Seitenblicke auf die französische Sprachgeschichte. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: Tübinger Beiträge zur Linguistik (TBL)
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823301011
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im Gegensatz zum Adverb weggelassen werden, ohne dass der propositionale Wahrheitswertverändert werden würde. Eine solche Verschiebung muss im Lauf der Grammatikalisierung vollzogen werden, wobei fraglich ist, ob sich dies im Nachhinein anhand der Korpusbeispiele chronologisch korrekt einordnen lässt. Der Prozess des Verlustes der syntaktischen Mobilität (cf. Wegener 1998:41) ist ebenso in der Diachronie beobachtbar. So ist eine variable Einsetzbarkeit der Ursprungslexeme hin zu einer festen Mittelfeldposition im Deutschen und zu einer festen syntaktischen Position im Französischen durch die Korpusbeispiele belegbar.

      Im Französischen fällt die vergleichsweise hohe Zahl an Okkurrenzen innerhalb der Verbalklammer auf, welche eine gewisse Ähnlichkeit zur syntaktischen Struktur des deutschen Mittelfelds aufweist. Zwar wird auch eine zunehmend stärkere Restriktion der Kombinationsmöglichkeiten im Fortlauf des Grammatikalisierungsprozesses beschrieben (cf. Wegener 1998:41). Da es sich im Französischen um rezente Erscheinungen handelt und sich die Lexeme noch in ihrem Grammatikalisierungsprozess befinden, konnte jedoch kein Beleg für eine Kombination französischer Modalpartikeln nachgewiesen werden. Dies ist sicherlich auch durch die im Verhältnis zum Deutschen deutlich geringere Zahl an Modalpartikeln bedingt. Während im Deutschen Modalpartikeln existieren, die ähnliche beziehungsweise sich nicht gegenseitig ausschließende pragmatisch-semantische Merkmale aufweisen, sind die französischen (semantisch vollwertigen) Pendants zu heterogen und die Ziellexeme noch zu „schwach“ grammatikalisiert, als dass eine Kombination möglich wäre. Der Ansatz von Detges und Waltereit (2016) ist weitestgehend mit dem soeben beschriebenen Prozess deckungsgleich, wobei der Aspekt der zunehmenden pragmatischen Funktion noch stärker in den Fokus gerückt wird. Während die Ausgangslexeme die Proposition nur mit eingeschränktem Skopus beeinflussen, geht diese Fähigkeit verloren. Modalpartikeln haben Skopus über den gesamten Satz, da sie sich auf die Illokution auswirken (cf. Detges/Waltereit 2016). Diese Zunahme der illokutionären Kraft beschreibt bereits Abraham (1991). Sowohl Abraham (1991) als auch Detges und Waltereit (2016) definieren die Grammatikalisierung einer Modalpartikel als einen Prozess, bei dem das Lexem eine Veränderung von einem lexikalischen hin zu einem grammatikalischen beziehungsweise stärker grammatikalisierten Element erfährt (cf. Abraham 1991; Detges/Waltereit 2016:635).

      Das Alter der deutschen Modalpartikeln scheint bisher nicht geklärt zu sein. Dagegen datiert Waltereit (2006:89) für das Französische erste Tendenzen der Grammatikalisierung hin zum Lexem, welches als Modalpartikel zu bezeichnen ist, auf das Ende des 19. Jahrhunderts.2

      3.1 Die Entstehung der Modalpartikel quand même

      Waltereit (2006:89) datiert die Grammatikalisierung von quand même zur Modalpartikel auf das Ende des 19. Jahrhunderts. Zuvor beschreibt er jedoch eine Ableitung des Adverbs quand même aus dem holophrastischen Gebrauch. In beiden Fällen wird durch quand même Konzessivität ausgedrückt. Eine erste Verschiebung dieser Verwendung kann anhand des Korpus erstmals im späten 19. Jahrhundert nachgewiesen werden.

       (4) Et le soir, en se déshabillant, il soupira : demain, je coucherai dans une cellule ; c’est quand même étonnant, lorsqu’on y songe ! (HUYSMANS, Joris-Karl, En route, 1895, p. 283)

      Im Gegensatz zur Verwendung als Adverb und im holophrastischen Gebrauch hat quand même in (4) offensichtlich nicht mehr die Funktion, einen Gegensatz auszudrücken. Vielmehr dient quand même in dem Beispiel dazu, an die Erwartung des Hörers oder Lesers anzuknüpfen und dessen Haltung vorwegzunehmen beziehungsweise einzubeziehen. In diesem Beispiel wird die evozierte Verwunderung besonders betont, zumal der Kontext nur bedingt eine Verwunderung auslöst. Die Semantik des Quelllexems quand même (holophrastischer Gebrauch oder Adverb), welche mit trotzdem ins Deutsche übersetzt werden könnte, ist in dem Beispiel verblichen.

