Operation Ljutsch. Reinhard Otto Kranz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reinhard Otto Kranz
Издательство: Bookwire
Серия: Operation Ljutsch
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742712424
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aber der sichtlich erzürnte Mann hinter der Flinte fluchte: »Hundsfott, auf Sie habe ich schon gewartet.«

      Der Förster war ein älterer, stattlicher Herr und hieß Brammert, so stellte er sich vor.

      Als er Oies verzweifelten, irren Blick sah, ließ er den Drilling sinken: »Ein Motorrad im Wald hört man doch kilometerweit, wissen Sie das nicht? Motorradrennen sind hier verboten, besonders bei dieserTrockenheit – auch für ältere Herren!« – konnte sich der Forstmann einen ironischen Unterton nicht verkneifen.

      Oie senkte pflichtschuldig sein Haupt und überlegte, wie er dem lästigen Amtmann von der Schippe springen könne. Dann hörte er sich lächelnd sagen: »Ich bitte um Nachsicht, Herr Oberförster, aber ich komme von Freunden und habe keinen Sturzhelm – da wollte ich mich auf den Landstraßen nicht sehen lassen.«

      Der Förster berichtigte: »Revierförster. – Und die Schuhe haben Sie auch vergessen?« – Dabei rutschte das Gewehr wieder etwas höher.

      Oie entschloss sich zum Angriff: »Ach wissen Sie«, lächelte er, mit der leisen Stimme eines Ertappten, und schaute dem Förster mutig in die Augen, »eigentlich war ich nur bei einer alten Freundin. Bloß da kam ihr Kerl nach Hause und ich musste mich rausschleichen – Sie verstehen doch?«

      Der Förster, faltig angejahrt, schmunzelte. Die Flinte sank dabei wieder etwas herunter: »War kein Schrank da?«

      »Nee«, gewann Oie Oberwasser. »Aus dem Alter bin ich raus. Der hat ja nur einen Ausgang, und wenn man Pech hat, legt sich der Kerl daneben zum Schlafen – und das beschädigt doch im Ernstfall auch die Dame.«

      Der Förster nickte verständig, wurde freundlicher und schritt zur Vernehmung: »Wer sind Sie und woher kommen Sie?«

      Aus Oie konnte nun die Wahrheit heraus: »Albrecht van Oie heiß ich – aus Berlin, aber jetzt ein paar Tage zu Gast auf Franzfelde.«

      Der Förster lächelte wissend: »So so, bei Alma sind Sie? Ihr Name kommt mir bekannt vor. – Waren Sie nicht mal mit Alma....?«

      »Ja. – Kennen sie Alma?«

      »Natürlich! Persönlich und gut, seit Jahren. Wer kennt sie hier nicht? In unserer Gegend ist doch sonst nicht viel los. Ihre Sommerfeste zum Abschluss der Plein-Airs sind legendär. Ich kaufe auch immer mal was – mein Forsthaus hängt voll davon. Landschaften, wie sie heute keiner mehr malt, Skulpturen, wo man sich als Mensch wiedererkennt und Grafiken, denen man die handwerkliche Meisterschaft ansieht. Wo gibt’s das sonst noch in unserer Provinz? – Einfach schön.«

      Oie war erstaunt und erfreut über soviel Kunstsinn bei einem Revierförster.

      »Also«, sagte Brammert und reichte ihm die Hand: »Grüßen Sie Alma – und machen Sie künftig einen Bogen um meinen Wald, denn das stresst die Tiere. Vorn an der Straße rechts geht’s nach Franzfelde.«

      Oie bedankte sich für soviel Nachsicht und warf seine Mühle wieder an.

      Im letzten Abendlicht näherte er sich Lichtenhain.

      6 Ulms Elysium

      Als er bei Ulm vorfuhr, war es im Hause dunkel und das Tor verschlossen, aber im quer zur Straße stehenden Ateliergebäude sah er Licht.

      Wie zum letzten Mal vor zwanzig Jahren nahm er den Feldweg um die seeseitig gelegene, alte und windschiefe, mit schwarzem Holz beplankte Scheune herum, und stellte die JAWA dahinter ab.

      Als er durch die offene Tenne der Scheune zum Hof ging, schlug der Hund an. Ein weißer Zwergpudel sprang aus der Hütte und umkreiste Oie kläffend.

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      Am ehemaligen Stallgebäude, in dem das Bildhauer-Paar arbeitete, öffnete sich die Tür, der große Schatten Ulms stand vor dem Licht und rief: »Mephisto – ist gut!«

      Das besänftigte den Hund soweit, dass er, immer noch knurrend, in seine Hütte am Haus zurück trabte.»

