zusammen wurden in den Helm Agamemnons geworfen; das Volk betete; Nestor schüttelte den
Helm, und heraus sprang das Los des Telamonssohnes Ajax. Ein Herold zeigte dasselbe
herumwandelnd den acht Helden vor Ajax, aber keiner erkannte es, bis die Reihe an den kam, der es
sich selbst bezeichnet hatte. Freudig warf Ajax das Los vor die Füße und rief. »Freunde, wahrlich, es
ist meines, und mein Herz ist froh, denn ich hoffe, über Hektor zu siegen. Ihr alle betet in der Stille
oder laut, während ich mich rüste.« Das Volk gehorchte ihm, und bald stürmte Ajax, den riesigen Leib
in blinkende Erzwaffen gehüllt, zum Kampfe vor, dem ungeheuren Kriegsgott selber ähnlich. Ein
Lächeln flog über sein finsterernstes Antlitz, wie er mächtigen Schrittes, die gewaltige Lanze
schwingend, einherwandelte. Alle Danaer freuten sich ringsum seines Anblicks, und Schrecken
durchschauderte die Schlachtreihen der Trojaner. Ja dem gewaltigen Hektor selbst fing sein Herz im
Busen an zu schlagen, aber er konnte nicht mehr ins Gewühl seiner Scharen zurückfliehen, hatte er
doch selbst den Zweikampf gefordert.
Ajax näherte sich ihm, den ehernen siebenhäutigen Schild vortragend, den der berühmte Künstler
Tychios ihm einst gefertigt. Als er ganz nahe vor Hektor stand, sprach er drohend: »Hektor, nun
erkennst du, daß es im Danaervolk auch außer dem löwenherzigen Peliden noch Helden gibt, und
zwar ihrer genug. Wohlan denn, beginne den blutigen Kampf!« Ihm antwortete Hektor:
»Göttergleicher Sohn des Telamon, versuche mich nicht wie ein schwaches Kind oder ein
unkriegerisches Weib. Sind mir doch die Männerschlachten wohlbekannt; ich weiß den Stierschild
rechts und links hinzuwenden, weiß den Tanz des schrecklichen Kriegsgotts zu Fuße zu tanzen und
die Rosse im Gewühl zu lenken! Wohlan, nicht mit heimlicher List sende ich den Speer nach dir,
tapferer Held, nein, öffentlich: laß sehen, ob er dich treffe!« Mit diesen Worten entsandte er in
hohem Schwung die Lanze, und sie fuhr dem Ajax in den Schild, durchdrang sechs Schichten und
ermattete erst in der siebenten Haut. Jetzt flog die Lanze des Telamoniers durch die Luft: diese
durchschmetterte dem Hektor den ganzen Schild, durchschnitt seinen Leibrock und würde ihm in die
Weiche gedrungen sein, wenn nicht Hektor ihrem Fluge ausgebogen wäre. Beide zogen die Speere
aus den Waffen und rannten wie unverwüstliche Waldeber aufs neue gegeneinander an. Hektor
zielte, mit dem Speere stoßend, dem Ajax auf die Mitte des Schilds; aber seine Lanzenspitze bog sich
und durchbrach das Erz nicht. Ajax hingegen durchbohrte mit dem Speere den Schild seines Gegners
und streifte ihm selbst den Hals, daß ihm schwarzes Blut entspritzte. Nun wich Hektor wohl ein wenig
rückwärts, seine nervige Rechte ergriff jedoch einen Feldstein und traf damit die Schildbuckel des
Feindes, daß das Erz erdröhnte. Ajax aber hub einen noch viel größeren Stein vom Boden auf und
sandte ihn mit solchem Schwunge dem Hektor zu, daß er den Schild einwärts brach und den Gegner
am Knie verletzte, so daß derselbe rücklings hinsank; doch verlor er den Schild nicht aus den Händen,
und Apollo, der ihm unsichtbar zur Seite stand, richtete ihn schnell vom Boden wieder auf. Beide