      Zeitgleich mit diesem Wandel scheint die syntaktische Positionierung direkt nach dem finiten Verb eingetreten zu sein. Dies entspricht dem oben beschriebenen Prozess des Verlustes der syntaktischen Variabilität. Im Korpus konnten zumindest keine Fälle nachgewiesen werden, bei denen entweder das semantic bleaching oder die veränderte Positionierung unabhängig voneinander eintraten. Auch der Skopus ist im Vergleich zu dem des Adverbs deutlich erweitert und erstreckt sich nun auf den gesamten Satz. Am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts sind Belege wie der oben zitierte relativ selten zu finden.1 Erst gegen Mitte des 20. Jahrhunderts scheinen die Okkurrenzen stark zuzunehmen, sodass auch weitere Fälle vorkommen, bei denen die Annahme gerechtfertigt scheint, dass es sich um eine Modalpartikel handele. Das verstärkte Auftreten ab diesem Zeitpunkt entspricht einer Routinisierung im Sinne von Detges und Waltereit (2016).

       (5) C’est quand même quelque chose ! (DUPUY Aline, Journal d’une lycéenne sous l’Occupation, Toulouse, 1943–1945, p. 129)

      Beispiel (5) belegt eine Verwendung von quand même, bei der derselbe Prozess wie in (4) zu beobachten ist. In diesem Beispiel nimmt der Sprecher auch einen Fremdbewusstseinsabgleich vor: Der Sprecher assertiert dem Hörer Verwunderung über den Inhalt der Proposition. Außerdem ist der Skopus erweitert und bezieht sich auf den gesamten Satz, was für ein (konzessives) Adverb untypisch ist. Formal sind ebenfalls alle Kriterien für eine Modalpartikel erfüllt. So ist beispielsweise quand même nach dem finiten Verb situiert, was dem deutschen Mittelfeld nicht unähnlich ist, und in dieser Position durch die französische Prosodie eindeutig unbetont. Durch den Verlust semantischer Merkmale des Lexems und die gleichzeitige Zunahme an pragmatischer Funktionalität kann somit bereits ab dem späten 19. Jahrhundert ein Wandel zur Redestrategie verzeichnet werden, welche durch Modalpartikeln versprachlicht wird. Schließt man nun die Prozesse ein, welche das Adverb selbst erfährt, wird deutlich, dass sowohl die Grammatikalisierung vom Adverb zur Modalpartikel als auch die vorherigen Prozesse stets stufenweise ablaufen. Es liegt somit kein gleichmäßig verlaufender Prozess vor, sondern ein Ablösungsprozess, bei dem das Erreichen einer nächsten Stufe längere Zeit dauert. Aus diesem Grund ist die folgende Einteilung auch nicht als feste Chronologie, sondern eher als sich abzeichnende Tendenz zu verstehen. Die zeitlichen Angaben richten sich nach den Phasen der Grammatikalisierung, wenn ein Phänomen gehäuft auftritt, was einen Hinweis auf eine Routinisierung liefert.

bis zum Beginn des 19. Jh. quand même als Konjunktion und konzessives Adverb; hauptsächlich satzinitial. Übersetzung: obwohl, trotzdem
ab Beginn des 19. Jh. quand même als konzessives Adverb; hauptsächlich satzfinal. Übersetzung: trotzdem, dennoch
ab Ende des 19. Jh. quand même auch als Modalpartikel; nach dem finiten Verb. Übersetzung: doch, aber
ab Mitte des 20. Jh. häufigere Verwendung von quand même als Modalpartikel mit Auswirkung auf illokutionärer Ebene; Prozess der Routinisierung

      Tab. 1: Skizzierung des Grammatikalisierungsprozesses von quand même vom Adverb zur Modalpartikel

      3.2 Die Entstehung der Modalpartikel bien

      Die ersten Prozesse, bei denen ein Wandel vom Ursprungslexem bien ‘gut’ hin zur Modalpartikel zu verzeichnen ist, konnten anhand des Korpus deutlich früher nachgewiesen werden als bei quand même. Eine erste semantische Verschiebung von ‘gut’ zu ‘gern’ ist bereits im Mittelalter attestiert (6). Hier ist bien aber noch immer Adverb. Derartige Beispiele nehmen in der Folge an Frequenz zu und sind vor allem ab dem 17. Jh. (7) sehr häufig. Zusätzlich ist bien ab jener Zeit auch in Interrogativsätzen (8) belegt. Hier ist eine adverbiale Lesart ‘gern’ zwar nach wie vor möglich, aber eine Interpretation im Sinne eines Fremdbewusstseinsabgleichers ‘wohl’ erscheint uns ebenfalls möglich und wohl naheliegender als in (7). Besonders interrogative Beispiele wie (8) stellen nach unserem Dafürhalten also bridging-Kontexte dar, in denen bien