das sich schon bergan zog und die unterste Stufe des waldigen Idagebirges bildete, dessen höchster
Gipfel Gargaron hieß und dessen beide letzte Äste rechts und links von den Griechen das Sigeische
und Rhöteische Vorgebirge bildeten.
Noch ehe der Kampf zwischen beiden Völkern seinen Anfang nahm, wurden die Griechen durch die
Ankunft eines werten Gastes überrascht. Der König Telephos von Mysien, der sie so großmütig
unterstützt hatte, war seitdem an der Wunde, die ihm der Speer des Achill geschlagen, unheilbar
krank gelegen, und die Mittel, die ihm Podaleirios und Machaon aufgelegt hatten, taten schon lange
keine Wirkung mehr. Gequält von den unerträglichsten Schmerzen, hatte er ein Orakel des Phöbos
Apollo, das in seinem Lande war, befragen lassen, und dieses hatte ihm die Antwort erteilt, nur der
Speer, der ihn geschlagen, vermöge ihn zu heilen. So dunkel das Wort des Gottes lautete, so trieb ihn
doch die Verzweiflung, sich einschiffen zu lassen und der griechischen Flotte zu folgen. So kam denn
auch er bei der Mündung des Skamander an und ward in die Lagerhütte des Achill getragen. Der
Anblick des leidenden Königes erneuerte den Schmerz des jungen Helden. Betrübt brachte er seinen
Speer herbei und legte ihn dem Könige zu den Füßen seines Lagers, ohne Rat zu wissen, wie man sich
desselben zur Heilung der eiternden Wunde bedienen sollte. Viele Helden umstanden ratlos das Bett
des gepeinigten Wohltäters, bis es Odysseus einfiel, aufs neue die großen Ärzte des Heeres zu Rate
zu ziehen. Podaleirios und Machaon eilten auf seinen Ruf herbei. Sobald sie das Orakel Apollos
vernommen, verstanden sie als weise, vielerfahrene Söhne des Asklepios seinen Sinn, feilten ein
wenig Rost vom Speere des Peliden ab und legten ihn sorgfältig verbreitet über die Wunde. Da war
ein Wunder zu schauen: sowie die Feilspäne auf eine eiternde Stelle des Geschwüres gestreut
wurden, fing diese vor den Augen des Helden zu heilen an, und in wenigen Stunden war der edle
König Telephos dem Orakel zufolge durch den Speer des Achill von der Wunde desselben Speeres
genesen. Jetzt erst war die Freude der Helden über den großmütigen Empfang, der ihnen in Mysien
zuteil geworden war, vollkommen. Gesundet und froh ging Telephos wieder zu Schiffe, und wie
jüngst die Griechen ihn, so verließ jetzt er sie unter Danksagungen und Segenswünschen, in sein
Reich Mysien zurückkehrend. Er eilte aber, nicht Zeuge des Kampfes zu sein, den seine lieben
Gastfreunde gegen den ebenso geliebten Schwäher beginnen würden.
Zweites Buch
Ausbruch des Kampfes. Protesilaos. Kyknos
Die Griechen waren noch mit dem Geleite des Königes Telephos beschäftigst, als die Tore Trojas sich
auftaten und die völlig gerüstete Heeresmacht der Trojaner unter Hektors Anführung sich über die
Skamandrische Ebene ergoß und ohne Widerstand gegen die Schiffe der sorglosen Achiver anrückte.
