Dream of a Stretcher. Enrico Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Enrico Schmidt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738087956
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Natalie zu:

      »Das Geld kannst du natürlich behalten. Bestell Berry schöne Grüße, der Abend hat mir dann doch sehr geholfen!«

      3

       sieben Wochen später

      Eddie stand allein auf dem Gehweg, wieder einmal regnete es. Hinter ihm thronte die leuchtende Fassade eines der nobelsten Hotels der Stadt, dem Fairy Inn. Es war extra für den heutigen Abend aufwendig umgeräumt und dekoriert worden. Eigentlich war die Veranstaltung als Charity-Event gedacht, doch die Dekadenz – die man nicht nur sehen, sondern auch fühlen konnte – übertünchte dies. Der Veranstalter hatte gleich vier Etagen gemietet. Die Lobby war nun so etwas wie ein Spielpatz für Reiche und Superreiche, nur dass man mit Perlmutt-Löffeln im Kaviar stocherte, anstatt mit Schaufeln im Sand. Alles, was in der Stadt Rang und Namen hatte, ließ sich in jener Nacht für seinen Status feiern, außer Eddie Jefferson, denn der hatte die Party bereits verlassen.

      Endlich, dachte er. Gerade fuhr sein schwarzer Jaguar XJ vor. Eddie wartete bereits fünfzehn Minuten in der Kälte.

      Eigentlich wäre der Chauffeur längst vor Ort gewesen, doch er hatte auf Eddies Wunsch noch ein kleines Geschäft unweit vom Fairy Inn angefahren. Kaum hatte der Mann die Handbremse angezogen, stieg er aus dem Wagen, ging einmal um das Fahrzeug herum und hielt Eddie die Tür auf. Dieser nahm auf der ledernen Rückbank Platz und kommentierte sein Tun nicht.

      »Mieser Abend, Master Jefferson?«, fragte der Fahrer, nachdem sie sich in Bewegung gesetzt hatten.

      »Könnte man so sagen«, stieß Eddie aus. »Hast du, worum ich dich gebeten habe?«

      »Selbstverständlich.« Eddie formte das erste dezente Lächeln des Abends. Auf Javier ist eben immer Verlass. Javier Pierceson – so lautete der vollständige Name des Mannes auf dem Fahrersitz – kannte Eddie schon von klein auf. Er war da, als sein Großvater seinem Krebsleiden erlag. Er war da, als sein älterer Bruder bei einer Klettertour zu Tode stürzte. Und er war auch da, als sich seine Mutter ihres Verlustes wegen über Jahre hinweg Tag und Nacht betrank, um dann eines Nachts über den Balkon aus dem dreizehnten Stock hinunter auf den Gehweg zu stürzen. Es mussten nun schon an die vierzig Dienstjahre sein, die der schmalgesichtige Mann mit Mütze, Anzug und den leicht melierten Haaren für Eddies Familie zählte. Aus diesem Grund war er weit mehr als nur ein einfacher Angestellter. In so ziemlich allen Lebenslagen war Javier ein guter Berater. In den vergangenen Jahren bewies er einen eminenten Geschäftssinn. Zudem verstand er sich gut mit den Frauen. Womöglich war es seinem Rat zu verdanken, dass Eddie je eine Chance bei einer Frau wie Jeanine haben konnte. Zu guter Letzt war er sich in all der Zeit nie für irgendeinen Gefallen zu schade, weshalb er dann und wann auch mal den Chauffeur mimte. Vielleicht war dieser sanftmütige Mann fortgeschrittenen Alters, der hinter seinen Gesichtsfalten immer ein aufmunterndes Lächeln parat hatte, der einzige, den Eddie »Freund« nannte.

      Nach gut einer halben Stunde hatten die beiden ihr Ziel erreicht. Nachdem Eddie ausgestiegen war, wandte er sich zur Fahrertür und ließ sich von Javier noch ein kleines Papiertütchen überreichen.

      »Ist das der Richtige?«, erkundigte sich der Mann hinter dem Steuer. Sofort warf Eddie einen Blick in das Innere des Beutels und holte dann eine Flasche Glenfiddich 30 hervor. Sie war in eine dunkelgrüne Papprolle eingepackt und mit einem Kunststoffdeckel versiegelt. Über dem Namen waren die Umrisse eines Hirschs aufgebracht, dem Wappentier der Brennerei. Eddie strich mit dem Daumen über das Emblem, dann warf er Javier einen bestätigenden Blick zu. »Das ist er.«

      »Schön, dann fahre ich den Wagen jetzt in die Tiefgarage.«

      »Gut, trinken wir anschließend zusammen?«

      »Ich muss noch nach Hause kommen.«

      »Wozu? Ich habe momentan etliche Zimmer frei.«

      »Ich … ich würde ja wirklich gern, aber ich kann nicht«, entgegnete Javier. In Sorge, das würde nicht ausreichen, fuhr er fort: »Ich muss zu meiner Frau und den Enkeln. Die Jüngste schläft heute das erste Mal bei ihren Großeltern …«, dann verstummte er, während sein Herz allmählich schneller zu schlagen begann. Im Augenwinkel sah er Eddie durch die Scheibe der Fahrertür zu sich hinein blicken. Innerlich wünschte er sich, dass diese Augen ihren Blick nun auf etwas anderes richten mögen. Er wusste, dass er die Einladung seines Junior-Chefs abzulehnen und schnellstmöglich den Weg nach Hause anzutreten hatte, wenn er heute Nacht ruhig schlafen wollte. Seine Frau lamentierte schon jetzt ständig, dass er nur noch die Arbeit im Kopf habe und nie daheim wäre.

