Dream of a Stretcher. Enrico Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Enrico Schmidt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738087956
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Er kannte Natalie nun noch keine drei Stunden und das dementsprechend flüchtig. Sie war eines von vier Mädchen, die Berry urplötzlich in seinen angestammten Irish Pub mitbrachte zu einem Treffen, das eigentlich als reiner Männerabend ausgemacht war. Er hatte bei einem, zwei, vielleicht auch drei Bier mit jemandem über seine Eheprobleme reden wollen. Doch daraus sollte zunächst nichts werden, denn der zu diesem Zeitpunkt bereits angetrunkene Berry kam nicht nur nicht allein, nein, er hatte für besagten Männerabend ganz eigene Pläne. Diese sahen vor, dass die beiden die Mädchen zu ihrer Arbeitsstelle begleiteten, denn alle vier tanzten in demselben Etablissement, dem Striplokal Blue Sky.

      Ohne allzu große Einwände willigte Eddie ein mitzukommen. Wieso? Vielleicht weil einfach nicht genug gute Gründe dagegen sprachen, nicht einmal seine Ehe war zu diesem Zeitpunkt ein solcher. Alternativen wären wohl einzig der alleinige Verbleib im Pub gewesen oder die eigenen vier Wände, in denen ebenfalls niemand auf ihn wartete. Zudem keimte in ihm die Hoffnung, dass ihm ein Abend mit seinem unbedarften Kollegen und den Mädchen ein wenig Ablenkung von den jüngsten Ereignissen verschaffen würde. Denn immerhin, hübsch anzusehen waren die Frauen allemal, vor allem Natalie. Sie konnte kaum älter sein als Eddie, was sie nur umso attraktiver machte. Wenn er sich umsah, erkannte er, dass ihn von der Masse der Tänzerinnen doch zehn Jahre und mehr trennen mussten. Bei Natalie war das anders. Ihr rabenschwarzes Haar fiel ihr leicht auf die Schultern, die sie beim Gehen immer dezent nach hinten zog, was ihrem Gang eine gewisse Grazie verlieh. An ihrem gut trainierten Körper schmiegte sich ein rotes, trägerloses Cocktailkleid. Jedoch war es kaum mehr Stoff als nötig, er endete bereits knapp unter der Bikinizone. Eventuell hätte sich der junge Mann Natalies Reizen unterhalb des Kinns gerade noch erwehren können, das galt aber nicht für das Azurblau ihrer großen, runden Augen. Wenn man sie ansah, konnte man denken, man sah durch sie direkt hinaus auf den Ozean. Auch Eddie erlag diesem Gedanken. Jeder einzelne ihrer Blicke durchbohrte ihn und traf mitten ins Herz. Sich diesen Augen nicht hinzugeben schien schier unmöglich, sie waren überzeugender als jedes Wort, das er kannte. Darum zückte er nach einem kurzen Moment des Schweigens sein Portmonee mit den Worten: »Nimm dir, was du brauchst«, ohne im Kopf noch einmal den Inhalt seiner Geldbörse zu überschlagen.

      Beim Anblick der Banknoten funkelte das Blau in Natalies Augen noch einmal eine Nuance heller. Sie langte beherzt in das Portmonee und sprach: »Ich würde vorschlagen, dafür ziehen wir uns erst einmal zurück.« Eddie fand keinerlei Widerworte, er suchte gar nicht erst danach. Vielmehr gefiel ihm der Gedanke an ein wenig mehr Privatsphäre so sehr, dass er sich unbeschwert von Natalie durch die Räumlichkeiten des Blue Sky zerren ließ. Die beiden verließen den großen Raum, in dem er und Berry die letzte Stunde zubrachten und der in ein branchenübliches, rötliches Licht getaucht war. Dort sah man die Mädchen an der Stange tanzen, bestellte Getränke und bekam auf Wunsch und gegen entsprechende Bezahlung einen Lapdance. Während Eddie bei letzterem zunächst passte, winkte Berry die Damen quasi der Reihe nach zu sich heran.

      Offenbar verfügte das Blue Sky noch über weitere Zimmer. Nach einigen Metern gelangten sie in einen spärlich beleuchteten Raum, der nur wenige Quadratmeter maß. Darin waren lediglich eine Poledance-Stange und ein großflächiges Bett untergebracht. Von irgendwoher drang seichte Musik in Eddies Ohren, doch er konnte keinerlei Lautsprecher ausmachen. Das konnte an der Dunkelheit gelegen haben oder daran, dass sie geschickt in die Holzpanelen des Bettes eingelassen waren.

      »Was ist das für ein Raum?«, fragte Eddie, während er zum ersten Mal die Gerüche verschiedenster Parfums wahrnahm, die sich hier mischten.