wären jetzt mit dem Schwert aufeinander losgegangen, um den Streit endlich zu entscheiden: da
eilten die Herolde der beiden Völker, Idaios, der Troer, Talthybios, der Grieche, herbei und streckten
die Stäbe zwischen die Kämpfenden. »Nicht weiter gekämpft, ihr Kinder«, rief Idaios, »ihr seid ja
beide tapfer, beide von Zeus geliebt; wir alle haben das gesehen! Jetzt aber kommt die Nacht herbei,
gehorchet der Nacht.« »Ermahne du deinen eignen Volksgenossen!« entgegnete dem Herold Ajax,
»er ist es ja, der den Tapfersten der Griechen zum Kampfe hervorgerufen hat! Will er es so, so mag
ich dir gehorchen!«Und nun sprach Hektor selbst zu seinem Gegner: »Ajax, ein Gott hat dir den
gewaltigen Leib, die Kraft und die Speerkunde verliehen: doch laß uns heute vom
Entscheidungskampfe ausruhen; ein andermal wollen wir ihn erneuern und so lange fechten, bis ein
Gott einem von beiden Völkern Sieg und Kriegsruhm verleiht! Nun laß uns aber auch noch einander
rühmliche Gaben schenken, damit es einst bei Trojanern und Griechen heiße: sehet, sie kämpften
miteinander den Kampf der Zwietracht, aber in Freundschaft sind sie voneinander geschieden!« So
sprach Hektor und reichte dem Gegner sein Schwert mit dem silbernen Griff samt Scheide und
zierlichem Wehrgehenk. Ajax aber löste seinen purpurnen Gurt vom Leibe und bot ihn dem Hektor
dar. Dann schieden beide voneinander. Ajax zog sich in die Schar der Griechen zurück, Hektor ins
Gewühl der Trojaner. Diese waren froh, ihren Helden unverletzt aus den Händen des furchtbaren
Ajax zurückzuerhalten.
Waffenstillstand
Die Fürsten der Danaer versammelten sich jetzt in dem Gezelte ihres Oberfeldherrn Agamemnon,
wohin sie auch den seines Sieges sich hocherfreuenden Ajax jubelnd geführt hatten. Hier wurde dem
Zeus ein fünfjähriger fetter Stier geopfert und beim Schmause der Sieger mit dem besten
Rückenstücke geehrt. Als sie sich an Speise und Trank gesättiget, eröffnete Nestor den Rat der
Fürsten mit dem Vorschlage, am andern Morgen den Krieg ruhen zu lassen und nach Abschluß eines
Waffenstillstandes die Leichname der gefallenen Danaer auf Wagen, mit Rindern und Maultieren
bespannt, abzuholen und abseits von den Schiffen zu verbrennen, damit, wenn sie wieder zum
Vaterlande heimzögen, ein jeder den Kindern seiner Verwandten den Staub der Ihrigen mitbringen
könnte. Die Könige riefen ihm ringsumher Beifall.
Kapitel 5
Auf der andern Seite kamen auch die Trojaner auf ihrer Burg, vor dem Palaste des Königes, nicht
ohne Schmerz und Verwirrung über den Ausgang des Zweikampfes, zur Versammlung, und hier stand
der weise Antenor auf und sprach: »Höret mein Wort, ihr Trojaner und Bundesgenossen. Solange wir
treulos gegen den heiligen Vertrag, den Pandaros gebrochen hat, kämpfen, kann unserm Volke keine
Wohlfahrt blühen; deswegen berge ich meines Herzens Meinung und meinen Rat nicht, daß wir die
Argiverin Helena mitsamt ihren Schätzen den Atriden ausliefern sollten.« Dagegen erhub sich Paris
und erwiderte: »Wenn du im Ernste so geredet hast, Antenor, so haben dir wahrhaftig die Götter
deinen Verstand geraubt; ich aber bekenne geradeheraus, daß ich das Weib nie wieder hergeben
werde. Die Schätze, die ich aus Argos mitgeführt, mögen sie meinethalben wiederhaben; und ich will
freiwillig von dem