"Wenn Du absolut nach Amerika willst, so gehe in Gottesnamen!". Heinrich Lienhard. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Lienhard
Издательство: Bookwire
Серия: Das volkskundliche Taschenbuch
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783857919183
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er seine Erfahrungen, «aber wer in Europa Lehrling sein muss, hat gewiss ein schöner Vorgeschmack von Sklaverei erhalten; mir kam es wenigstens so vor.»53 Zuerst versuchte er es in der grössten Schreinerei von Wädenswil, wo schöne Möbel angefertigt wurden und ein halbes Dutzend Gesellen sowie drei Lehrlinge beschäftigt waren. Er vereinbarte mit dem zukünftigen Meister eine dreiwöchige Probezeit; würde er die Lehre danach definitiv antreten, sollte er sich für drei Jahre verpflichten und vierzig Taler Lehrgeld bezahlen,54 anderenfalls der Familie drei Gulden Kostgeld für die Probezeit vergüten.

      Die ungewohnte Arbeit in der Werkstatt war anstrengend, zudem lernte Heinrich schon bald auch alle anderen Pflichten des jüngsten Lehrlings kennen. Sie bestanden darin, «erstens dem Meister zu jedweder Arbeit zu Diensten zu sein, Zweitens das Wasser ins Haus [zu] tragen, Drittens der Frau Meister die Betten für alle Gesellen zu machen und die vielen schnellfüssigen Flöhe zu fangen helfen – ein Geschäft, wobei ich etwas Dumm und Langsamm war. Und endlich sollte ich, wenn der Meister nicht gerade dabei war, auch noch den jungen schwäbischen Lausbuben, welche sich als Gesellen über mich dünkten, allerlei Dienste verrichten und am Sontag auch noch sie Traktiren.»55 Dies alles entsprach nicht seinen Vorstellungen einer Lehrstelle, so dass er nach Ablauf der Probezeit dem Meister die drei Gulden Kostgeld bezahlte und erleichtert auf den Ussbühl zurückkehrte.

      Den zweiten Versuch machte er bei Büchsenmacher Pfenninger in Stäfa. «Ich war immer ein Freund vom Schiessen und schöner Schiessgewehre»,56 begründet er seine Wahl, und die dreiwöchige Probezeit verlief denn auch für beide Seiten zufriedenstellend. Das Wohnhaus mit Weinberg befand sich auf einer Anhöhe in schöner Lage, der Meister und seine Frau, die Tochter und die fünf Söhne, von denen der Älteste ebenfalls in der Werkstatt arbeitete, behandelten ihn freundlich, und auch die Kost liess nichts zu wünschen übrig. «Hätte ich da zögern sollen, einen Kontrakt zu schliessen? Ich sollte zwei und dreiviertel Jahre beim Meister bleiben und sollte eilf Dublonen Lehrgeld bezahlen; ich sollte dann aber zu keiner andern Arbeit verpflichtet sein als solche, die zum Erlernen des Büchsenmacher-Geschäft gehörenden. Die erste Hälfte des Lehrgeldes wurde sogleich bezahlt, die zweite Hälfte sollte nach Ablauf der halben Lehrzeit bezahlt werden.»57

      In der Werkstatt machte er rasch Fortschritte und war begierig, Neues zu lernen. Der Meister zog aber ein gemächlicheres Tempo vor und fand die wiederholte Bitte seines Lehrlings, er möge ihm mehr zeigen, verfrüht. Heinrich vermutete allerdings, Pfenninger habe wohl eher befürchtet, es könnte ihn dadurch «zu sehr nach baldiger Freiheit gelüsten.»58 So verrichtete er weiterhin die härtesten Arbeiten wie «Züge in neue Büchsenläufe zu ziehen, alte Züge zu erneuen und tiefer zu ziehen, Flintenläufe auszuschneiden und dergleichen, welches bedeutende Anstrengung erforderte, bei welchen Arbeiten ich förmlich dämmpfte.»59

      Mit der Zeit stellte Heinrich fest, dass die kleinen Gefälligkeiten, um die er ab und zu ausserhalb der Werkstatt gebeten wurde, sich häuften. Er verstand zwar, dass es für ihn leichter sei als für die Frauen, Wasser aus dem Brunnen ins Haus zu tragen, störte sich aber trotzdem an dem Gedanken, sich für elf Dublonen Lehrgeld zweidreiviertel Jahre «als Wasserträger für die Familie»60 betätigen zu müssen. «Aber ich suchte mich zu trösten und sagte mir, dass ich mir als Lehrjunge eine Kleinigkeit gefallen lassen müsse.»61 Er hackte Holz, half auf dem Feld und im Rebberg, und erst als ihn der Meister einmal aufforderte, Jauche umzuschöpfen, weigerte er sich, dessen Anweisung zu befolgen. «Ich war bereits an meiner Arbeit in der Werkstätte, da kam der Meister. Als er die mir befohlene Arbeit unverrichtet fand, sah er bald nach mir durch das Fenster, bald nach den Jauchen-Behältern und that sehr erzürnt. Um dass das Schlimmste sogleich kommen möge, stellte ich mich an das Fenster hin und sah ihm ruhig durch dasselbe zu. Ich erwartete, ungefähr so Freundlich angesprochen zu werden, als er mich durch seine Brille anschaute; ich hielt sein Blick aber ruhig stehend aus und erwartete ihn im nächsten Moment in der Werckstätte. Aber der Meister gieng ins Haus und hatte kein Wörtchen derwegen zu mir zu sagen.»62

