Seitenblicke auf die französische Sprachgeschichte. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: Tübinger Beiträge zur Linguistik (TBL)
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823301011
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sei noch hinzugefügt, dass allen Okkurrenzen (6) – (8) gemein ist, dass bien nach dem finiten Verb steht:

       (6) […] quar Diex le nos rendra bien quant lui plaira […] (Villehardouins, La conquête de Constantinople (60 ,15), ca. 1202, apud: Michaud 1836: 20)

       (7) Et pour vous, qui êtes le seigneur, je suis persuadée que vous le voudrez bien, par la raison que je n’en relève pas moins de vous et que c’est une augmentation au nombre de vos paroisses. (SÉVIGNÉ (DE) Mme, Correspondance, t. 3: 1680–1696, 1696, p. 97)

       (8) *CLARICE : Paresseux, qui tardez si longtemps à venir,Devinez la façon dont je veux vous punir.*PHILISTE : M'interdiriez-vous bien l'honneur de votre vue ?

        (CORNEILLE Pierre, La Veuve (1682), p. 428)

      Wie bereits erwähnt, sollte im Fall von (8) die Satzart nicht unbeachtet gelassen werden. Möglicherweise ist diese es, die in derart frühen Belegen für eine Lesart im Sinne eines Fremdbewusstseinsabgleichs noch nötig ist, während ein Fremdbewusstseinsabgleich im Falle einer grammatikalisierten Modalpartikel keines besonderen Satztypus mehr bedarf. Trotz der genannten Einschränkung ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Lexem bien ab dem späten 17. Jahrhundert und frühen 18. Jahrhundert einen Wandel erfuhr, der sich durch einen Verlust der lexikalischen Semantik zugunsten einer verstärkten pragmatischen Funktion und einer gleichzeitig abgeschwächten syntaktischen Mobilität kennzeichnet. Dies entspricht einer Distanzierung vom Adverb durch Erhöhung der Grammatikalität, was typisch für den Beginn des Grammatikalisierungsprozesses von Modalpartikeln ist.

       (9) C’est bien une femme ?C’est même une dame… jeune et jolie… la malheureuse !(SARDOU Victorien, Rabagas, 1872, p. 21)

      Der oben beschriebene Verlust der lexikalischen zugunsten einer stärker grammatischen Semantik tritt verstärkt zum Ende des 19. Jahrhunderts auf, wie das Beispiel (9) belegt. Hier ist die ursprüngliche (lexikalische) Semantik des Adverbs bien fast vollständig verblichen. Das Lexem kann beispielsweise nicht mehr mit ‚gut‘ übersetzt werden. In diesem Beispiel hat bien eine eindeutig verstärkte funktionale Wirkung, welche ein Adverb nicht haben kann. Auch die mittelfeldähnliche Position nach dem finiten Verb wird beibehalten. Die Einschränkung, es würde kein Fremdbewusstseinsabgleich ausgelöst, trifft in diesem Fall nicht mehr zu. Dies kann folgendermaßen paraphrasiert werden: Der Sprecher gibt in der Frage mit Aussagecharakter preis, dass der Kommunikationspartner die Information bereits kennt, und erbittet eine Stellungnahme. Eine durch Empathie ausgelöste Vorwegnahme – das Wissen über das Wissen des Kommunikationspartners – und der Einbezug dieses Wissens in den Gesprächskontext ist eine Besonderheit der Modalpartikeln, die diese von Adverbien unterscheidet (cf. Leiss 2009; Meisnitzer 2012). Besonders auffällig ist auch die Antwort des Kommunikationspartners auf die Frage. Dieser bestätigt den Wahrheitswert und sein Wissen. Eine solche Reaktion ist nur bei einem Fremdbewusstseinsabgleich, wie ihn Modalpartikeln auslösen, zu erwarten. Ein weiterer Faktor, der ein Indiz für einen stattfindenden Grammatikalisierungsprozess ist, ist der Einfluss des Lexems auf den modus dicendi auf illokutionärer Ebene ohne Veränderung der Proposition beziehungsweise deren Inhalt. Dieser wird wie auch bei allen deutschen Modalpartikeln nicht verändert (cf. Waltereit 2006).

