"Wenn Du absolut nach Amerika willst, so gehe in Gottesnamen!". Heinrich Lienhard. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Lienhard
Издательство: Bookwire
Серия: Das volkskundliche Taschenbuch
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783857919183
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Hilfe und würde ihnen 50 Cents pro Cord bezahlen, wenn sie für ihn arbeiten wollten. Da sie alle drei ohne Arbeit waren und es zudem wenig Sinn machte, die gesamten Lebensmittelvorräte nach St. Louis zurückzubringen, nahmen sie Minters Angebot kurz entschlossen an. Die beiden Inseln befanden sich unterhalb von Prescott135 (im späteren Staat Wisconsin), aber näher beim rechten Ufer (später Minnesota). Sie lagen rund zwei Meilen auseinander, und während Lienhard und Wenger auf der unteren Insel blieben, begaben sich Minter und Theus zur oberen.

      Lienhard und Wenger stellten bald fest, dass fast die ganze Insel schon abgeholzt war und ihre Vorgänger nur das besonders harte Holz oder die zum Fällen ungeeigneten Bäume zurückgelassen hatten. Schlimmer aber war, dass es in den folgenden Tagen nicht mehr zu regnen aufhörte und der bereits Hochwasser führende Fluss in einem fort weiter anstieg. Bald trennte sie ein bedeutender Strom von der hohen Uferbank, das Wasser begann die Insel zu überschwemmen und näherte sich nach und nach auch ihrer Hütte. Da weder Lienhard noch Wenger schwimmen konnten, wurde ihre Lage immer bedrohlicher: «Wir versuchten, durch Umhacken von Bäumen eine Art provisorische Brücke bis zur hohen Uferbank zu formiren, allein die kleinen Bäume wurden vom Wasser sogleich weggeschwemt, und da es ausser diesen nur ganz grosse gab, welche uns viele Arbeit gegeben und womit wier unser Zweck wahrscheinlich doch nicht erreicht haben würden, gaben wier diese Idee auf. Ich brobierte, ob unsere Hausthüre ein Mann tragen könnte, allein sie sank mit mir unter. Somit blieb uns nichts übrig, als geduldig zu warten.»136

      Als sie am folgenden Morgen erwachten, fanden sie in der Hütte «1–2 Fuss tief Wasser, in welchem unsere Kleiderkoffern und andere Gegenstände herum fluhteten».137 Die Hütte war rundum von rasch fliessendem Wasser umgeben, so dass sie sich aufs Dach flüchteten und inständig hofften, Minter oder Theus kämen noch rechtzeitig zu ihrer Rettung. Nach bangem Warten sahen sie endlich Minter in seinem grossen Kanu sich der Insel nähern. Er fuhr durch die offene Tür in die Hütte hinein, brachte sie und ihre Habseligkeiten auf der Uferbank in Sicherheit und beförderte dann zuerst Lienhard zur oberen Insel.

      Diese Kanufahrt auf dem angeschwollenen Mississippi sollte Lienhard nie mehr vergessen: «Minter hiess mich in das Cano steigen, welches sehr schwer be laden war. Es war das Erstemal in meinem Leben, dass ich ein solches Fahrzeug betrat, und ich fand, dass das Cano durch das vermehrte Gewicht von Minter und mir selbst bedenklich tiefer ins Wasser sank und dass kaum 3–4 Zoll Holz noch über dem Wasser war. Das Wasser des Mississippi floss reissend schnell, und indem ich ein völliger Neuling in einer solchen Bootfahrt war, schwankte das Fahrzeug so bedenklich, dass ich jeden Augenblick erwartete, das Cano werde umstürzen. Ich bot Alles auf, um ja recht aufrecht und ruhig zu sein; da ich aber helfen musste, das Cano vorwärts zu rudern, welches ich früher auch noch niemals gethan hatte, blieb das Hin- und Herschwanken, und zwar derart, dass Minter hinter mir jeden Augenblick ausrief: ‹Pass auf – oder wir leeren noch aus!› Ich glaube nicht, dass ich in meinem ganzen Leben je so viel Bange hatte als bei dieser ersten Canofahrt. Der Schweiss floss mir in Ströhmen über das Angesicht herab, und ich getraute mir nicht einmal, denselben abzuwischen, weil ich fürchtete, dadurch eine Unregelmässigkeit hervor zu bringen.»138

      Obwohl der Fluss weiter stieg, arbeiteten sie auch auf der oberen Insel während mehrerer Tage weiter. Sie versuchten, das bereits gehackte Holz vor den Fluten zu retten, fällten – bis zur Hüfte im eiskalten Wasser stehend – weiter Bäume und verarbeiteten diese zu Cordholz. Dann kam auch hier der Moment, wo nur noch der höchste Punkt der Insel, auf dem die Hütte stand, aus dem Wasser ragte und sie gezwungen waren, ihre Arbeit zu unterbrechen, um das Ende des Hochwassers abzuwarten. In den folgenden Tagen fand Lienhard reichlich Gelegenheit, den Umgang mit dem Kanu zu lernen, denn sie verbrachten ihre Zeit mit Fischen und der Jagd auf Wasservögel, Fasane und andere Tiere, die sie mit dem Kanu aufspüren konnten.

