Alles hat seinen Grund. Auch dass Töten. So ist das Gesetz.
Er sah dem Rauchring nach, der nicht hinaufstieg, sondern tiefer sank und schließlich von einem vorbeifahrenden Mitsubishi mitgerissen wurde. Er ließ den Zigarettenstummel vor seine Füße fallen. Dann steckte er seine großen Hände in die ausgeweiteten Taschen seiner Cordhose und ging davon.
Shane
„Und niemand hat was gemerkt? Nee, das glaub ich nicht. Die irren sich auch mal, die Wissenschaftler“, sagte Kate während sie die Zapfhähne polierte. Noch lief keine Musik und niemand spielte an den Automaten, am frühen Nachmittag war meist wenig los.
„Wie soll denn so was gehen?“, schaltete sich Jeff vom Outback-Radio ein. Der einzige Gast außer Paddy, seinem rothaarigen Assistenten Webster und Shane.
„Wer soll das überhaupt gewesen sein, ich meine, der Tote? Hier wird doch keiner vermisst, oder?“ Paddy lehnte an der Theke, biss in eine Fleischpastete.
„Wer sagt denn, dass das nicht doch ein Grab von den Blackfellows war?“, warf Kate ein und begann, das Spülbecken abzuwischen.
„Oh, Kate, hast du schon mal gehört, dass die ihre Leute enthaupten, bevor sie sie begraben?“, erwiderte Jeff.
„Was weiß ich!“ Kate verdrehte die Augen und ging in die Küche. Jeff schüttelte den Kopf.
„Also, Detective, jetzt schalten Sie doch sicher das Missing Persons Bureau ein, und die kriegen vielleicht raus, wer das sein könnte, richtig?“ Er schnalzte mit der Zunge. „Tja, bis dahin können Sie unsere schöne Gegend genießen! Übernächste Woche findet ´en großes Rodeo statt, da haben Sie sicher Ihren Spaß! Und in Charleville ist morgen ´n Pferdrennen. Sie werden sich bestimmt nicht langweilen!“ Jeff grinste. „Und Sie halten mich auf dem Laufenden, ja? Ich Sie auch. Vielleicht hat einer meiner Leute ja was mitgekriegt oder hat `n Tipp. Also, ich muss los, meine Hörer sind schon ganz unruhig!“ Jeff lachte, legte Geld auf den Tresen und ging.
„Ich frag mich, warum man Sie dafür hier braucht“, meinte Paddy beiläufig und schüttete den Rest Bier hinunter. „Könnten wir auch selbst machen, was, Webster?“
Webster, der sich an einem Glas Orangensaft festhielt, warf einen scheuen Blick auf Shane und errötete. Im selben Moment kam Kate mit einer weiteren Fleischpastete für Paddy zurück.
„Hätte nichts dagegen. Ehrlich gesagt, gibt es aufregendere Orte“, antwortete Shane und trank den Rest seiner Cola.
Im Büro fand er auf dem Schreibtisch eine Nachricht: Er solle den für die Region zuständigen Detective Philipp Russell in Charleville zurückrufen. Der Kollege hat sich schließlich also doch bequemt, sich mal zu melden. Am anderen Ende der Leitung hörte er wenig später ein kurzes Brummen, dann erklang Russells monotone Stimme, die seinen Überdruss am Job verriet.
„O’Connor? Ich hab die Nachricht, dass sich dieser Bauarbeiter, der den Unfug mit den Stromkabeln verzapft hat, am 22. September in Sydney vor den Bus geworfen hat. Seine Frau hat ihn übrigens mit der dreijährigen Tochter am Tag davor verlassen.“
„Aha ...“ Shane erinnerte sich an jenen Abend an dem Kim mit Pamela an der einen Hand und einem Koffer in der anderen ausgezogen war. Kurz danach hatte sie die Scheidung eingereicht.
„Hallo, sind Sie noch dran?“, fragte Russell.
„Ja, ja“, sagte Shane rasch. „Wir sollten uns treffen, heute Abend.“
„Heute Abend? Geht nicht. Ich muss nach Longreach ...“
„Morgen.“
„Am Samstag?“
„Genau, am Samstag. Neun Uhr.“ Shane legte auf. Russell schien genauso kooperativ wie Paddy zu sein. Er versuchte, seine Wut herunter zu schlucken. Webster kam zurück, schüttete Wasser in die Kaffeemaschine. Er wirkte immer etwas ungelenk in seinen Bewegungen als fürchte er ständig, zurechtgewiesen zu werden.
„Wie gefällt es Ihnen hier eigentlich?“, fragte Shane. Webster wurde knallrot, schluckte – und zuckte die schmächtigen Schultern.
„Ich hab es gern ruhig.“ Er blinzelte mit seinen rotblonden Wimpern.