      Kurze Zeit später liess man ihn aber wissen, dass er im Frühjahr würde helfen müssen, mit dem Karst den Weinberg umzugraben, Jauche und Mist auszutragen und anderes mehr, worauf Heinrich erwiderte, dass er dies nicht zu tun gedenke. «Meine Lage wurde dadurch nichts besser», erinnert er sich, «weil ich mich weigerte, der gedungene Sklave zu sein, und ich war entschlossen, der Sache sobald als Möglich ein Ende zu machen. Amerika war nun entschieden mein Ziel, doch davon durfte ich einstweilen Niemanden etwas merken lassen.»63

      Obwohl er Grund hatte, die Lehre abzubrechen, befürchtete er, der Meister könnte noch die zweite Hälfte des Lehrgeldes von ihm fordern. «Ich war damahls noch Unerfahren», stellt er rückblickend fest, «sonst hätte ich, ohne viele Umstände zu machen, mein Bündel geschnürt und mich dann bestens empfohlen, da der Kontrakt von des Meisters seite verletzt wurde, nicht aber von mir.»64 Er legte sich einen Plan zurecht und schrieb dem Vater einen Brief, in dem er ihm die Situation darlegte und ihn bat, schriftlich von ihm zu verlangen, nach Hause zu kommen, um das von der Mutter geerbte Land zu übernehmen und selbst zu bewirtschaften. Er, der Vater, habe das Land nach dem Tod der Mutter an seine Kinder abgetreten, um davon befreit zu sein, und er könne mit Heinrich keine Ausnahme machen.

      Die erste Antwort des Vaters fiel nicht nach Heinrichs Wunsch aus: «Mein Vater war kein Freund der Büchsenmacherei und hatte mir anfangs stark abgerathen, diese Profession zu erlernen, von welcher er ungefähr die selbe Achtung hatte, als wäre sie mit der Kesselflickerei auf einer Stufe. […] In seiner Antwort hiess es, ich hätte mir das Ding besser überlegen sollen, noch befor ich den Kontrakt unterzeichnet und das halbe Lehrgeld, Fünf und eine halbe Dublone, daran bezahlt. Jetzt solle ich womöglich zu bleiben suchen, Zwei und ein Viertel Jahre seien ja doch keine Ewigkeit etc.»65 Heinrich antwortete dem Vater aber postwendend, dass er die Lehrstelle mit oder ohne seine Hilfe verlassen werde, selbst auf die Gefahr hin, die andere Hälfte des Lehrgeldes noch bezahlen zu müssen. Bald darauf traf der gewünschte Brief des Vaters doch noch ein. Heinrich gab ihn dem Meister zu lesen, worauf dieser erklärte, er wolle mit ihm nach Bilten gehen und persönlich mit dem Vater und den Geschwistern reden.

      Der Besuch auf dem Ussbühl wurde auf einen Sonntag Anfang 1843 festgesetzt. «Es war noch Finster, als wir den Weg nach Bilten antraten. Es war ein frostiger Februar-Morgen, in den Strassen gab es noch an vielen Stellen Schnee und Eiskrusten. Der Meister lief sehr rasch und war fast immer um ein bis zwei Schritte voraus und stürzte ein paar Mahl nieder, wobei er sich ein wenig Wehe that und welches ich, wäre ich geneigt gewesen, ein Bisschen abergläubig zu sein, als für mich ein gutes Zeichen hätte betrachten sollen.»66 Tatsächlich verlief der Besuch zu Hause ganz nach Heinrichs Wunsch, indem die Familie sich genau an seine Anweisungen hielt und Pfenninger schliesslich einsehen musste, dass die Sache nicht mehr zu ändern war.

      Am folgenden Tag marschierte Heinrich mit Pfenninger zurück nach Stäfa, wo der Meister ihn noch einen grossen Haufen Holz sägen und hacken hiess. «Um keine Unzufriedenheit durch eine Weigerung hervorzurufen, gieng ich rüstig an die Arbeit, sägte mit verdopelter Kraft drauf los, und der grosse Haufe war Abends zum Erstaunen der ganzen Familie fertig, denn man hätte mir das gar nicht zugemuthet, dass ich soviel in einem Tag fertig bringen könnte. […] An Essen und Trinken wurde ich an diesem Tage behandelt wie während meiner Probewochen. Am nächsten Morgen hatte ich meine Kleider bald zusammen geschnürt und nahm endlich herzlichen Abschied, das heisst, ich verabschiedete mich herzlich Gern. Als ich Stäfa im Rücken hatte, fühlte ich wieder wie der Vogel in der Luft, und ich erreichte mein Vaterhaus bald [am] Nachmittag.»67

      Auf dem Ussbühl folgte eine schwierige Zeit, in der, so Lienhard, der Hausfriede nicht der beste war. Immer wieder versuchte er, dem Vater die Erlaubnis für die geplante Amerikareise abzuringen, denn ohne den väterlichen Segen wollte er das Elternhaus nicht verlassen. Aber der enttäuschte Vater, der seinem Sohn beim Abbruch der Lehre geholfen hatte im Glauben, dieser kehre nun endgültig nach Hause zurück, weigerte sich beharrlich, sein Einverständnis zu geben. Die alten Grundsatzdiskussionen nahmen ihren Fortgang, und das Reizwort «Amerika» gab Anlass zu vielen harten Auseinandersetzungen. Warum der Vater ihn nicht ziehen lassen wollte, war für Heinrich schwer zu verstehen: «Obschon ich entschieden der Ansicht war, dass mein Vater unter seinen Kindern mich