       (10) Oui, c’est bien l’année de la mort de mon père; ce qui confirme ma mémoire, c’est une conversation de ma mère avec Miss Ashburton, sitôt après notre arrivée. (GIDE André, La Porte étroite, 1909, p. 497)

      Die später belegte Okkurrenz in Beispiel (10) bestätigt die eben ausgeführte Annahme und belegt den Beginn einer Routinisierung von bien in der funktional neuen Verwendung. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kommt zu dem oben zitierten Fragesatz der Einsatz der Modalpartikel bien in Aussagesätzen hinzu. In diesem Fall kann der Fremdbewusstseinsabgleich folgendermaßen interpretiert werden: Der Sprecher gibt sein Wissen und seine Position gegenüber dem Gesagten, wie auch die, die er dem Gegenüber zuordnet, an. Der Adressat hat im Anschluss die Möglichkeit, ein anderes Wissen oder eine andere Position zu vertreten, den Wahrheitswert also zu verändern, oder der Aussage und somit dem Wahrheitswert zuzustimmen unter Wahrung seines Gesichtes. Diese Funktionsweise des Fremdbewusstseinsabgleichs, welche der Paraphrasierung des oben zitierten Fragesatzes ähnlich ist, entspricht sowohl im Deutschen als auch im Französischen (und auch in weiteren Sprachen) der Funktion einer Modalpartikel (cf. Thurmair 1989; Abraham 2011; Meisnitzer/Gerards 2016 u.a.).

      Eine Parallele zwischen dem Verlauf der Grammatikalisierung von bien und quand même ist anhand der bisher getroffenen Konstatierungen evident. Lediglich eine zeitliche Verschiebung beider Verläufe lässt sich erkennen. Die ersten Veränderungsprozesse von bien traten im Vergleich zu denen von quand même deutlich früher auf. Die eigentliche Grammatikalisierung, bei der das Lexem einen mehr oder weniger kompletten Verlust der lexikalischen Semantik und einen Wandel hin zur Modalpartikel erfuhr, wie sie auch heute vorzufinden ist, trat jedoch bei bien und quand même fast zeitgleich ein.

      Wie Meisnitzer (2016) zeigt, ist die mit der Modalisierung einhergehende Abtönung in Form einer Abschwächung der Proposition durch die Modifizierung des illokutionären Akts auch in der Grammatikalisierung von bien als Höflichkeitsmarker erkennbar. In einigen Okkurrenzen verändert bien die Illokution dahingehend, dass sie Höflichkeit ausdrückt, was wiederum eine Ableitung der versprachlichten Abtönung ist. Semantisch gesehen unterscheidet sich bien in dieser Funktion wiederum von quand même, was sich durch den noch sehr jungen Grammatikalisierungsprozess erklären lässt, in Folge dessen noch eine gewisse Affinität zu den jeweiligen bridging-Kontexten besteht. Gemeinsam haben beide Lexeme eine Abschwächung der Proposition als Ergebnis des ausgelösten Fremdbewusstseinsabgleichprozesses, der bei beiden Partikeln durch die Miteinbeziehung des Wissenstandes des Adressaten ausgelöst wird.

      Dieser weitere Schritt im komplexen Grammatikalisierungsprozess von bien wurde zunächst durch den Konditional getriggert und führte dazu, dass dessen Verwendung letztlich obsolet wurde und bien heute als Höflichkeitsmarker eingesetzt werden kann.

       (11) Tu prendrais un petit café?

       (12) Tu prendrais bien un café.

       (13) Tu prends bien un café.

      Der in den Beispielen (11) bis (13) skizzierte Pfad spiegelt den Fortlauf der Grammatikalisierung des semantischen Merkmals [+HÖFLICHKEIT] von bien wieder, wie er im FRANTEXT-Korpus nachgewiesen werden konnte. Während vor Mitte des 19. Jahrhunderts ausschließlich der Konditional zur Kodierung von Höflichkeit genutzt wurde, kann im Laufe der Jahre ein Ablösungsprozess durch die Modalpartikel bis hin zu deren alleiniger Verwendung konstatiert werden. Es muss jedoch einschränkend gesagt werden, dass auch heute der Konditional noch zur Abtönung im Französischen genutzt wird (cf. Waltereit 2006).

      Diese Konsolidierung der grammatischen Semantik mit unterschiedlichen Funktionen, die jedoch immer noch stark im Schatten der Semantik des Ausgangslexems steht, zeigt, dass die Modalpartikeln im Französischen noch nicht vollständig grammatikalisiert und in die Sprache integriert zu sein scheinen. Dasselbe gilt für den Höflichkeitsmarker bien. Wäre der Grammatikalisierungsprozess vollständig abgeschlossen, würde möglicherweise aus sprachökonomischen Gründen eine der konkurrierenden Strategien der Abtönung früher oder später verloren gehen.

      3.3 Die Entstehung der Modalpartikel donc

      Die Grammatikalisierung des dritten, eindeutig als Modalpartikel ausgemachten Lexems donc nahm ihren Verlauf im Vergleich zu den beiden erstgenannten Beispielen deutlich später. Erste Hinweise auf eine Grammatikalisierung lassen sich erst in den 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts nachweisen.

       (14) Laisse-moi donc finir. (DELAVIGNE Casimir, Les Enfants d’Édouard, 1833, p. 131)

      Auffällig bei der Grammatikalisierung dieses Lexems ist die Verschiebung von donc, welches normalerweise vor dem