Die frühchristliche Taufe war sowohl religionsgeschichtlich (einmaliges Untertauchen in fließendem Wasser) als auch theologisch (Sündenvergebung, Partizipation am Heilsgeschehen) ein neues Ritual. Sie konnte vor oder während der normalen Gottesdienste vollzogen werden. Der Taufe kam für die Identitätsbildung der neuen Bewegung zweifellos eine zentrale Stellung zu, denn nun trat neben die Beschneidung ein zweites Initiationsritual, an dem auch Frauen (und Kinder?)116 teilhatten und mit dem sich grundlegende theologische Aussagen verbanden. Als Statustransformationsritual bewirkt die Taufe nicht nur eine neue Wahrnehmung der Wirklichkeit, sondern der Getaufte und die Wirklichkeit selbst sind verändert117.
HANS LIETZMANN, Messe und Herrenmahl. AKG 8, Berlin 1926. – JOACHIM JEREMIAS, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967. – HERMANN PATSCH, Abendmahl und historischer Jesus, München 1972. − HELMUT MERKLEIN, Erwägungen zur Überlieferungsgeschichte der neutestamentlichen Abendmahlstraditionen, in: ders., Studien zu Jesus und Paulus, WUNT 43, Tübingen 1987, 157–180. – BERND KOLLMANN, Urspung und Gestalten der frühchristlichen Mahlfeier, GTA 43, Göttingen 1990. – JENS SCHRÖTER, Das Abendmahl, SBS 210, Stuttgart 2006.
Wie bei der Taufe war auch beim Herrenmahl/Abendmahl118 ein Impuls aus dem Leben Jesu von entscheidender Bedeutung für die Herausbildung des Sakramentes. Historisch sehr wahrscheinlich ist ein letztes Mahl Jesu mit seinen Jüngern in Jerusalem unmittelbar vor seiner Verhaftung (vgl. 1Kor 11,23c). Dieses Mahl erhielt seinen besonderen Charakter durch das Bewusstsein Jesu, dass er sterben wird. Jesus verband seinen bevorstehenden Tod offenbar mit der Erwartung, das Reich Gottes werde nun umfassend anbrechen (Mk 14,25: „Amen, ich sage euch: ich werde sicherlich von dem Gewächs des Weinstocks nicht mehr trinken bis zu jenem Tage, wo ich es von neuem trinken werde im Gottesreich“)119. Dieses Sterben konnte von Jesus nicht losgelöst gedacht werden von seiner einzigartigen Gottesbeziehung und seiner ausgeprägten Gottesgewissheit, die sich vor allem in seiner Reich-Gottes-Verkündigung und seinen Wundern zeigten. Jesu Hoheitsbewusstsein forderte geradezu eine Deutung des bevorstehenden Geschehens! Diese Deutung konnte nicht in einfacher Kontinuität zu den Mahlfeiern des Irdischen stehen, denn mit dem bevorstehenden Tod stellte sich für Jesus umfassend die Frage nach dem Sinn seiner Sendung. Seiner Person kam dabei eine zentrale Bedeutung zu, da bereits die Gegenwart des Reiches Gottes und die Wunder ursächlich von ihr abhingen (vgl. Lk 11,20). Entsprechend forderte das bevorstehende Geschehen eine Deutung im Hinblick auf die Person Jesu, die nur er selbst geben konnte120. Wahrscheinlich verstand Jesus seinen Tod in Aufnahme von Jes 53 als Selbsthingabe für die ‚Vielen‘ (vgl. Mk 10,45b)121; der Tod steht damit in Kontinuität zum Leben des irdischen Jesus, der ‚für andere‘ eintrat und lebte. Diese Selbsthingabe formuliert Jesus im Verlauf des letzten Mahles gleichnishaft mit Deuteworten
Deuteworte
Diese Deuteworte orientieren sich nicht an dem, was eigentlich im Passamahl im Vordergrund stand, und sie gewinnen durch die Gesten eine weitere Dimension: Das gemeinsame Trinken aus dem einen Becher könnte darauf hinweisen, dass Jesus angesichts seines Todes die von ihm gestiftete Gemeinschaft über seinen Tod hinaus fortgesetzt wissen wollte. Jesus feierte somit das letzte Mahl in dem Bewusstsein, mit seinem Tod werde Gottes Reich und damit auch das Gericht hereinbrechen. Er gibt sein Leben, damit die ‚Vielen‘ in diesem Endgeschehen Rettung erlangen werden. Die Erwartung des mit seinem Sterben sich umfassend enthüllenden Reiches Gottes erfüllte sich für Jesus nicht (vgl. Mk 15,34). Gott handelte an ihm durch die Auferweckung von den Toten in unerwarteter Weise, zugleich aber auch in Kontinuität: Jesu Tod ist und bleibt rettendes Geschehen für die ‚Vielen‘.
Lobpreis, Erinnerung und Anrufung
Nachösterlich wurde das letzte Mahl zum Dank- und Lobpreis (1Kor 11,11–24/Mk 14,22.23) sowie zum Erfüllungs- und Erinnerungszeichen (1Kor 11,24.25/Lk 22,19: „zu meinem Gedächtnis“) des stellvertretend Leidenden (Mk 14,24: „vergossen für die Vielen“/Lk 22,20: „vergossen für euch“). In der Kraft des Heiligen Geistes ist der Auferstandene selbst das lebendige und gegenwartsmächtige Subjekt seines Gedächtnisses; er ist der Stifter eines neuen Bundes (1Kor 11,25/Lk 22,20), dessen heilvolle Wirkung („mein Leib/mein Blut“) die glaubende Gemeinde empfangen darf. Schließlich erweist sich der
Überindividuelle Kräfte
Einen genaueren Einblick in die frühchristliche Herrenmahlspraxis gewährt die alte vorpaulinische Tradition 1Kor 11,23–26: „Ich habe nämlich von dem Herrn empfangen, was ich euch überliefert habe: Der Herr Jesus nahm in der Nacht, in der er verraten wurde, Brot, sagte Dank, brachs und sprach: Das ist mein Leib, der für euch (gegeben wurde). Tut dies zu meinem Gedächtnis! In gleicher Weise nahm er nach dem Mahl auch den Kelch, indem er sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; tut dies, sooft ihr immer trinkt, zu meinem Gedächtnis. Denn sooft ihr dieses Brot esst und den Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.“ In Korinth wurde die sakramentale Handlung mit einer gemeinsamen Mahlzeit verbunden, wobei ursprünglich die Brot- und Kelchhandlung die Mahlzeit umrahmte (
Die Bedeutung von Taufe und Herrenmahl für die Bewegung der Christusgläubigen sind auf theologischer, institutioneller und identitätstheoretischer Ebene kaum zu überschätzen. Theologisch zeugen beide Sakramente vom Anbruch der Endzeit; in ihnen wird der erhöhte Jesus Christus als anwesend gedacht, wodurch sie zur Antizipation des Zukünftigen werden. Institutionell tragen Taufe