"Wenn Du absolut nach Amerika willst, so gehe in Gottesnamen!". Heinrich Lienhard. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Lienhard
Издательство: Bookwire
Серия: Das volkskundliche Taschenbuch
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783857919183
Скачать книгу
nun einen Monat in St. Louis verbracht, war um einige unangenehme Erfahrungen reicher und um zehn Dollar ärmer. Er beschloss, die unbefriedigende Situation zu beenden, und fuhr bei der nächsten Gelegenheit nach Highland zurück.

      Im Januar 1845 verpflichtete er sich für zwei Monate bei einem Farmer namens Gale, in der Hoffnung, bei einer amerikanischen Familie besser Englisch zu lernen. Seneca Gale offerierte ihm zwar nur zwei Dollar Lohn pro Monat, wollte ihm aber nach dem Abendessen regelmässig Englischunterricht erteilen. Gale hatte früher als Lehrer gearbeitet und war nach Lienhards Worten ein aufgeklärter und belesener Mann. Anfänglich unterrichtete Gale ihn selbst, dann übernahm mehr und mehr seine 23-jährige Tochter Mariet126 diese Aufgabe. Sowohl Mariet als ihr Vater versicherten Lienhard, dass er es, wenn er ein ganzes Jahr bei ihnen bliebe, in der englischen Sprache mit jedem Einwanderer in Neu-Schweizerland würde aufnehmen können.

      Trotz strenger Arbeit auf der Farm fühlte sich Heinrich Lienhard bei den Gales so zufrieden, dass es ihn nicht einmal mehr am Sonntag zu seinen Freunden nach Highland zog. Oft erhielt die Familie Besuch von anderen jungen Männern, und es blieb ihm nicht verborgen, wem diese Aufmerksamkeit galt. Er sah es deshalb mit Genugtuung, dass Mariet keinen der Besucher besonders zuvorkommend behandelte: «Sie sagte mir dann auch selbst, was ich wahrgenommen zu haben glaubte, und wenn sie mich dann wegen meiner schöner Feuer lobte und [mir] zudem kleine Gefälligkeiten erwies, empfand ich immer mehr Zuneigung zu ihr, und diese Zuneigung ward, wie mir schien, erwiedert. Aber ich war damahls noch ein armer Kerl, und der Gedancke, mich mit einem Mädchen näher einzulassen, befor ich vollständig im Stande sein würde, eine Frau selbst zu erhalten, hielt mich von jeder zu grossen Zutraulichkeit ab, und ich blieb daher immer ein wenig Zurückhaltend.»127

      Mr. Gale wollte Lienhard für den Sommer 1845 verpflichten und ihm pro Monat sechs Dollar bezahlen, ein guter Lohn für damalige Zeiten. Aber ein Berner namens Christian Wenger hatte Lienhard aus Galena128 geschrieben, dass man dort in den Bleiminen zehn bis zwanzig Dollar pro Monat verdienen könne. Gale äusserte sich zwar skeptisch über diese Nachricht und riet ihm von der Reise ab, doch Lienhards Neugier war stärker, auch wenn ihm die Entscheidung nicht leichtfiel: «Die Mariet hatte nicht gern, dass ich weggieng, und schien der Ansicht zu sein, dass ich nicht genug Anhänglichkeit besitze. Und ich gestehe, dass ich wirklich gar nicht gern von da wegging. Mir war es, als ob ich nicht ganz recht handle, von dieser Familie wegzuziehen, wo ich doch so gut behandelt wurde; ich wusste daher kaum, was ich thun sollte. Dachte ich aber wieder an die 10–12 Dollars per Monat anstatt der $ 6.–, so konnte ich doch in sechs Monaten viel mehr verdient haben als bei Highland, zudem konnte ich mehr von der Welt sehen. Obschon ungern, entschloss ich mich doch zum gehen und glaube, dass ich der Familie Gale, besonders der Mariet, damit Wehe gethan habe.»129

      Anfang März 1845 fuhr Lienhard nach St. Louis und bestieg ein Dampfschiff nach Galena. Während dieser Fahrt flussaufwärts erblickte er zu seiner Rechten zum ersten Mal die Stadt Nauvoo, wo er sich gut zehn Jahre später, nur wenige Meter vom Ufer entfernt, niederlassen und den Rest seines Lebens verbringen würde. Nauvoo war 1845 der grösste Ort in Illinois und hauptsächlich von Mormonen bewohnt. Ihr neuer Tempel stand kurz vor der Vollendung, und das prächtige Bauwerk erhob sich majestätisch über die Stadt und den Fluss.130

image

      Das obere Mississippital, wo Lienhard 1845 unterwegs war.

