Die ersten 100 Jahre des Christentums 30-130 n. Chr.. Udo Schnelle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Udo Schnelle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846352298
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alt="images"/>-Titel156 (vgl. Ps 110,1LXX), der bereits in der Jerusalemer Gemeinde eine zentrale Bedeutung hatte, wie 1Kor 16,22 zeigt (Maranatha/images = „unser Herr, komm!“). Indem die Glaubenden Jesus als ‚Herrn‘ bezeichnen, unterstellen sie sich der Autorität des in der Gemeinde gegenwärtig Erhöhten. images bringt Jesu einzigartige Würde und Funktion zum Ausdruck: Er wurde zur Rechten Gottes erhöht, hat Anteil an der Macht und Herrlichkeit Gottes und übt von dort seine Herrschaft aus. Der mit dem Kyrios-Titel verbundene Aspekt der Gegenwart des Erhöhten in der Gemeinde zeigt sich deutlich in der Akklamation und in der Abendmahlstradition als Haftpunkten der Überlieferung. Indem die Gemeinde akklamiert, erkennt sie Jesus als Kyrios an und bekennt sich zu ihm (vgl. 1Kor 12,3; Phil 2,6–11). Der Gott der Christen wirkt durch seinen Geist, so dass sie laut im Gottesdienst rufen (1Kor 12,3): images („Herr ist Jesus“), und nicht: images („Verflucht sei Jesus“). Gehäuft erscheint images in der Abendmahlsüberlieferung (vgl. 1Kor 11,20–23.26ff.32; 16,22). Die Gemeinde versammelt sich in der machtvollen Gegenwart des Erhöhten, dessen heilvolle, aber auch strafende Kräfte (vgl. 1Kor 11,30) in der Abendmahlsfeier wirken. Neben die liturgische Dimension des Kyrios-Titels tritt besonders bei Paulus eine ethische Komponente. Der Kyrios ist die entscheidende Instanz, von der aus alle Bereiche des täglichen Lebens bedacht werden (Röm 14,8: „Wenn wir leben, so leben wir dem Herrn, wenn wir sterben, so sterben wir dem Herrn. Wenn wir nun leben oder sterben, so sind wir des Herrn“).

      Sohn Gottes

      Der Titel images steht vor allem in traditionsgeschichtlicher Kontinuität zu Ps 2,7 (vgl. ferner 2Sam 7,11f.14) und verbindet sich mit verschiedenen christologischen Konzeptionen157. Paulus übernahm ihn bereits aus der Tradition (vgl. 1Thess 1,9f; Röm 1,3b–4a), wobei die besondere Platzierung von images erkennen lässt, dass er diesem Titel eine hohe theologische Bedeutung zumaß. Der Sohnes-Titel bringt sowohl die enge Verbindung Jesu Christi mit dem Vater als auch seine Funktion als Heilsmittler zwischen Gott und den Menschen zum Ausdruck (vgl. 2Kor 1,19; Gal 1,16; 4,4.6; Röm 8,3). Bei Markus wird images zum zentralen christologischen Titel, der gleichermaßen Jesu himmlische und irdische Würde umfasst (vgl. Mk 1,1.9–11; 9,2–8; 12,6; 14,61; 15,39). Auch Matthäus entfaltet eine ausgeprägte Sohn-Gottes-Christologie (vgl. Mt 1,22f.25; 3,17; 4,8–10), während bei Lukas der Titel keine zentrale Stellung einnimmt.

      Sohn Davids

      In der Jerusalemer Gemeinde spielte wahrscheinlich der Titel ‚Sohn Davids‘ (images) eine besondere Rolle, denn der Messias galt als Nachkomme Davids (vgl. PsSal 17,21). Zentraler Text ist die alte Tradition Röm 1,3b–4a, wonach der irdische Jesus Sohn Davids war; Gott setzte ihn durch seinen schöpferischen Geist kraft der Auferstehung als Gottessohn ein und machte ihn so zur maßgeblichen Gestalt der Endzeit (vgl. 2Tim 2,8). In der Evangelienüberlieferung dominiert der Titel speziell bei Blindenheilungen (vgl. Mk 10,46–52; Mt 9,27; 12,23). Matthäus verleiht diesem Titel ein besonderes Gepräge. Zunächst wird Jesus als durch einen göttlichen Eingriff legitimierter Abkömmling der David-Dynastie und damit als Messias entsprechend den jüdischen Traditionen vorgestellt (Mt 1,1–17). Dann wirkt er als heilender Davidssohn in Israel, wird aber dennoch von den blinden Führern Israels nicht erkannt (vgl. Mt 9,27; 12,23; 21,14–16).

