Die Suche nach Tony Veitch. William McIlvanney. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: William McIlvanney
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783956140365
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      »Entschuldigung. Ich glaube, hier wurde gerade jemand herverlegt. Er hat darum gebeten, mich zu sprechen. Mein Name ist Laidlaw. Detective Inspector Laidlaw.« Er zeigte seinen Ausweis.

      »Und?«

      »Ob ich den Patienten wohl sehen kann?«

      Sie stieß ein knappes, einsilbiges Lachen aus, es klang wie das weit entfernte Bellen eines Wachhunds und ebenso humorvoll. Anschließend schüttelte sie auf Beamtenart den Kopf und setzte den strengen, herablassenden Blick auf, der alle Uneingeweihten zu den Rettungsbooten fliehen lässt.

      »Ist das Ihr Ernst?«

      »Ich gebe mir Mühe«, sagte Laidlaw.

      »Das hier ist eine Intensivstation.«

      »Für ein Café habe ich es nicht gehalten. Und ich hab’s eilig.«

      Sie starrte Laidlaw an, schätzte ihn vermutlich neu ein: kein Durchschnittsidiot – vielmehr ein Ärgernis ersten Grades. In solchen Fällen mag es notwendig sein, eine Fassade aus minimalen Fakten aufzubauen, vorzugsweise unverständlichen.

      »Der Ventilator wird vorbereitet. Möglicherweise ist eine Dialyse unerlässlich.«

      »Ist er bei Bewusstsein?«

      »Er ist sehr durcheinander.«

      »Aber bei Bewusstsein.«

      »Im Augenblick, ja.«

      »Na, dann«, sagte Laidlaw. »Wenn er mich sprechen will, muss es ihm wichtig sein. Ich gehe davon aus, dass er trotz allem gewisse Rechte hat. Wenn Sie nicht wollen, dass ich zu ihm reingehe, überlegen Sie sich lieber, wie Sie’s verhindern.«

      Er ging an ihr vorbei. Sie holte ihn ein, bevor er die Schwingtür erreicht hatte.

      »Warten Sie bitte hier«, sagte sie und ging weiter. Wenige Augenblicke später kam sie heraus und nahm einen frisch gewaschenen Krankenhauskittel von einem Stapel. Es machte ihr Spaß, Laidlaw zu beobachten, der dahinterzukommen versuchte, wie man den Kittel anzog. Da er die richtigen Filme gesehen hatte, zog er den Kittel falsch herum an. Sie bot ihm nicht an, ihm beim Zubinden zu helfen, weshalb er ihr mit den Händen auf dem Rücken folgte und dabei fürchtete, die Urheberrechte des Duke of Edinburgh zu verletzen.

      Hinter der zweiten Schwingtür sagte sie: »Warten Sie hier, bitte.«

      Das Licht im Raum war gedämpft. Rechts befanden sich mit Glasscheiben voneinander getrennte Kabinen. Aus manchen drangen leise Geräusche. Man hatte das Gefühl, hier auf Zehenspitzen zu leben. Zwei Schwestern bewegten sich beinahe geräuschlos hin und her, Vestalinnen dieses Allerheiligsten.

      Die Geräte waren Gott. Auf einem Monitor zuckten drei gezackte Linien. In der Mitte lag der für Laidlaw einzig sichtbare Patient, wie auf einem Altar. Er war entsetzlich bewegungslos und an eine Beatmungsmaschine angeschlossen, ein belüfteter Leichnam. Als er ihn betrachtete, erinnerte sich Laidlaw, dass er irgendwo einmal gehört hatte, dass sich solche Patienten wund liegen, wenn sie nicht alle zwei Stunden eingeölt und umgebettet werden. Von seinem neuen Standpunkt aus, hielt er die Leute in der Notaufnahme für größenwahnsinnige Statisten. Ihre Einschätzungen wirkten jetzt unerhört grob. In ihrer Unerbittlichkeit waren sie Anfänger. Dieser Mann legte Zeugnis für uns alle ab, ohne Melodram. Er war auf das Atmen reduziert und stellte keine weiteren Ansprüche, seine Demut war absolut. Zog man den Stecker, starb er.

      Aus der ersten Kabine ganz rechts drangen Geräusche. Laidlaw nahm an, dass dort sein Mann sein musste. Und tatsächlich, die Schwester, die ihn wie ein Bakterium behandelt hatte, winkte ihn nun heran.

      Als er beklommen einen Bogen um die Trennwand machte und in die Nische trat, ereilte ihn derselbe Schrecken, wie wenn man einen Bekannten sterben sieht. Alle vorangegangenen Momente der Zuversicht zählen nicht mehr. Der Tod soll anonym bleiben, das wird jetzt klar. Sonst nimmt er einen ins Visier.

      Er sah einen Verdacht bestätigt, den er längst geschöpft hatte. Es war Eck Adamson. Und wenn er nicht so gut wie tot war, dann war Laidlaw unsterblich.