      In Galena angekommen, fand er zusammen mit Wenger und einem anderen Schweizer, dem Bündner Christian Theus, Arbeit bei zwei Grubenbesitzern, die gemeinsam ein Stück Land gepachtet hatten. Der eine war ein Engländer, der andere ein Schweizer namens Bühler, und ihre Gruben befanden sich einige Meilen ausserhalb der Stadt. Lienhard und Theus arbeiteten mit dem Engländer in einem Schacht, der bereits über zwanzig Meter tief war und in dem ein zweiter Querstollen vorgetrieben wurde. Als Arbeitsgeräte standen eine Winde, Bottich, Hammer, Bohrer und Sprengmaterial zur Verfügung. Während einer der beiden Gehilfen beim Grubeneingang die Winde betätigte, musste der andere unter Tag dem Engländer zur Hand gehen. Lienhard schauderte es, als er in das dunkle Loch hinunterblickte, und er war erleichtert, dass man ihm die Arbeit an der Winde zuwies: «Obwohl das Aufwinden der Unten gesprengten Felsensplitter [und] der arbeitenden Männer aus der 60 Fuss tiefen Grube einige Kraftanwendung verlangte, so hätte ich doch nicht mit dem Teuss tauschen mögen, welcher dem Engländer in der Grube zu helfen hatte.»131

      Eines Tages fühlte sich Theus aber nicht wohl, und Lienhard musste für ihn einspringen. «Als ich Unten ankam, war mir Schwindlig, ich fiel gegen die Seite der Höhle, und mir war es, wie einem Betrunkenen sein muss, welcher bei finsterer Nacht gegen eine Steinmauer fällt. Ich wurde jedoch von meiner halben Treumerei durch die Worte des Engländers aufgeweckt, welcher mir zurief, in gebükter Stellung [mich] ihm zu nähern, da ich mir sonst mein Kopf an dem Felsen anschlagen würde. Ich blickte mich erst jetzt recht um und sah endlich der matte Schein eines Lichtes in einiger Entfernung. Halb kauernd näherte ich mich demselben; der Seitenschacht mochte vier bis vier und einhalb Fuss hoch und vielleicht ebenso weit sein. Der Engländer setzte jetzt den gestählten Steinborer an, und ich musste in äusserst unbequämer Stellung mit dem schweren Eisenhammer auf denselben losschlagen. War das geborte Loch tief genug, wurde sogleich geladen, und ich rief in die Höhe hinauf, dass Teuss mich hinauf ziehe. Ich stellte mich in den Zuber, erfasste das Seil und rief dann: ‹Auf!› Alsobald gieng es langsammen Tempos höher. Hatte ich halbwegs oben die alte Seitenhöle erreicht, schwang ich mich in dieselbe, liess Seil und Zuber los, welcher sofort wieder auf den Boden der Grube zurück gelassen wurde. Der Engländer war dann gewöhnlich bis dahin mit laden fertig, zündete die Schwefelschnur an, begab sich ebenfalls in den Bottich, nach Oben das Zeichen zum Aufziehen gebend, und bald befand er sich an meiner Seite. Es dauerte in der Regel nicht lange, so Donnerte es in der Tiefe, oft die Felsen um uns erschütternd, nach welchem für einige Minuten ein dichter Pulverrauch folgte. War dieser im Abnehmen, wurde zuerst der Engländer, dann ich wieder hinunter gelassen. Unten angekommen, räumten wier die losen Felsentrümmer hinweg, und der Mann an der Winde bekam wieder frische Arbeit.»132

      Lienhard gefiel weder der Ort noch die Beschäftigung, und er fand auch den Lohn von zehn Dollar pro Monat für diese gefährliche Tätigkeit gering. Nach ein paar Wochen in «dieser einsammen, überall durchlöcherten Gegend»133 teilte er Wenger mit, dass er sich nach einer anderen Beschäftigung umsehen wolle. Wenger schien der Arbeit in der Grube auch überdrüssig zu sein, denn er machte seinen beiden Kameraden jetzt einen neuen Vorschlag. Sie könnten zu dritt, meinte er, in den Fichtenwäldern am Black River, einem weiter nördlich gelegenen Zufluss des Mississippi, Holz schlagen und es nach St. Louis flössen. Dies sei eine einträgliche Tätigkeit und würde bestimmt jedem von ihnen einen Gewinn von mehreren hundert Dollar bringen. Er versicherte, sich über alles genau erkundigt zu haben und gut Bescheid zu wissen, so dass Lienhard und Theus sich mit dem neuen Plan einverstanden erklärten. Der Engländer und Bühler liessen ihre drei Gehilfen bereitwillig ziehen, denn seit Lienhards Ankunft war kein einziges Pfund Blei zu Tage gefördert worden.

      In den nächsten Tagen beschafften sich die Männer das nötige Werkzeug, versahen sich mit einem grossen Vorrat an Lebensmitteln und brachten alles auf das kleine Dampfboot «Otter», das damals die Verbindung zwischen Galena und Fort Snelling134 beim Zusammenfluss des Mississippi und Minnesota River aufrechterhielt. Zu Lienhards Erstaunen fuhr die «Otter» dann aber sowohl am Black River als auch an allen weiteren Zuflüssen vorüber, ohne die Fahrt auch nur zu verlangsamen. Auf seine Fragen, weshalb nicht gehalten werde, wie man doch vereinbart habe, nannte man ihm verschiedene Gründe: Einmal hiess es, die Uferwälder seien schon zu sehr abgeholzt, ein andermal sollte das Flössen an der betreffenden Stelle zu schwierig sein, dann wieder warnte sie der Schiffsclerk vor den Indianern, die gerade an diesem Fluss den Weissen besonders feindlich gesinnt seien. Schliesslich erreichten sie die Endstation der «Otter» bei den St.-Croix-Fällen, wo sie erfuhren, dass sich diese Gegend für ihr Vorhaben am wenigsten eigne, indem sie hier mit all den früher genannten Problemen gleichzeitig rechnen müssten. So kam es, dass sie ihr bereits gelandetes Gepäck wieder auf die «Otter» brachten und das Fichtenwald-Projekt endgültig aufgaben.

      Auf der Fahrt flussabwärts lernten sie einen Amerikaner namens John Minter kennen.