      In diese Zeit auf der Insel fielen Lienhards erste Begegnungen mit Indianern, besonders mit den Dakota der etwas weiter südlich liegenden Ortschaft Red Wing. Wenn Bewohner aus dem Dorf in ihren Kanus an der Insel vorüberfuhren, hielten sie manchmal an und kamen in ihre Hütte, wo sie dann um etwas Mehl, Salz oder andere Kleinigkeiten baten. Alle Begegnungen verliefen friedlich, wenn auch die Waffen immer griffbereit blieben. Die weissen Männer liessen ihre Besucher nie aus den Augen, und als einmal einige Indianer darum baten, ihr Abendessen in der Hütte zubereiten zu dürfen, verfolgten sie deren Aktivitäten mit angespannter Aufmerksamkeit. Näherten sich Einheimische auf dem Fluss in Überzahl, herrschte höchste Alarmstufe: «Es war da keine Zeit zu verlieren, schnell hatte ich meine Büchse Schussfertig gemacht und hinter die Türe gestellt, mein scharfes, grosses Metzgermesser hatte ich an meinem Körper verborgen, um, sollte es nöthig werden, es tüchtig gebrauchen zu können. Teuss hatte leider jetzt noch keine Schiesswaffe, hatte aber wie ich ein Messer zu sich genommen, hatte auch eine Axt fertig gemacht, mit welcher er sich, wenn nöthig, verteidigen wollte. Wier blieben ausserhalb der Hütte, denn ich war der Ansicht, dass wier keine unnöthige Furcht zeigen sollten, obschon etwelche der Indianer ein eigenthümliches Jauchzen vernehmen liessen.»139

      Wie schnell eine Situation hätte eskalieren können, erlebte Lienhard am Tag seiner Ankunft auf der oberen Insel. Nachdem Minter nochmals zur unteren Insel gefahren war, um auch Wenger zu holen, erschien Letzterer plötzlich in einem Kanu, das von drei Indianerinnen gerudert wurde. Bei der Insel angekommen, stiegen sowohl Wenger als die Frauen aus: «Wier mussten Jeder fünf Cents und ein Blechbecher voll Mehl geben, weil sie den Wenger mitgebracht hatten, da Minter gefunden hatte, dass unser Canoe schon ohne den Wenger fast zu tief im Wasser gieng. Wenger sagte uns, Minter komme nach und müsse bald da sein; doch noch ehe die Indianerinnen unser Platz verliessen, hörten wier mein Namen rufen und endekten auf der Höhe des östlichen Ufers unsern Minter, welcher mir zurief, die Indianer zu töden, denn sie hätten den Wenger auch getödet. Wenger antwortete, dass er nicht tod und dass Alles in der Ordnung sei.»140

      Die Indianer kannten die Gewaltbereitschaft der Weissen und waren in deren Nähe ebenfalls auf der Hut. Lienhard und Theus befanden sich eines Tages in einiger Entfernung ihrer Hütte an der Arbeit, als sie ein Kanu sich nähern sahen: «Die Squaw141 ruderte das Canoe, [während] er ein kleiner Karobiner ladete, wahrscheinlich, um einen Schuss fertig zu haben, wenn es nöthig werden sollte, währenddem er mit den weissen Männer in Berührung zu kommen gedachte. Es war der Häuptling der Sioux-Indianer von Redwing142. Er war an einem Auge blind, mochte etliche vierzig Jahre alt sein und war eher Klein als Gross, aber zimmlich untersetzt.» Lienhard und Theus wussten, dass sich Minter in der Hütte befand, weshalb sie ihre Arbeit nicht unterbrachen; nachher erfuhren sie aber, dass der Dakota in die Hütte gekommen sei und ein Beil mitgenommen habe. «Wier waren unzufrieden mit Minter, weil er uns nicht gerufen hatte, als der Häuptling uns das Hatchet nahm. Wier erwarteten nicht, dass wier es wieder zu sehen bekommen würden. Eines abends, wier waren gerade daran, unser Nachtessen zu nehmen, da trat ein stattlicher und schöner junger Indianer in unsere Hütte mit unserem Hatchet in der einen Hand, welches er bei Seite legte, währenddem er etwas sagte, was wier wieder freilich nicht zu verstehen vermochten, welches wahrscheinlich aber Dankesworte waren.»143

      Bereits im Verlauf dieser ersten Kontakte konnte Lienhard auch die oft unfreundliche, herablassende Art beobachten, mit der viele Weisse den Indianern begegneten. Als damals die vielen Kanus ihre Insel passierten, näherte sich eines davon durch einen Seitenarm des Flusses ihrer Blockhütte: «Es enthielt nur einen ausgewachsenen Indianer, eine Frau, ein Knabe von zirca 12 Jahren und ein kleines Knäblein von vielleicht zwei Jahren. Der Indianer schien geglaubt zu haben, er könne zwischen den Baumstämmen hindurch in den Hauptstrohm hinaus, [doch] er landete bei unserer Hütte, und [sie] traten in dieselbe ein. Alle waren für Indianer gut gekleidet, hatten verschiedene Zierarten an sich, besonders das kleine Knäblein, welcher der besondere Liebling Aller zu sein schien. Teuss hatte seine grosse Tabackspfeiffe im Munde. Ich bemerkte, dass der Indianer öfters nach ihm hinblickte, als ob in der Erwartung, dass Teuss diese ihm als Friedenszeichen reichen würde, damit er auch einige Züge daraus rauchen soll. Da Teuss aber keine Anstallten dazu machte, sagte der Indianer dem grossen Knaben etwas, worauf dieser sich entfernte, aber sogleich mit einer langstämmigen Tabackspfeiffe und einem Beutel voll Taback zurück kehrte, die Pfeiffe füllte, sie anzündete, sie dann dem Indianer hinreichte, welcher daraus einige Züge that [und] sie dann mir reichte. Ich that natürlich Dasselbe, denn