      »Dieses Zimmer ist für besonders großzügige Kunden.«

      »Werde ich hier einen Tanz bekommen?«

      »Du wirst bekommen, was immer du möchtest«, entgegnete Natalie mit verführerischer Stimme und deutete Eddie, es sich auf dem Bett gemütlich zu machen. Dieser tat wie geheißen und ließ sich auf die federnde Matratze sinken, doch war ihm alles andere als wohl dabei. Wie viel Geld hatte ich denn bei mir? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, blieb keine Zeit, denn sofort warf Natalie sich ihm an den Hals. Dies vernebelte buchstäblich seine Gedanken. Aus allernächster Nähe stieg ihm nun auch der Geruch von ihrem Parfum in die Nase, vorhin in dem großen Raum mit Berry und den anderen Mädchen um sie herum war das noch nicht so sehr der Fall. Jetzt waren sie allein und seine Sinne fixierten sich komplett auf die junge Frau vor und auf sich, was der Zweisamkeit jedoch nicht unbedingt dienlich sein sollte. Die Noten von Zimt und Yasmin muteten der schönen Osteuropäerin orientalisch an – zumindest war das wohl die Idee. Leider war ihr Parfum offenbar völlig falsch aufgetragen. Es war auf eine Art penetrant viel. So viel, dass es Eddie veranlasste, sich umso mehr mit dem Rücken gegen die lederne Bettkante zu pressen. Zeitgleich dachte er an Jeanines Parfum. Sie trug stets den gleichen Duft, dessen Name ihm in jenem Moment nicht einfallen wollte. Der Geruch von Bergamotte und Zitrusfrüchten in ihrem erfrischenden Odeur war ihm jedoch noch immer im Gedächtnis.

      Während Eddie dabei war, gedanklich ein wenig abzuschweifen, fand Natalie mehr und mehr Gefallen an ihrem Kunden. Sie half ihm, sich seines Jacketts und des dunkelgrauen Shirts zu entledigen, das er trug. Ihm mit einer sanften Berührung über die Brust streichend, sagte sie:

      »Du bist wirklich ein schöner Mann, Eddie«, und aus ihrer Stimme drang die pure Überzeugung. Manchmal redete sie ihren Freiern gut zu, weil dies das Geschäft belebte. Bei Eddie war es nicht so. »Dein Körper ist makellos, keine Narben, nichts.« Darauf ließ sie sich zu einem kleinen Spott hinreißen.

      »Scheust du Risiken, Eddie Jefferson? Du siehst aus, als würdest du niemals eine Verletzung riskieren!«

      »So ist es nicht«, konterte Eddie. »Ich hab schon alle erdenklichen Sportarten mindestens versucht, mich dabei jedoch nie verletzt. Kein einziges Mal. Krank war ich auch nie.« Natalie staunte nicht schlecht. Für sie gab es dafür nur eine logische Erklärung:

      »Na dann scheinst du ja ein echter Glückspilz zu sein! Das ist gut für dich. Und für mich!« Mit Vollendung ihres Satzes stellte sie das Reden vorerst ein und begann damit, Eddie am Hals zu küssen. So recht sprang der jedoch nicht darauf an, vielmehr ergriff langsam eine ungeahnte Nervosität von ihm Besitz. Offenbar spürte auch Natalie diesen Anflug von Unwohlsein.

      »Zier dich nicht. Es gibt keinen Grund, sich zurückzuhalten«, flüsterte sie ihm ins Ohr, während sie ihm eine Hand in den Nacken legte. Eddie jedoch behielt seine Hände bei sich, er brauchte sich nicht einmal dazu zu zwingen.

      »Na schön, wie du willst. Ich brauche dich nicht dafür«, sagte sie dann, warf ihr schwarzes Haar zurück und setzte sich auf ihre Knie. Dann ließ sie ihre Hand den Bauch hinab gleiten, faste im Schritt unter ihr Cocktailkleid und zog ihr Spitzenhöschen aus. Sie ging sicher, dass Eddie es noch einmal sah, ehe sie es provokativ neben das Bett auf den fast schon ungewöhnlich weichen, dunkelblauen Teppichboden fallen ließ. Als Natalie anfing, sich mit der Hand zwischen den Schenkeln zu reiben, brach sich das Unbehagen in Eddie Bahn. Sie stöhnte dabei wie ein Tier, was ihn eher an einen billigen Pornofilm erinnerte, als dass es irgendeine Form von Erregung in ihm auslöste. Weder seinem Kopf noch seinem Körper wollte der sich ihm bietende Anblick gefallen. Stattdessen erwischte er sich bei der Frage, was ihn genau an der Darbietung störte. Natalie war bildschön, mit Abstand die schönste Tänzerin des Abends. Er war sich sicher, dass jede Nacht unzählige Männer kamen und Unsummen bezahlten, nur um mit ihr genau an dem Ort sein zu können, an dem er sich jetzt befand.

      Dann dämmerte es ihm. Natalie war nicht Jeanine. Mit ihr führte er die erste richtige Beziehung, die über die Anfangszeit hinausging, in der man seinen Partner nur mit rosarot-getrübten Blicken sah. Sie teilten unzählige Momente und erste Male, eben auch dieses eine, ganz besondere erste Mal. Eddie dachte daran, wie sinnlich Jeanine in ihren intimsten Momenten war, aber auch wie sie nachts manchmal nur stundenlang dalagen und über all die Dinge dieser Welt redeten. Dann kamen ihm Natalies Worte wieder in den Sinn. Die Männer im Blue Sky versuchten etwas zu finden, was ihre Ehe ihnen nicht geben konnte. Bei ihm war eher das Gegenteil der Fall, er kam hierher und fand etwas, was nichts auf der Welt – abgesehen von seiner Familie – ihm geben konnte: Das Gefühl, ein kompletter Mensch zu sein. Seine nächste Entscheidung war folgerichtig.

      »Ich muss gehen«, entfuhr es ihm. Er schob Natalie