      »Kein Problem, ich verstehe das. Manchmal vergesse ich, dass du auch noch ein eigenes Leben hast!« Nachdem Eddie seinen Satz beendet hatte, trat Javier ein gequältes Lächeln auf die Lippen. Er hoffte, dass es nicht allzu affektiert wirkte und er damit durchkäme.

      »Ich … fahre dann.«

      »Gut. Ich sehe dich dann morgen Abend. Du musst mich zu einem Geschäftsessen in die Innenstadt fahren. Nimm dir bis dahin frei. Verbring einen schönen Nachmittag mit den Enkelkindern!«

      »Da… Danke«, stammelte Javier. Als das Surren des elektrischen Fensterhebers verstummte und die Scheibe die obere Endlage erreicht hatte, atmete er erst einmal tief durch. Dann ließ er den Motor erneut an und fuhr in die Nacht hinein.

      Eddie sah noch einmal seinem fortfahrenden Jaguar nach. Mach’s gut, alter Freund. Dann ging er zur Tür hinein. Auf dem Weg über die hölzernen Treppenstufen ergriff allmählich eine innere Anspannung von ihm Besitz. Er bedauerte zutiefst, dass sein engster und einziger Vertrauter nicht bei ihm blieb, um mit ihm die Gläser zu leeren. Jetzt war er mit sich und seinen Gedanken allein – Gedanken, die man besser nicht denkt.

      Beim Eintreten in den Flur ließ er die Räume abgedunkelt. Nur das fahle Mondlicht, das über die großflächigen Fenster herein fiel, ließ ihn sein Heim nicht in völliger Dunkelheit durchqueren. Fast schon geisterhaft ging er zur Bar, umgeben von völliger Stille. Eddie öffnete die versiegelte Papprolle und holte die Flasche Glenfiddich 30 hervor. Wieder strich er mit dem Daumen sanft über das Emblem auf dem Etikett. Dieser Hirsch hatte es ihm irgendwie angetan. Der Whisky war zwar älter als er selbst, aber über vierhundert Dollar dafür zu bezahlen, widersprach selbst seinem sonst so extravaganten Lebensstil. Für gewöhnlich gab er sein Geld für Dinge aus, die ihm ein wenig nachhaltiger erschienen, etwa für Autos, nicht aber für Alkohol. Doch dieser Schluck musste etwas Besonderes sein, ganz und gar.

      Eddie griff in die Innentasche seines Jacketts, daraus holte er ein kleines Plastikfläschchen hervor. Er führte es schon den ganzen Abend mit sich herum. Wenn Javier hier wäre, würde er mir das jetzt ausreden. Zu dumm. Die Selbstironie trieb ihm ein Grinsen aufs Gesicht. Der Einsame, der noch immer mit sich allein in der Dunkelheit stand, sah die beiden gegenüberstehenden Flaschen eindringlich an. Einen Augenblick lang dachte er an den Moment, als er vorhin in seinen eigenen Wagen stieg.

       »Mieser Abend, Master Jefferson?«

      Was glaubst du denn? Dieser Abend war nicht »mies«, er war eine einzige Katastrophe. Eine Katastrophe wie jeder Tag der letzten sieben Wochen, in denen er nun schon allein war. Da half es nicht, wenn schmierige Kollegen ihn fragten, wo denn die reizende Mrs. Jefferson steckte. Dann traf ihn jedes Mal die Erkenntnis, dass er darauf keine Antwort wusste. So sehr er sich in den letzten Wochen mühte, Jeanine war unauffindbar. Sie reagierte bisher auf keinen seiner Anrufe. Vielleicht war sie ja noch irgendwo in der dreizehnten Straße, in der Wohnung ihrer Freundin. Vielleicht war sie aber auch schon aus der Stadt? Die Unwissenheit machte ihn krank. Längst hatte Javier ihm geraten, er solle die Behörden einschalten. Schließlich versteckte seine Ehefrau ihr gemeinsames Kind vor ihm. Doch Eddie zögerte. Er wusste, dass die Sache für Jeanine kein gutes Ende nehmen würde, dass die Anwälte seines Vaters sie vernichten würden. Damit es nicht so enden muss, blieb er allein. Nur kam er mit der Einsamkeit nicht zurecht. Er war es leid, den Schmerz, das Leben, alles. Vor allem das Gefühl des Verlusts war er leid. Es hatte ihm nun schon den Großvater genommen, den Bruder und schließlich die Mutter. Wann immer die Familie von einem weiteren