Es bleibt mucksmäuschenstill. Über den Köpfen der Anwesenden raucht es und Herr Lehmann scheint seine folgenden Aussagen in Stille zu formulieren.
»Präsidentin Jünger ist seit frühester Jugend Opfer einer machtgierigen, hartherzigen und berechnenden Regierung geworden und es leid, nur Spielball zu sein. Sie hat gemeinsam mit Valda Harmann diese Bewegung ins Leben gerufen und appelliert nun an ihre Liebe zum Vaterland, um das System nicht zu stürzen, sondern von innen heraus auf friedlichem Wege zum Besseren zu verändern.« Weiterhin bleibt Sprachlosigkeit das vorherrschende Gefühl. »Ich bitte Sie inständig, die Forderungen der Präsidentin ernsthaft zu überdenken. Wenn ein jeder bereit ist, für unser Gemeinwohl seine eigenen Interessen zurückzustecken oder auch mögliche Zweifel abzulegen, werden Sie Acht, die stärkste Waffe des friedlichen Widerstandes sein. Caris und ihre Familie verdienen eine echte Chance und Sie können daran mitbauen.«
Nach diesen Ausführungen teilt er die Klasse in zwei Vierergruppen ein und gibt Aufgabenstellungen in Form von abstrusen Kochrezepten aus. »Knacken Sie den Code! Zeit läuft.« Großartig, erst setzt er uns solch einen Knaller vor die Nase und nun sollen wir arbeiten, als sei nichts gewesen? Ich brauche einen Moment.
CENTAS LIEBLINGS RÜBLIKUCHEN
Am Anfang steht das Mehl (300 Gramm).
Richtig sieben ist der Schlüssel zum Erfolg.
In der exakten Reihenfolge kommen nun
Salz, nur eine Prise;
Bienenhonig, zwei Esslöffel;
Etwas Zucker, doch nicht mehr als 150 Gramm;
Irgendwann verrühren,
Teig wird fest.
Rüben (7 mittelgroße Exemplare) reiben und dazu geben.
Eier nicht vergessen (2 Stück).
Nach und nach die Milch unterrühren.
Teelöffel, für Teelöffel die Masse geschmeidiger machen.
Orange Verfärbungen sind zu erwarten.
Noch einmal verkosten.
In der Regel sollte er sehr schmackhaft sein.
Den Kuchen glasieren.
Verdammt lecker!
Deine Valda
Sly, Tam, Ebba und ich blicken regungslos auf die geheime Botschaft und warten auf den rettenden Einfall. Wir vier sind so verdattert, dass es beinahe unmöglich scheint, überhaupt einen Zusammenhang in diesen abstrusen Buchstabensalat zu bekommen. Eine derartig bekloppte Aneinanderreihung von Zutaten habe ich noch nie gesehen.
»Es muss ein Dechiffriercode sein, so viel steht fest.« Ebba reißt sich das Papier unter den Nagel. »Mmh, mal überlegen.« Sie schlägt ihre großen Zähne so tief in die Unterlippe, dass ich Angst habe, sie könnte sich ein Loch hineinbeißen. »›Deine Valda‹ – nicht ein wenig zu offenherzig? Da brauchen die Idioten doch nur eins und eins zusammenzählen.«
»Ganz ehrlich, ich finde diesen Trick grandios. Sie versuchen, die Mistkerle mit ihren eigenen Waffen zu schlagen und bereiten die Befreiungsaktion direkt vor ihren Augen vor. Beeindruckend.« Sly krallt sich das Rezept und streicht mit den Fingern behutsam darüber, um mögliche Unreinheiten im Papier zu entdecken. Wieder und wieder liest er den Text in unterschiedlicher Betonung. Vorwärts, rückwärts, nur jeden zweiten Buchstaben, lediglich die Großbuchstaben, bis er an seine Grenzen stößt.
»Zeig mal her.« Tam öffnet ein neues Fenster auf dem Tablet und versucht verschiedene Buchstabenkonstellationen zu notieren. Ebba hält das Rezept gegen das Licht und ich wende unterschiedlichste Falttechniken an, um dem Rätsel auf den Grund zu gehen.