Die Äußersten im Schiffslager, die zuerst zerstreut zu den Waffen griffen und den heranziehenden
Feinden entgegeneilten, wurden von der Übermacht erdrückt. Doch hielt das Gefecht mit ihnen die
Heerschar der Trojaner so lange auf, daß die Griechen im Lager sich sammeln und auch ihrerseits in
einem geordneten Heerhaufen den Feinden entgegentreten konnten. Da gestaltete sich nun die
Schlacht ganz ungleich. Denn wo Hektor selbst zugegen war, gewannen die Trojaner die Oberhand, in
die Schlachtreihen aber, die ferne von ihm fochten, drangen die Griechen siegreich ein. Der erste
namhafte Held unter den Griechen, der von der Hand des trojanischen Fürsten Äneas in dieser
Schlacht fiel, war Protesilaos, des Iphiklos Sohn. Als verlobter Jüngling war er gen Troja gezogen und
der erste Grieche, der bei der Landung ans Ufer sprang: so sollte er auch als das erste Heldenopfer
fallen, und seine Braut Laodameia, die holdselige Tochter des Argonauten Akastos, sollte den
Bräutigam, den sie mit banger Sorge in den Krieg hatte ziehen lassen, nicht wieder erblicken.
Noch war Achill vom Kampfplatz entfernt. Er hatte dem Mysier, den er einst mit dem Speere
verwundet und jetzt mit dem Speere geheilt hatte, das Geleite ans Meer gegeben und sah
nachdenklich dem Schiffe nach, das sich in die ferne Flut vertiefte. Da kam sein Freund und
Kampfgeselle Patroklos auf ihn zugeeilt, faßte ihn bei der Schulter und rief. »Wo weilst du, Freund?
Die Griechen bedürfen deiner. Der erste Kampf ist entbrannt: des Königes Priamos ältester Sohn
Hektor rast an der Spitze der feindlichen Scharen wie ein Löwe, dessen Höhle Jäger umstellt haben.
Äneas, der Eidam des Königes, hat aus der Mitte unserer Fürsten den edlen Protesilaos, der an
Jugend und Mut dir glich, doch an Kraft dir nicht gleich war, erschlagen. Wenn du nicht kommst, so
wird der Mord unter unsern Helden einreißen!« Aus seinen Träumen erwacht, blickte Achill hinter
sich, sah den mahnenden Freund, und in diesem Augenblicke drang auch der Hall des
Kampfgetümmels in sein Ohr. Da sprang er, ohne ein Wort zu erwidern, durch die Gassen des
Schiffslagers seinem Zelte zu. Hier erst fand er die Sprache wieder, rief mit lauter Stimme seine
Myrmidonen unter die Waffen und erschien mit ihnen wie ein donnerndes Wetter in der Schlacht.
Seinem stürmischen Angriffe hielt selbst Hektor nicht stand. Zwei Söhne des Priamos erschlug er, und
der Vater sah wehklagend von den Mauern herab den Tod seiner Kinder von des fürchterlichen
Heldenjünglings Hand. Dicht an der Seite des Peliden kämpfte der Telamonier Ajax, dessen Riesenleib
alle andern Danaer überragte; vor den Streichen der beiden Helden flohen die Trojaner wie eine
Herde von Hirschen vor einer Hundekoppel daher; zuletzt wurde die Flucht der Feinde allgemein, und
die Trojaner schlossen die Tore wieder hinter sich zu. Die Griechen aber begaben sich in Ruhe wieder
zu ihren Schiffen und fuhren in Vollendung ihres Lagerbaues gemächlich fort. Achill und Ajax wurden
von Agamemnon zu Wächtern der Schiffe bestimmt, und diese setzten wieder andere Helden zu
Wächtern über einzelne Abteilungen der Flotte.
Alsdann wandten sie sich zum Begräbnisse des Protesilaos, legten den Leichnam auf einen schön
geschmückten und aufgetürmten Scheiterhaufen und begruben seine Gebeine auf einer Halbinsel
des Strandes unter schönen hohen Ulmbäumen. Noch waren sie mit der Bestattung nicht ganz fertig,
als ein zweiter Überfall die sorglos Feiernden erschreckte.
In Kolonai bei Troja herrschte der König Kyknos, der, von einer Nymphe dem Meeresgotte Poseidon
geboren, auf der Insel Tenedos wunderbarerweise von einem Schwan großgezogen worden war,
daher er auch seinen Namen Kyknos, das heißt Schwan, bekommen hatte. Dieser war den Trojanern
verbündet, und ohne besonders dazu von Priamos aufgefordert zu sein, hielt er sich