      Hab dich erwartet«, brummte Ulm, »der Zettel nach so vielen Jahren war wirklich eine Überraschung!«

      Er musterte Oie beim Näherkommen mit spöttischem, ungläubigem Grinsen von oben bis unten, und sagte mit Blick auf seinen schuhlosen Aufzug: »Machst du Indianer-Urlaub?«

      Sie schüttelten die Hände, klopften die Schultern und freuten sich.»Komm rein«, zog ihn Ulm vorwärts, »Schuhe sind wichtig auf meinem Ziegelboden« – und griff nach einem Paar hölzerne Pantinen aus dem Regal neben der Tür.

      »Ist immer noch der alte Backsteinboden von damals. Ist doch das Beste, hält durch und kühlt in heißen Sommern wie diesem. Man braucht aber immer auch Holzschuhe, im Winter mit dicken Socken. Was gut ist gegen Hitze, ist auch gut gegen Kälte, sagen die Alten.«

      Ulms Atelier war ein lang gestreckter, großer, weiß getünchter ehemaliger Kuh-Stall, mit quer liegenden, starken, hölzernen Deckenbalken für den Heuboden darüber. Die ruhten auf einer mittigen Reihe schwarzer, schöner Stützen aus Eisen-Kunstguss mit Sockel und Kapitell. Auf eine überzeugende Art gaben sie dem profanen Backsteinbau klassisches Maß und poetisches Detail zugleich.

      Auf der Nordseite des Ateliers war die Längswand im Raster aufgebrochen und raumhoch, kleinteilig verglast.

      Die heraufziehende Dämmerung schuf im Obstgarten dahinter – mit alten knorrigen Stämmen und Astgewirr – eine feine, organische Grafik aus Licht und Grün und Grau, die langsam in der Dunkelheit zu verschwinden begann.

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      »Ich vermute mal, da kommen Anregungen her«, zeigte sich Oie von der verzauberten Szenerie im Dämmerlicht des Gartens beeindruckt.

      »Ist so«, nickte Ulm heiter brummend. »Vor allem für meine Zeichnungen. Ich liebe diese Abendstimmungen zu jeder Jahreszeit und arbeite dann. Linde bevorzugt das Morgenlicht und steht deshalb mit den Hühnern auf. Das sind unsere produktivsten Zeiten und so stören wir uns nicht, wenn wir im gleichen Atelier arbeiten. Auch genießen wir die wenigen Stunden, in denen es sich überschneidet und der Andere – gelegentlich und mit frischem Eindruck – etwas zur Arbeit sagen kann.«

      Oie, der fürchtete, im Rampenlicht des Ateliers zu stehen, sodass man ihn aus der Kurve der Straße sehen würde, ging sofort auf das in der Ecke gelegene, kniehohe Podest zu. Dort hatten die beiden Bildhauer noch immer ihr altes Gipsstaub bepudertes Leder-Sofa stehen, von dem aus man die Atelierszene in ganzer Länge überblicken konnte.

      »Wie in alten Zeiten«, lächelte Oie und setzte sich.

      Ulm rief aus der Ferne: »Schön, schön – schön, dass du mal vorbeikommst!«

      Er stand jetzt in der Mitte des Raumes vor einer liegenden Gipsfigur und rührte mit dem Spachtel in einem Gummigefäß der anderen Hand: »Muss ich noch aufbrauchen«, rief er entschuldigend und spachtelte, mit dem Oberkörper schwingend und wiegend, an einer Schulter der überlebensgroßen Figur.

      Oie kannte Ulms Plastiken seit den Anfängen seines Studiums an der Kunsthochschule in Berlin und gemeinsamer Plein-Airs der Holz-Bildhauer. Ulm hatte einige Jahre vor ihm bei den Altmeistern Stötzer und Jastram begonnen, und war damals schon sehr eigenständig in seiner plastisch-figürlichen Haltung. Alles hatte etwas Leises und gleichzeitig Menschlich-Grandioses. Die straffe Form und die feine Geste zugleich, die dem Betrachter sagen konnte: Ich bin in Dir, bin Mensch – erkennst du mich?

      »Wofür ist die …?«

      »Große Liegende«, rief Ulm. »Sie war für einen Wettbewerb im Westen – für einen Kurpark. Aber die angereisten Beauftragten wollten sie nicht, nachdem sie das Modell besichtigt hatten – es sei zu realistisch! Du weißt, das ist jetzt ein Schimpfwort in der Kaste der Kunst-Erklärer. Sie fürchten arbeitslos zu werden und sie fürchten das Leise, wenn das Werk menschliche