»Lasst uns mal an den Inhalt dieses Kuchens gehen. Kann einer von euch backen?« Ich blicke Ebba fragend an, da ich den Jungs diese Fähigkeiten gar nicht erst zuschreibe.
»Was siehst du mich an, Roya? Nur weil ich gern Kuchen esse, muss ich doch nicht der Backkunst mächtig sein.« Ich entschuldige mich mit hängenden Schultern und einem netten Lächeln und gebe die Hoffnung auf. Meiner molligen Freundin die Liebe zum Backen zu unterstellen war eine Widerwärtigkeit, auch wenn sie sie völlig in den falschen Hals bekommen hat. Ein richtiges Arschgefühl zieht durch meine Magengegend und das habe ich auch verdient.
»Ich mache ganz passable Torten.« Sly ist und bleibt ein Überraschungspaket. Ich schäme mich für meine albernen Vorurteile und Geschlechterklischees und reiche ihm erneut das völlig zerknüllte Geheimdokument.
»›Bienenhonig, orange Verfärbungen, den Kuchen glasieren‹ was sollen das für Anweisungen sein? Ist doch völliger Blödsinn - ›nicht mehr als 150 Gramm‹ – beim Backen gibt uns das Rezept die perfekte Mischung vor. Das hier ist lauwarmes Gequatsche.« Plötzlich nimmt Tam sein Tablet und legt es so auf das Geschriebene, das lediglich der erste Buchstabe einer jeden Zeile zu sehen ist.
C-a-r-i-s-b-e-i-t-r-e-n-t-o-n-i-d-v
»Caris bei Trenton«, lese ich vor und bekomme vor Ehrfurcht den Mund kaum zu.
»Das ist ja der Hammer, man! Genial! Und was ist i-d-v?« Sly wartet gespannt auf Tams Auflösung.
»›In der Versenkung?‹ Keine Ahnung, echt. Aber den Kern haben wir. Vielleicht will sie den Beweis nachreichen, oder sucht einen – was weiß ich?«
»Du hast recht. Fall gelöst.« Slys Hand schnellt nach oben und Herr Lehmann kommt an unseren Tisch. Ein Schulterklopfen, ein anerkennendes Kopfnicken und schon tritt er den Rückweg an. Die vier anderen sind noch nicht zu einem Ergebnis gekommen, also bleibt uns genügend Zeit, die Botschaft näher unter die Lupe zu nehmen.
»Weiß einer von euch, wer oder was ›Trenton‹ sein soll?« Sly fängt sich einen leichten Klaps von Ebba ein.
»Ihr Kerle wieder – kein Auge für Details. Josi Trenton ist wohl die angesagteste Designerin des Landes und zufällig im kommenden Jahr für das Erscheinungsbild der Warte inklusive der Outfits aller Kandidaten während der Initiation zuständig. Das blaue Kleid der Präsidentin zur Eröffnung ist ebenso auf ihrem Mist gewachsen. Oh man, ich verehre diese Frau.« Blitzartig verändern sich ihre Gesichtszüge und nehmen eine angsteinflößende Miene ein. »Womöglich ändere ich jedoch gerade meine Meinung.« Ebbas Hände ballen sich zu zittrigen Fäusten und ihr Kopf nimmt eine zu rote Farbe an. »Sie hat unsere Mitschülerin kaltblütig entführt und stellt sie wahrscheinlich als Sklavin in ihre Dienste. Wer weiß schon, was die Arme alles für niedere Arbeiten verrichten muss.« Ebbas Vater ist ein hochgeschätzter Schriftsteller und Publizist. Er verdient sich eine goldene Nase mit Berichten über die High Society und dem Verkauf seiner eigenen Geschichte aus der Zeit der Initiation. Bisher habe ich noch kein Wort von ihm gelesen, obwohl sämtliche Werke in gedruckter Form das rothsche Wohnzimmerregal neben Ärzteromanen und dem Band ›starke Frauen der Vergangenheit‹ schmücken. Mum träumt sich oft in seine große Villa in Südost. Angestellte, mehrere unbezahlbare Autos in der Garage, ein Ferienhaus mit Meerblick und eine Frau wie