      Menschensohn

      Eine zentrale Rolle in der Christologie der Jerusalemer Gemeinde spielte die Menschensohnvorstellung158. Jüdische Grundtexte für die Menschensohnvorstellung sind Dan 7,9–14 und äthHen 46,1–48,7. Nach dieser Überlieferung wird der Menschensohn als ein präexistentes (äthHen 48,6), himmlisches Wesen beschrieben, „dessen Gestalt wie das Aussehen eines Menschen“ ist (äthHen 46,1). Er ist der Träger der Gerechtigkeit und der Erwählte Gottes (äthHen 46,3), auf ihm ruht die Weisheit Gottes und er erscheint als der endzeitliche Richter (äthHen 48,7; vgl. 47,1–3). Der Menschensohn ist nach äthHen 48,4f „eine Stütze und ein Stab für die Gerechten, ein Licht der Völker und die Hoffnung der Betrübten“. Seine himmlische Hoheit zeigt sich darin, dass alle Menschen, die das Festland bewohnen, „vor ihm niederfallen und ihn anbeten werden“ (äthHen 48,5). Wahrscheinlich bezog schon Jesus den Menschensohntitel auf sich159, so dass es nicht verwundert, wenn die Jerusalemer Gemeinde diesen Titel aufnahm, um die besondere Bedeutung Jesu zu kennzeichnen. Sie dürfte Menschensohnlogien tradiert haben (vgl. Lk 7,31–34; 9,58; 12,8f.40; 17,24.26.30; Mk 2,10.28) und darüber hinaus die hinter Mk 8,31 stehende Urform des Logions vom leidenden Menschensohn entwickelt haben160.

      Auch Weisheits- und Präexistenzspekulationen werden in der Jerusalemer Gemeinde bedeutsam gewesen sein. Mit der Menschensohnvorstellung waren sowohl der Präexistenzgedanke als auch die Weisheit verbunden und speziell Stephanus und die Hellenisten prägte offenbar weisheitliches Denken (vgl. Apg 6, 3.10). Neben dem Logos gehört die Weisheit zu den himmlischen Mittlergestalten (vgl. Prov 2,1–6; 8,22–31; Sap 6,12–11,1), die ihre Heimat in unmittelbarer Nähe zu Gott haben161. Die Weisheit ist präexistent, Schöpfungsmittlerin und Gesandte Gottes; die Frommen bitten darum, dass Gott sie ihnen sende (vgl. Sap 9,9–11). In äthHen 42,1–2 findet sich die alte Anschauung, wonach die Weisheit auf Erden keinen Platz fand, wo sie wohnen konnte, und darum in den Himmel zurückkehrte. Dieses Motiv der abgelehnten Weisheit wurde schon sehr früh auf Jesus übertragen. Die Weisheit bezeugt, dass der Menschensohn kam und keine Heimat bei den Menschen fand (vgl. Lk 7,34f). Diesem Geschlecht bleibt nur das Gericht. Die Kinder der Weisheit hingegen, die dem Ruf des Täufers und des Menschensohnes gefolgt sind, bleiben vom Gericht verschont.

      Nimmt man die ersten Jahre der Jerusalemer Gemeinde insgesamt in den Blick, zeigt sich eine überraschende Vielfalt und Kreativität. So ist die Zusammensetzung der Gemeinde sehr heterogen; neben die unmittelbaren Jünger Jesu und den weiteren Nachfolgekreis (mit vielen Frauen) aus Galiläa tritt die Familie Jesu, insbesondere seine Mutter Maria und sein Bruder Jakobus. Hinzu kommen die Jerusalemer Sympathisanten, die im Umfeld von Kreuzigung und Begräbnis für Jesus eintraten. Schließlich schlossen sich Juden aus Jerusalem und ganz Palästina, aber auch aus der hellenistischen Diaspora in einem erheblichen Maße der Gemeinde an. Es gab erste Ansätze zu einer neuen Kultur des Teilens und eine rasante theologische Entwicklung: Mit geistgewirkten Gottesdiensten, in denen Gebet und Akklamation im Mittelpunkt standen; mit der Ausprägung von Taufe und Herrenmahl als neuen Identitätsritualen; mit der Schaffung erster Texteinheiten; mit der Übertragung von zahlreichen Hoheitstiteln auf Jesus, der von Gott nicht verworfen, sondern erhöht wurde und nun sein endzeitliches Amt als Gesalbter, Herr, Sohn Gottes und Menschensohn wahrnimmt und bei der Parusie in Erscheinung treten wird.

      42Dieser Befund spricht gegen die Behauptung von DENNIS E. SMITH, What do we really know about the Jerusalem Church?, in: Ron Cameron/Merrill P. Miller (Hg.), Redescribing Christian origins, (237–252) 243, „that the Jerusalem ‚church‘ as a power broker in Christian origins was a mythological construct from the outset … The actual ekklesia in Jerusalem, such as it was, most likely played a minor role in Christian origins.“

      43Anders JAMES D. G. DUNN, Beginning from Jerusalem, 133–137; DIETRICH-ALEX KOCH, Geschichte des Urchristentums, 164–168, die sich ausschließlich auf Jerusalem konzentrieren und Galiläa außer acht lassen.

      44Vgl. CARSTEN COLPE, Die erste urchristliche Generation, 62; anders GERD LÜDEMANN, Die ersten drei Jahre Christentum, 11, wonach „die Geschichte der Urgemeinde