Durch die Hölle in die Freiheit. Gregor Kocot. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gregor Kocot
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783750225350
Скачать книгу
waren als ich und dass sie die Oberhand über mich hatten. Anscheinend ging es ihnen darum, alles zu tun, damit ich nicht wieder auf die Beine kommen und stets auf ihre Hilfe angewiesen sein würde. Ich wusste zu jenem Zeitpunkt noch nicht, warum sie mir so sehr helfen wollten, und was eigentlich dahintersteckte. Ich begriff gar nicht, worum es ihnen ging und worauf Eifersucht und Missgunst mir gegenüber zurückzuführen war. Hätte ich sie nicht überzeugt, miteinander in eine Beziehung zu treten, indem ich betonte, dass sie zueinander passen würden, wären sie nicht zusammen gewesen. Ich hatte gar keine Ahnung, dass ich ihnen durch meine Unterstützung und auch dadurch, dass ich sie zusammenbrachte, einen Weg zu meiner Seele geöffnet hatte. Sie nutzten dann unsere Bekanntschaft zu ihrem Vorteil und führten mich in eine Lage, die im Widerspruch zu meinen Interessen stand. Ich wusste auch nicht, dass ich diese Leute durch mein Handeln zu meinen erbittertsten Feinden machen würde, die es sich zum Ziel machen würden, meine Identität und Individualität zu vernichten. Ich ahnte auch nicht, dass sie jeglichen Kontakt zu mir abbrechen würden, wenn sie an ihrem Vorhaben scheiterten.

      Ich würde nicht die ganze Verantwortung für die Spaltungen, die in meiner Familie entstanden sind, der Sekte der Pfingstler zuweisen. Bestimmt gab es dafür auch andere Ursachen. Ich möchte trotzdem betonen, dass hauptsächlich diese Sekte die Beziehungen in meiner Familie verderben ließ. Ich kann es mir kaum vorstellen, wie man die eigene Familie, Heimat oder irgendjemanden auch für gutes Geld verraten kann. Es gibt keinen Preis, der dem Verrat wert wäre. Man kann andere Leute und auch sich selbst betrügen, aber das Gewissen lässt sich nicht irreführen! Es wird dir für diese schändliche Tat Vorwürfe machen, und dich das ganze Leben lang beunruhigen. Es macht dein Leben zur Hölle auf Erden. Anscheinend sind sich nicht alle dessen bewusst. Es gibt auch Menschen, die den Verrat auch ganz leichtsinnig und sogar umsonst begehen. Für sie gehört der Verrat einfach zum Alltag. Er ist in ihren Herzen verankert. Sie sind keine Marsmenschen oder Bewohner von einem anderen Planeten. Sie stammen aus unseren Familien. Sie haben ein Bewusstsein ganz anderer Art oder haben gar keines. Kein Wunder, dass es noch schlimmer ist, wenn sie von einer verführerischen Ideologie und einem Glauben gelockt wurden, der alle Taten rechtfertigen und das Gewissen verdrängen kann. Mit solchen Typen ist nur dann ein Gespräch möglich, wenn man mit Feuer und Schusspulver auf sie zugeht oder sie total ignoriert, weil sich keine Kompromisse mit ihnen schließen lassen. Wie kann man aber die eigene Familie wie Luft betrachten, auch wenn ihre Mitglieder feindselige Absichten uns gegenüber haben? Versucht man dann nicht mit besten Kräften die gesunden Beziehungen wiederherzustellen? Nach einer Zeit merkt man aber, dass es keinen gemeineren Feind gibt, als den, der dein Verwandter ist. Zumal man sich mit diesen Typen gar nicht einigen kann. Dann haben wir keinen anderen Ausweg. Man soll sich darüber im Klaren sein, dass die tiefsten spirituellen Verletzungen ihre Wurzeln überwiegend in dem engsten Familienkreis haben. Auch fast alle Verletzungen von mir verdanke ich meiner Familie. Es dauert manchmal lange, bis man diese Tatsache begreift, weil wir unser ganzes Leben lang lernen. Offensichtlich versuchten gerade die Pfingstler mein Herz durch meine Familie zu beherrschen.

      Da ich über den Verrat meiner Schwester und meines Schwagers nicht hinwegkam, nahm ich ihr nächstes Angebot der Unterstützung in Anspruch. Somit setzte ich mich anderen peinlichen Missverständnissen aus. Sie beteten sehr eifrig für mich. Ich vertraute ihnen, weil ich diesmal ihre bösen Absichten nicht merkte. Letztendlich war das meine Familie. Wieso sollte ich mich auf meine eigene Familie nicht verlassen? Sie erzählten mir von wundervollen Heilungen, insbesondere von der Alkoholkrankheit. Das sprach mich sehr gut an, weil ich endlich von meiner Sucht befreit werden wollte. Sie wussten allzu gut, was mich trübte, und wie sie mich erfolgreich ansprechen konnten. Als meine Familie kannten sie mich ganz gut. Ich entschied mich dafür an ihren Gebets- und Evangelisationskreisen teilzunehmen. Die Begegnungen fanden in Privathäusern statt. Ich versuchte dadurch mich noch einmal mit ihnen zu arrangieren. Sie waren sehr froh darüber und bedankten sich dafür aus ganzem Herzen bei Gott. Da ich mit der Bibel zu jener Zeit nicht allzu gut vertraut war, wollte ich mich genauer in die Heilige Schrift vertiefen.