      Ein Arzt schob sich zwischen Laidlaw und das Bett. Er war Inder, jung, zart und hübsch. Seine Stimme bildete einen erstaunlich angenehmen Kontrast zu den Glasgower Kehllauten, seine Konsonanten waren weich und die Aussprache originell.

      »Sie dürfen mit Ihrem Freund reden, wenn Sie wollen. Wir werden ihn gleich an ein Beatmungsgerät anschließen. Im Moment ist es vor allem wichtig, die Lungenfunktion zu stabilisieren. Wenn Sie zu ihm durchdringen, versuchen Sie herauszufinden, was passiert ist.«

      Laidlaw nickte. Zuerst fiel ihm auf, dass er Eck nie zuvor so sauber gesehen hatte. Sie hatten ihn zum Sterben schön gemacht. Nur der mehrere Tage alte Bart ließ darauf schließen, aus welchem Winkel des Lebens Eck stammte; der Bart und sein Blick. Schreckhaft war er immer schon gewesen, aber jetzt spielte er komplett verrückt, sprang mal hierhin, mal dorthin, als wüsste Eck endlich mit Sicherheit, dass es die Welt auf ihn abgesehen hatte. Der Arzt und die Schwestern warteten darauf, ihn von sich selbst zu erlösen.

      »Eck«, sagte Laidlaw. »Ich bin’s, Jack Laidlaw.«

      Als er es noch mal wiederholte, streifte ihn Ecks Blick mehrmals, kehrte immer wieder zu ihm zurück, bis er auf ihm ruhte, noch unstet, aber immerhin auf derselben Umlaufbahn wie Laidlaw. Er blieb nicht auf seinem Gesicht haften, sondern schien unterschiedliche Körperteile abzusuchen, als wollte Eck Laidlaw wie ein Puzzle zusammensetzen. Eck wollte etwas sagen.

      »Gut«, hörte Laidlaw.

      »Gut«, erwiderte er.

      »Gut.«

      »Gut.«

      Eck zuckte vor Anstrengung mit dem Kopf.

      »Schreib auf«, glaubte Laidlaw verstanden zu haben. Er fand einen Umschlag in seiner Tasche und nahm einen Stift.

      »Was ist passiert, Eck?«

      Aber er hätte sich genauso gut mit einem Fernschreiber unterhalten können. Eck empfing keinerlei Nachrichten mehr. Mit dem letzten Rest, der von ihm übrig war, sandte er Informationen aus. Dass er Schmerzen hatte, war offensichtlich. So wie er die Worte daran vorbeipresste, mussten sie ihm sehr wichtig sein. Laidlaw hörte zu und fragte sich, warum.

      Eck redete unzusammenhängend. Er sprach wie jemand, der einen Schlaganfall erlitten hatte, in Zeitlupe und unterbrochen von den Knacklauten des Betrunkenen, was das physische Trauma verschlimmert, weil es die Betroffenen zu Idioten macht. Laidlaw glaubte, aus den verzerrten Äußerungen, die einer zu langsam abgespielten Platte ähnelten, eine ständig wiederholte Aussage herauszuhören. Er schrieb mit, mehr aus Respekt vor der in Auflösung befindlichen Person denn aufgrund einer Bedeutsamkeit, die er den Worten beimaß: »Der Wein, den der mir gegeben hat, das war gar keiner.«

      Das war alles, was er verstand. Als würde man einen Aufruhr belauschen. Eck wurde in seiner Not immer verzweifelter und der Arzt trat dazwischen.

      »Der Herr kann in meinem Zimmer warten«, sagte er.

      Die Schwester führte Laidlaw in einen kleinen abgetrennten Bereich am Ende der Station. Hier war gerade genug Platz, um sich hinzulegen. Laidlaw setzte sich auf das Einzelbett.

      Er betrachtete die Rückseite des Umschlags, der Letzte Wille und das Testament von Eck Adamson. Er erinnerte sich an einen Artikel über eine Putzfrau in einer Anwaltskanzlei. Auf ihrem Totenbett hatte sie Juristenlatein vor sich hin genuschelt. Eck war nicht weit davon entfernt.

      Vielleicht passte es, dass Ecks letzte Information wie Sanskrit rüberkam. Als Spitzel war er nie besonders wertvoll gewesen. Aber Laidlaw hatte ihn immer gemocht, und einmal, im Fall Bryson, hatte Eck ihm unwissentlich sehr geholfen.

      Hinter der Trennwand war es still geworden und der Arzt tauchte wieder auf. Er schüttelte den Kopf.

      »Tut mir leid«, sagte er mit der förmlichen Getragenheit, die einem eine fremde Sprache zu schenken vermag.

      Laidlaw steckte den Umschlag ein.

      »War er ein Freund?«

      Laidlaw