Affektivität und Mehrsprachigkeit. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000935
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sie den literaturwissenschaftlichen Umgang mit poetologischen, an der Schnittstelle von Autobiographie, Sprachreflexion und Produktionsästhetik angesiedelten Texten, die sie als eine von verschiedenen möglichen Formen der Diskursivierung von Mehrsprachigkeit begreift. Während Wetenkamps Beitrag die Subjektivität affektiver Besetzungen verdeutlicht, fokussiert Susanne Zepp auch die überindividuelle Dimension autobiographischer Geschichtserfahrung. Am Beispiel von Georges-Arthur GoldschmidtGoldschmidt, Georges-Arthur und Hélène CixousCixous, Hélène geht sie der These nach, dass das Nachdenken über die Wahl der Sprache zum Modus der jeweiligen sprachlichen Reflexion von historischer Erfahrung wird. Beiden Beiträgen ist ein zentraler Befund gemeinsam: Die Affektivität von Sprache kann sich auf verschiedenen Ebenen manifestieren, sie reicht bis in das einzelne Wort in all seine Schichten hinein. Spricht RakusaRakusa, Ilma von „aufgeladenen Teilchen“, die mit Erinnerungen und Assoziationen verknüpft sind, so stellt die Reflexion des einzelnen Wortes als „Trägermaterial von Affekten“ den zentralen Berührungspunkt zwischen Hélène CixousCixous, Hélène und George-Arthur Goldschmidt essayistischen Texten dar. Insgesamt verdeutlicht Zepps Beitrag eine Annahme, die für den gesamten Band leitend ist: nämlich die der Relationalität von Affektivität, „die im Kontext von Sprache und Geschichte wirksam wird“.

      Danksagung

      Der vorliegende Sammelband geht auf eine Tagung zurück, die vom 2. bis 4. November 2017 an der Freien Universität Berlin stattgefunden hat und vom Teilprojekt „Geteilte Gefühle. Zugehörigkeit in der transkulturellen deutschsprachigen Gegenwartsliteratur“ des Sonderforschungsbereichs 1171 Affective Societies veranstaltet wurde. Wir möchten uns bei allen herzlich bedanken, die uns eine Diskussion unserer Arbeit und diesen Band ermöglicht haben: An erster Stelle danken wir den Beiträgerinnen und Beiträgern für ihre Bereitschaft, sich auf die hier umrissenen Herausforderungen so engagiert eingelassen zu haben. Dem Sonderforschungsbereich gilt unser doppelter Dank: Zum einen für die organisatorische Hilfe, zum anderen für den intensiven interdisziplinären Austausch, dem wir viele theoretische Impulse verdanken. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sei für die Ermöglichung unserer Forschungsarbeit sowie die Finanzierung der Tagung und Publikation gedankt. Dem Francke-Verlag und insbesondere Tillmann Bub danken wir für die ausgezeichnete Zusammenarbeit. Dass wir mit diesem Band die neue Reihe „Literarische Mehrsprachigkeit“ eröffnen dürfen, ist uns eine besondere Freude. Unser Dank gilt daher auch Till Dembeck und Rolf Parr als Initiatoren und Herausgebern dieser Reihe. Schließlich möchten wir uns bei Larissa Hesse für ihre Hilfe und Sorgfalt beim Redigieren der Beiträge bedanken.

      „Der geheime Text“ – Terézia Mora im Gespräch mit Anne Fleig

      In ihrer Poetik-Vorlesung Der geheime Text (2016) reflektiert die zweisprachig aufgewachsene Autorin Terézia Mora ihren Weg von einer Sprache in die andere.1 Dieser Weg bildet nicht nur die Grundlage ihrer Autorschaft, sondern hat auch sichtbare und unsichtbare Spuren in ihren Texten hinterlassen. Anhand dieser Spuren verfolgt Der geheime Text verschiedene Formen und Funktionen der literarischen Mehrsprachigkeit, die Verfahren der Intertextualität und der Übersetzung einschließen. Das gegenwärtige Interesse der Literaturwissenschaften am Thema der Mehrsprachigkeit hat die Autorin in ihrer an der Universität Salzburg gehaltenen Vorlesung explizit begrüßt, da es die Möglichkeit biete, mit anderen Sprachen auch andere Geschichten in den hegemonialen Diskurs einzuspeisen und unbekannte Sätze ‚weiterzuverteilen‘.2

      In Moras Roman Das Ungeheuer (2013) ist es Flora, die in ihren tagebuchähnlichen Aufzeichnungen, ihrem ‚geheimen Text‘, die Sprache wechselt und Sätze weiterverteilt. Dabei wird deutlich, inwiefern verschiedene Sprachen Erinnerungen und Gefühle, aber auch literarische Formen prägen. Dass ‚teilen‘ immer auch ‚trennen‘ bedeutet, wird im Text durch den horizontalen Strich kenntlich, der jede Seite durchzieht. Er markiert die sichtbaren und unsichtbaren Spuren von Mehrsprachigkeit, die nicht nur Darius Kopp als Leser von Floras Dateien, sondern auch die Leser und Leserinnen von Moras Roman vor erhebliche Herausforderungen stellen.