      Die polnischen Pfingstler scharten sich sonntags in dem riesigen Gotteshaus „BGG – Biblische Glaubens Gemeinde“ in Stuttgart. Außer Deutschen waren hier Menschen aus vielen anderen Ländern. Meine Schwester und mein Schwager gründeten eine polnische Gruppe von Christen. Meine Aufgabe war es, während der Versammlung Gitarre zu spielen. Es fand sich erst ein Leader und dann sogar zwei. Es gab also einen regelrechten Kampf darum, wer ein Guru werden sollte.

      Der erste Kandidat hieß Krzysiek. Er lud mich ein und versuchte, meine Unterstützung mit Schnaps zu erkaufen, ganz ohne darauf zu achten, dass ich alkoholsüchtig war. Er hatte eine unglaubliche Vision, wie man die Welt verbessern konnte. Er wollte seine Ideen verwirklichen. Seine Frau, wie auch meine Schwester, unterstützten den Mann mit allen Kräften bei der Verkündigung frommer Botschaften, auch wenn sie kaum etwas über Gott wussten. Ich lernte viele interessante Visionäre kennen, die eines gemeinsam hatten, und zwar, dass sie immer wieder Wort für Wort Zitate aus der Bibel plapperten. Sie konnten überhaupt nicht begreifen, dass die Bibel viele Gleichnisse und Metaphern enthielt, die nicht buchstäblich genommen werden sollten. Wenn diese Prediger beim Reden in einen missionarischen Wahnsinn gerieten, wirkten sie so selbstbewusst und überzeugt von dem, was sie gerade verkündeten, dass sie eine richtig große und verführerische Kraft für die Trost suchenden Seelen darstellten. In der Tat jedoch waren die echten Geheimnisse der Bibel keinem von ihnen bekannt. Sie verstanden dieses Heilige Buch nicht richtig.

      Die Geistherrscher

      Als Schwager Krzysztof und Schwester Barbara ihre ersten Schritte in der Sekte machten, war Jan schon eine wichtige Figur in dem Gotteshaus der Pfingstbewegung BGG. Im Laufe der Andacht lernten sie einander ganz schnell kennen und blieben in einem engen Kontakt. Jan war schon ein geübter Sektierer mit großer Erfahrung. Er führte eine Hausgebetsgruppe in Waiblingen in der Nähe von Stuttgart. Mit der Pfingstbewegung hatte er schon in Polen zu tun, aber er floh vor ihnen nach Deutschland. Das nutzte ihm aber kaum. Sie folgten ihm, wie die Windhunde nach dem Wildschwein. Er wurde erwischt und wieder getäuscht. Er erzählte, dass er sich dann gegen seine Bestimmung und die Quelle des Lebens gesträubt hatte. Er gab zu, dass er nicht wusste, was er dann gemacht hatte und dass die Pfingstler seine Brüder seien. Die Erzählungen von Jan trieben den schon verblendeten Frauen die Tränen in die Augen. Auch meine Schwester Barbara seufzte, als sie die diese Geschichten hörte.

      Dann tauchte Krzysiek auf. Er spürte einen missionarischen Drang zu evangelisieren und die Wahrheit Gottes zu verkünden. Das war derselbe Kerl, der versuchte, meine Stimme bei den Wahlen des Anführers mit Alkohol zu erkaufen. Barbara und mein Schwager befanden sich im siebenten Himmel, luden Krzysiek und Jan mit ihren Frauen nach Hause ein und behandelten die Gäste, als ob sie zu ihrer Familie gehört hätten. Es war für sie nicht von Belang, dass sie diese Leute vor einer Weile kennenlernten, weil man den Brüdern und Schwestern aus der Pfingstgemeinde grenzenlos glauben konnte. Diese Begegnung war ein Meilenstein für die Entwicklung der polnischen Pfingstgruppe in Stuttgart und sorgte dafür, dass die in Stuttgart wohnhaften Polen aus der Pfingstbewegung nun eine Gemeinschaft bilden konnten. Wie sich später herausstellte, war dies die einzige Gruppe dieser Art. Es gibt viele Gründe dafür, dass keine weiteren Gruppen entstanden. Man konnte viel darüber erzählen. Es lang unter anderen daran, dass die Gurus wahnsinnig danach strebten das Denken von anderen Mitgliedern unter Kontrolle zu bekommen. Das nennt man eine geistige Manipulation.

      Jan und Krzysztof kämpften miteinander um den Posten des ersten Anführers der Gruppe. Mit geschlossenen Augen und erhobenen Händen entfalteten sie abwechselnd die unglaublichen Visionen von Erlösung des Menschen und Besiegung des Teufels. Ich überlegte, mit was für Leuten ich zu tun hatte. Ich dachte mir: „Sie gehören in die Psychiatrie, und zwar in eine geschlossene Abteilung und sind gar nicht für die Verkündung des Evangeliums geeignet!“ Meine Geschwister aber waren anderer Meinung. Sie waren sehr bemüht die angeblich verlorenen Katholiken zu bekehren. Sie wurden von den demagogischen Gangstern dieser Art geführt. In der Wohnung von meiner Familie ging es nun lebhaft zu. Viele Polen kamen zu Besuch, um die Langeweile zu vertreiben, etwas zu plaudern und aus purer Neugier zu hören, was dort über Gott und Erlösung unterrichtet wurde. Ich tat dies ebenfalls und merkte mir alle Informationen, die mir in meinem Weg aus der Alkoholsucht helfen konnten. Das war