Die schönsten Sagen des klassischen Altertums - Zweiter Teil. Gustav Schwab. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gustav Schwab
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742772916
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der Begleiter des kranken Helden fing an, sich durch das ganze Heer zu verbreiten,

       welches fürchtete, daß der wunde Philoktetes das Lager von Troja verpesten und den Griechen mit

       seiner endlosen Wehklage das Leben verbittern möchte. Deswegen faßten die Anführer des Volkes

       den grausamen Entschluß, als sie an der wüsten und unbewohnbaren Küste der Insel Lemnos

       vorüberfuhren, den armen Helden hier auszusetzen, und bedachten dabei nicht, daß sie mit dem

       tapfern Manne sich zugleich seiner unüberwindlichen Geschosse beraubten. Der schlaue Odysseus

       erhielt den Auftrag, diesen hinterlistigen Anschlag zu vollführen; er lud den schlafenden Helden sich

       auf, fuhr mit ihm in einem Nachen an den Strand und legte ihn hier unter einer nahen Felsengrotte

       nieder, nachdem er so viel Kleidungsstücke und Lebensmittel zurückgelassen hatte, als zur

       kümmerlichen Fristung seines Lebens für die nächsten Tage nötig waren. Das Schiff hatte am Strande

       nur so lange angehalten, als es Zeit bedurfte, den Unglücklichen auszusetzen: dann segelte es, sobald

       Odysseus zurückgekehrt war, weiter und vereinigte sich bald wieder mit dem übrigen Zuge.

       Die Griechen in Mysien. Telephos

       Die griechische Flotte kam jetzt glücklich an die Küste von Kleinasien. Da aber die Helden der Gegend

       nicht recht kundig waren, ließen sie sich von dem günstigen Winde zuerst ferne von Troja an die

       mysische Küste treiben und legten sich mit allen ihren Schiffen vor Anker. Längs des Gestades fanden

       sie zur Bewachung des Ufers allenthalben Bewaffnete aufgestellt, die ihnen im Namen des

       Landesherrn verboten, dies Gebiet zu betreten, bevor dem Könige gemeldet wäre, wer sie seien. Der

       König von Mysien war aber selbst ein Grieche, Telephos, der Sohn des Herakles und der Auge, der

       nach wunderbaren Schicksalen seine Mutter bei dem Könige Teuthras in Mysien antraf, dessen

       Königes Tochter Argiope zur Gemahlin erhielt und nach des Tode König der Mysier geworden war.

       Die Griechen, ohne zu fragen, wer der Herr des Landes wäre, und ohne den Wächtern eine Antwort

       zu erteilen, griffen zu den Waffen, stiegen ans Land und hieben die Küstenwächter nieder. Wenige

       entrannen und meldeten dem Könige Telephos, wieviel tausend unbekannte Feinde in sein Land

       gefallen wären, die Wachen niedergemetzelt hätten und sich jetzt im Besitze des Ufers befänden.

       Der König sammelte in aller Eile einen Heerhaufen und ging den Fremdlingen entgegen. Er selbst war

       ein herrlicher Held und seines Vaters Herakles würdig, hatte auch seine Kriegsscharen zu griechischer

       Heereszucht gebildet. Die Danaer fanden deswegen einen Widerstand, wie sie ihn nicht erwartet

       hatten; denn es entspann sich ein blutiges und lange unentschiedenes Treffen, in welchem sich Held

       mit Helden maß. Unter den Griechen tat sich in der Schlacht besonders Thersander hervor, der Enkel

       des berühmten Königes Ödipus und Sohn des Polyneikes, der vertraute Waffengenosse des Fürsten

       Diomedes, der schon als Epigone sich berühmt gemacht hatte. Dieser raste in dem Heere des

       Telephos mit Mord und erschlug endlich den geliebtesten Freund und ersten Krieger des Königes an

       seiner Seite. Darüber entbrannte der König in Wut, und es entspann sich ein grimmiger Zweikampf

       zwischen dem Enkel des Ödipus und dem Sohne des Herakles. Der Heraklide siegte, und Thersander

       sank, von einem Lanzenstiche durchbohrt, in den Staub. Laut seufzte sein Freund Diomedes auf, als

       er dies aus der Ferne sah, und ehe der König Telephos sich auf den Leichnam werfen und ihm die