      Zur Eröffnung der Tagung haben wir diskutiert, welche Rolle der Sprachwechsel für das Schreiben von Terézia Mora spielt, worin der ‚geheime Text‘ besteht und wer oder was das ‚Ungeheuer‘ ist? Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus dem Gespräch, das am 2. November 2017 an der Freien Universität Berlin stattfand.

       Anne Fleig: In ihrer Salzburger Poetik-Vorlesung sagen Sie: Schreiben beginnt mit der Beobachtung der Sprache. Ich denke, diese Beobachtung setzt einen bestimmten Abstand voraus. Wie hängt dieser Abstand mit Ihrer Zweisprachigkeit zusammen? Inwiefern entsteht daraus der ‚geheime Text‘?

      Terézia Mora: Ich mache das nicht rituell: Ich bin Autorin und jetzt beobachte ich mal meine Sprache. Es ist vielmehr immer schon mein Hobby gewesen, auch, als ich noch keine Schriftstellerin war. Insofern entwickeln Sie dann eine gewisse Routine, bevor Sie anfangen zu schreiben.

       Welche Rolle spielt die Zweisprachigkeit beim Schreiben?

      Die Anwesenheit einer zweiten Sprache war insbesondere bei meinem ersten Buch Seltsame Materie (1999) für mich sehr spürbar. Das sind Erzählungen in einem einsprachig deutschsprachigen Buch, die ihren Ursprung aber in Ungarn haben, sie nähren sich aus Material, das ich aus Ungarn mitgebracht habe, und entweder deswegen, oder weil es mein erstes Buch war, haben sich beim Schreiben immer ungarische Wörter aufgedrängt. Und da musste ich zum Beispiel wahnsinnig aufmerksam sein, was ich da mache und das ist mir auch nicht überall gelungen, muss ich sagen. Manchmal habe ich auch danebengegriffen. Ich musste mich für ein deutsches Wort entscheiden und heute würde ich mich für ein anderes entscheiden. Aber beim zweiten Buch war das bereits, wie ich finde, überwunden, da konnte ich schon mehr so machen, wie ich es wollte.

       Aber das ist eher eine Frage der Erfahrung als Autorin – oder würden Sie sagen, das ist eine Frage des Sprachwechsels oder der zwei Sprachen?

      Ich würde durchaus sagen, das hat etwas mit der Erfahrung als Autorin zu tun. Bevor ich mein erstes Buch schrieb, habe ich schon ein wenig deutsche Literatur auf Deutsch gelesen, aber mitgebracht hatte ich hauptsächlich Literatur, die entweder Ungarisch im Original oder ins Ungarische übersetzt war. Ich kann mich deutlich an Momente des Sprachwechsels erinnern. Ganz einfaches Beispiel: Den „Panther“ von RilkeRilke, Rainer Maria habe ich zuerst auf Ungarisch übersetzt gelesen, und ich fand das ganz toll. Und dann habe ich das Original kennengelernt und das Interessanteste war, dass das Original jede Übersetzung, so schön sie auch war, sofort weggefegt hat. Und seitdem weiß ich nicht mehr, wie es auf Ungarisch war, ich weiß nur noch das Original.

      Zwischen meinem ersten und dem zweiten Buch habe ich bewusst vieles, was ich vorher in der Übersetzung kannte, im deutschen Original nachgelesen oder ich habe deutsche Übersetzungen von durch mich hoch geschätzter internationaler Literatur, z.B. den Ulysses gelesen, um zu wissen, wie sich Literatur auf Deutsch überhaupt liest. Offenbar war ich der Meinung, dass das notwendig war, bevor ich selbst weiter deutschsprachige Literatur schrieb. In Wahrheit ist das natürlich überhaupt nicht notwendig. Aber ich fühlte mich so besser vorbereitet.

       Ich fand Ihre Formulierung mit dem Sehen, dass Sie gesagt haben, „man beobachtet die Sprache“, auch deswegen interessant, weil Sehen dabei auf spezifische Weise eine Rolle spielt. Es gibt von Herta Müller Müller, Herta eine berühmte Formulierung, dass in jeder Sprache andere Augen sitzen. Und ich dachte …

      Interessant, dass es Augen sind und nicht Ohren, ja.

       Genau darauf zielt meine Frage.

      Das ist spontan jetzt schwierig – „andere Augen“ … nicht unbedingt, ich würde eher auf die Ohren gehen …

      Herta MüllerMüller, Herta hat damit ja zum Ausdruck bringen wollen, dass man durch jede Sprache seine Umwelt mit anderen Augen wahrnimmt.

      Und vom Sehen ist sie zurückgegangen auf Augen und schon haben wir ein außergewöhnliches Bild. Das ist etwas, was Zweisprachige häufig machen! Du untersuchst