„Keine Freunde? Freundin?“
„Na, ja. Aber mir gefällt es hier.“ Webster lachte nervös.
Shane wollte ihn nicht weiter quälen. Da war er wieder, dieser Gedanke, dass man ihn loswerden wollte. Coocooloora, das Ende seiner Karriere. Als Webster ihm eine Tasse Kaffee hinstellte, riss sich Shane zusammen und machte sich an die Arbeit. Je zügiger er vorankam, desto schneller wäre er wieder in Brisbane.
Am Nachmittag quälte sich das Fax aus der Maschine. „Sagen Sie nichts gegen die alte Matilda, funktioniert immer, ohne Mucken“, hatte Paddy auf Shanes herablassende Bemerkung gesagt. Warum er das Faxgerät Matilda, die Kaffeemaschine Babe und die Schreibmaschine Eleanor nannte, erklärte er nicht näher. Das Auto, der Computer und die Pistole waren männlich. Das Auto hieß Charly, der Computer Teddy und die Waffen Mickey. Sicher nannte Paddy seinen Schwanz Willy, dachte Shane noch bevor er sich dem Fax widmete.
Ob der Tod durch die Dekapitation eingetreten war, ließ sich leider nicht mehr feststellen, schrieb Eliza Lee. Eine Verletzung setzte blitzschnell Produktion und Wanderung von Leukozyten in Gang, die an der verletzten Stelle die eintretenden Bakterien angriffen. Wäre also im lebendigen Zustand die Enthauptung vorgenommen worden, hätten sich diese Leukozyten an den durchtrennten Gewebeteilen befunden. Der Tote war etwa fünfundvierzig Jahre alt, einsneunundsiebzig bis einsfünfundachtzig groß und zirka fünfundsiebzig Kilo schwer. Der Kopf musste mit einem kräftigen Schlag eines scharfen und schweren Gegenstandes, einer Axt womöglich, abgeschlagen worden sein. Nach dem Winkel der Knochenbeschädigung zu urteilen, war der Schlag direkt von oben durchgeführt worden. Offenbar hatte der Kopf also auf einer ebenen Fläche gelegen als die Enthauptung vorgenommen worden war. Auffallend war ein alter Bruch des Waden- und Schienbeins, typisch für einen Beinbruch beim Skifahren, wie Eliza anmerkte. Die Ergebnisse der DNA-Untersuchung würde noch eine Weile brauchen. Bei der Leiche war nichts gefunden worden: Keine Uhr, kein Ring, keine Gürtelschnalle, keine Schuhe – nichts, was näher Auskunft über die Identität des Toten hätte geben können. Sie hatte Röntgenaufnahmen gemacht, die gegebenenfalls mit vorhandenen verglichen werden konnten. Sofern es irgendeinen Anhaltspunkt dafür gab, um wen es sich überhaupt handelte. Eliza würde ihn selbstverständlich auf dem Laufenden halten und schickte ihm viele Grüße.
Jetzt wartete er nur noch auf die Auswertungen der Fotos und der Spuren, die die Kollegen aus Charleville gesichert und nach Brisbane geschickt hatten.
Aus der Forensik in Brisbane teilte man mit, dass der Unbekannte nicht länger als ein halbes Jahr tot war.
„Wir haben Glück gehabt, dass der Körper vergraben war, sonst wäre wahrscheinlich nichts mehr übrig außer ein paar abgenagten Knochen“, fügte der zuständige Sergeant zu.
Shane forderte eine Liste und Fotos aller im letzten halben Jahr im der Gegend zwischen Longreach, Charleville und Roma als vermisst gemeldeten männlichen Personen an. Auf der Suche nach allen innerhalb des vergangenen Jahres begangenen Verbrechen in der Umgebung von Charleville und Coocooloora durchforstete er die Datenbank. Er fand Hauseinbrüche, Autodiebstähle, mehrere Einbrüche in den Bottle Shop, Delikte wie Körperverletzung, Vergewaltigung – das Übliche.
Shane blätterte weiter, er wusste nicht, was er suchte. Irgendetwas, das einen Hinweis auf den Toten geben konnte. Irgendetwas. Weitere Überfälle auf die Heinemann’s Country Bakery, auf einen Elektronikladen in der Wills Street, auf E.W. Wilkinson’s Schmuck- und Blumenladen, auf das China-Restaurant Ming Court und den Modeladen Pall Mall. Mehrere Selbstmorde, ein paar Messerstechereien und Schießereien, aber nichts, was Shane in irgendeiner Weise als Hinweis betrachten konnte. Dann aber berührte ihn etwas: Am ersten Mai Suizid einer Frau namens Betty Williams, Teilaborigine, neununddreißig Jahre alt, Malerin, wohnhaft in Brisbane. Sie war auf Besuch bei ihrem Bruder