versehen.

      Das Klapp-Tor stand offen, weil es einer von Almas Reparatur-Aufträgen war, die Schwenk-Mechanik zu justieren.

      Die hornalte, blaue JAWA seiner Söhne stand aufgebockt an der Seite und er wusste, er konnte sich auf sie verlassen, da er mit ihr am Tag zuvor – wie in alten Zeiten – ein Stündchen durch die Landschaft geströpt war.

      Der Schlüssel steckte. Das einzige Problem – wie immer – bestand im Kalt-Start der alten Mühle. Er bockte sie ab und trat mit allem Schwung, zu dem er als Leichtgewicht fähig war, auf den Kickstarter. – Nichts.

      Wie vermutet musste er mit, pfeifender Lunge, mehrmals durchtreten, und die Kaskade der vernehmlichen Geräusche kam ihm vor wie Wecksignale für ein ganzes Regiment.

      Aus allen Poren trat Schweiß, den er im Nachhinein als Angstschweiß deuten sollte.

      Sich näherndes Gerufe und Getrampel machten klar, dass nur wenig Zeit war, seine Haut zu retten. Ein Jesus-Maria und Joseph entfuhr ihm, wie ein Hilferuf aus seiner katholischen Jugendzeit – und wurde überdröhnt vom aufjaulenden Zweitakter.

      Als der Motor ansprang, kam ihm das vor wie das Glücksgefühl, das ihn als Kind ergriff, als zum ersten Mal ein Raumschiff zur Rückkehr vom Mond startete – denn alles war wieder möglich.

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      Sekunden später schoss er die Rampe hoch, und als er beim Hochschalten heftige Schmerzen im Spann verspürte, wurde ihm klar, dass er ohne Schuhe fuhr.

      Ein in das Dröhnen der Zylinder hereinpeitschender Knall, wie eine Fehlzündung, ließ seinen Rückspiegel in tausend Teile zersplittern, – und zeigte, dass die Jagd eröffnet war.

      Der heiße Wunsch sich in Luft aufzulösen, verkrampfte ihn instinktiv zur Kugelform – er schleuderte – und driftete nach zwanzig Metern auf den wohlbekannten Buschpfad zum Walde hin ab.

      Er wusste, dorthin konnte ihm niemand mit dem Auto folgen.

      Nach einigen Waldschlägen in rasanter Fahrt, fuhr er seitlich ins Gebüsch, ließ den Motor auslaufen und hielt. Angespannt lauschte er auf Motorgeräusche in der Umgebung. Nichts als das leichte Säuseln des Windes war zu vernehmen.

      Dafür erklang aus seiner Jackentasche plötzlich Bachs Konzert für zwei Violinen – wie ein Ton aus einer andern Welt – sein Funktelefon. Überrascht nahm er es hoch und erwartete eigentlich einen der Sprüche Ulms, da er ja seine Funknummer an dessen Hoftor hinterlassen hatte. Stattdessen hörte er einige entsetzliche Flüche und eine Stimme mit hartem osteuropäischem Akzent: »Hejj du Schwaiiin! – du chast Bruder zerstööört!«

      Oie schwieg.

      »Wir chriegen dich baald, weeill du chaast, was uuns gechöört! Gib es, daahn ist Frieden - gibst du nicht, daahn bist du tooot!«

      Oie blieb stumm.

      Die Stimme brüllte ins Telefon, sodass Oie den Hörer weit von sich hielt: »Waas isst?«

      Oie fing sich, dachte an den toten Franz, wurde störrisch und schrie zurück: »Scheiß Gorilla!«

      Er riss den Akku raus, steckte die SIM-Karte in die Brusttasche und schwang sich erneut aufs Motorrad. Langsamer fahrend schwenkte er – mehr instinktiv, als dass er einen Plan hatte – seiner Heimat Berlin zu. Am Weg in dieser Richtung lag Ulms Hof. Bis dahin hoffte er auf einen klaren Kopf.

      In dieser Gegend standen die Bäume in Gruppen und waren die Wäldchen miteinander verbundene Inseln, die Spitzen größerer und steiler Hügel bedeckend oder sich entlang von Bach-Niederungen hinziehend. Sie wurden umrahmt durch große, offene Ackerflächen, – von Feldwegen und wenigen Straßen unterbrochen. Diese Straßen mied Oie, fuhr auf Randwegen der Felder und hielt vor jeder Straßenquerung im Unterholz an.

      Die Lage sondierend fuhr erst weiter, wenn die Luft rein war – denn zuweilen schienen ihm schwarze Limousinen über den Horizont zu preschen – aber er konnte sich auch täuschen und es waren nur die aufgebrezelten Kaleschen von Landjüngern auf dem Weg zur Brautschau.

      Auch hoffte Oie, die Grauen hätten mit dem Ausfall ihres Kumpanen so viel zu tun, dass sie von ihm ablassen würden. Trotzdem – er musste sehr vorsichtig sein, denn ohne Helm, barfuß und mit einem Einschuss-Loch im Blech des zersplitterten Rückspiegels, war er in jeder Weise auffällig. Das wäre ihm in den Wirtschaftswäldern nahe Feldberg beinahe zum Verhängnis geworden.

      Orientiert an der abendlichen Sonne, musste er einem sumpfigen Bachgelände ausweichen und umkurvte böllernd eine Schonung, um auf dem Hügel dahinter seine Richtung zu finden.

      Als er an der Forstweg-Kreuzung einbog und wieder Gas geben wollte, stand ein Mann in der Quere und riss sein Gewehr hoch. Blitzartig erkannte Oie seine schlechten Chancen und stieg in die Bremsen. Die Maschine schleuderte, brach aus und er