       Rüstung abziehen konnte, war er herzugesprungen, hatte sich den Leichnam des Freundes über die

       Schultern gelegt und eilte mit Riesenschritten, ihn aus dem Kampfgewühle zu tragen. Als der Held

       mit seiner Last fliehend an Ajax und Achill vorüberkam, durchfuhr auch diese Helden ein

       schmerzlicher Zorn, sie sammelten ihre wankenden Scharen, teilten sie in zwei Haufen und gaben

       durch eine geschickte Schwenkung dem Treffen eine andere Gestalt. Die Griechen waren jetzt bald

       wieder im Vorteil; Teuthrantios, der Halbbruder des Telephos, fiel, von einem Geschosse des Ajax

       getroffen; Telephos selbst, in der Verfolgung des Odysseus begriffen, wollte dem sinkenden Bruder

       zu Hilfe kommen, strauchelte aber über einen Weinstock: denn durch die Geschicklichkeit der

       Griechen waren die kämpfenden Scharen der Feinde in eine Weinpflanzung gelockt worden, in der

       die Stellung der Danaer die günstigere war. Diesen Augenblick ersah sich Achill, und während

       Telephos vom Falle sich erhob, durchbohrte ihm der Wurfspieß des Peliden die linke Weiche. Er

       richtete sich dennoch auf, zog das Geschoß aus der Seite, und durch den Zusammenlauf der Seinigen

       beschirmt, entging er weiterer Gefahr. Noch lange hätte das Treffen mit abwechselndem Glücke

       fortgedauert, wenn nicht die Nacht eingebrochen wäre und beide Teile, der Ruhe bedürftig, sich von

       dem Kampfplatze zurückgezogen hätten. Und so begaben sich die Mysier nach ihrer Königsstadt, die

       Griechen nach ihrem Ankerplatze zurück, nachdem von beiden Seiten viele tapfere Männer gefallen,

       viele verwundet waren. Am folgenden Tage schickten beide Teile Gesandte wegen eines

       Waffenstillstandes, damit die Leiber der Gefallenen zusammengesucht und begraben werden

       könnten. Jetzt erst erfuhren die Griechen zu ihrem Staunen, daß der König, der sein Gebiet so

       heldenmütig verteidigt habe, ihr Volksgenosse und der Sohn ihres größten Halbgottes sei, und

       Telephos ward mit Schmerzen inne, daß ihm Bürgerblut an den Händen klebe. Nun fand es sich auch,

       daß im griechischen Heere drei Fürsten waren, Tlepolemos, ein Sohn des Herakles, Pheidipp und

       Antiphos, Söhne des Königes Thessalos und Enkel des Herakles, alle drei also Verwandte des Königes

       Telephos. Diese nun erboten sich, im Geleite der mysischen Gesandten vor ihren Bruder und Vetter

       Telephos zu gehen und ihm näher zu berichten, wer die Griechen seien, die an seiner Küste gelandet,

       und in welcher Absicht sie nach Asien kämen. Der König Telephos nahm seine Verwandten liebreich

       auf und konnte sich nicht genug von ihnen erzählen lassen. Da erfuhr er, wie Paris mit seinem Frevel

       ganz Griechenland beleidigt hatte und Menelaos mit seinem Bruder Agamemnon und allen

       verbündeten Griechenfürsten aufgebrochen sei. »Darum«, sprach Tlepolemos, der als ein leiblicher

       Halbbruder des Königes für die übrigen das Wort führte, »lieber Bruder und Landsmann, entzeuch

       dich deinem Volke nicht, für das ja auch unser lieber Vater Herakles an allen Orten und Enden der

       Welt gestritten, von dessen Vaterlandsliebe ganz Griechenland unzählige Denkmale aufzuweisen hat;

       heile die Wunden wieder, die du, ein Grieche, Griechen geschlagen hast, indem du deine Scharen mit

       den unsrigen vereinigst und als unser Verbündeter gegen das meineidige Trojanervolk ziehest.«

       Telephos richtete sich von