– Änderung aus dogmatischen Erwägungen. So wurde in Joh 7,8 das οὐκ in οὔπω verwandelt, da Jesus in Joh 7,10 doch zum Fest nach Jerusalem hinaufgeht. In Lk 1,3 ergänzen einige altlateinische Handschriften ‚et spiritui sancto‘ zu κἀμοί, um so die ausdrückliche göttliche Billigung der Evangelienabfassung hervorzuheben.
3.5.5 Termini technici der Textkritik
Bilingue | = | zweisprachige Handschrift |
Glosse | = | Interpolation – sekundärer Einschub |
Kodex | = | Handschrift in Buchform |
Konjektur | = | Änderung der modernen Herausgeber trotz einheitlicher Überlieferung bzw. ohne direkten Anhalt an der Überlieferung |
Majuskel | = | Unziale – mit großen (griech.) Buchstaben geschriebene Handschrift |
Minuskel | = | mit kleinen (griech.) Buchstaben geschriebene Handschrift |
Palimpsest | = | Pergament-Handschrift, deren Beschriftung getilgt und die dann neu beschrieben wurde (z.B. Cod. Ephraemi) |
Polyglotte | = | mehrsprachige Bibelausgabe |
Revision | = | Überprüfung eines Textes anhand anderer Handschriften |
Variante | = | ,varia lectio‘ (vl) – abweichende Lesart |
3.6 Der Vollzug der Textkritik
Die Textkritik vollzieht sich in einem analytischen und einem interpretativen Schritt:
a) Die Feststellung der äußeren Bezeugung der einzelnen Lesarten (analytischer Schritt)
Dazu müssen zuerst die textkritischen Angaben des Apparates dechiffriert werden. Es gilt festzustellen, welche Handschriften welche Lesart bezeugen und wie diese Bezeugung qualitativ (Alter und Güte der Handschrift) und quantitativ (Umfang der Bezeugung) zu beurteilen ist. Grundsätzlich gilt die Regel: Die bestbezeugte Lesart ist die ursprünglichere.
Um den analytischen Schritt sachgemäß durchführen zu können, sind gute Kenntnisse vom Wert einzelner Handschriften notwendig. Erfahrungsgemäß haben die Studierenden hier Schwierigkeiten, weil sie oft nicht wissen, wo sie sich diese Kenntnisse aneignen können. Über das unter 3.5.2. Gesagte hinaus ist deshalb folgende Lektüre zum äußeren Wert einzelner Handschriften unerlässlich: K. u. B. ALAND, Der Text des Neuen Testaments, 167–171. 342–348; B. M. METZGER, Der Text des Neuen Testaments, 36–66 und A. WIKENHAUSER – J. SCHMID, Einleitung, 79–161.
b) Die Diskussion der inneren Wahrscheinlichkeit einer Lesart (interpretativer Schritt)
Bei diesem Schritt geht es um die Frage, welche Lesart aufgrund innerer Kriterien die ursprünglichere ist. Es muss dabei geklärt werden, wie sich die einzelnen Lesarten in ihrer Entstehung zueinander verhalten, welche sachlichen Gründe für die eine oder andere Lesart sprechen und wie die divergierenden Textfassungen aus der als ursprünglich postulierten Lesart entstehen konnten. Als Grundsatz hat dabei zu gelten, dass die Lesart die ursprünglichere ist, die die Entstehung der anderen Lesarten am besten erklärt.
Für diesen Schritt der Textkritik gibt es zwei bewährte Regeln:
1. Diejenige Lesart ist die ältere, von der sich die übrigen ableiten lassen.
Es ist dann die Lesart aufzuspüren, die den höheren Schwierigkeitsgrad bietet, denn es ist wahrscheinlicher, dass eine schwierige Lesart geglättet und verständlicher gemacht wurde als umgekehrt. Es gilt also die Regel: lectio difficilior probabilior (vgl. J. A. Bengel: ‚Proclivi scriptioni praestat ardua‘). Diese Regel ist natürlich nicht anwendbar, wenn eine Lesart völlig unsinnig ist.
2. Diejenige Lesart ist gewichtiger, die kürzer ist als die anderen; denn es besteht beim Abschreiben eher die Tendenz, eine Textstelle mit Ergänzungen zu versehen als sie zu kürzen. Es gilt also die Regel: lectio brevior potior. Auch hier gibt es Ausnahmen; denn es kommt vor, dass versehentlich Wörter ausgelassen werden.
Die Diskussion der inneren Wahrscheinlichkeit von Lesarten setzt oft ein hohes Maß an exegetischer und theologiegeschichtlicher Kenntnis voraus. Sprachgebrauch und theologische Tendenz des Autors wollen bedacht sein, und häufig muss die theologische Diskussion einer bestimmten Epoche der Kirchengeschichte bekannt sein, um Glättungen und Ergänzungen als solche erkennen zu können.
Textkritische Analyse von Mk 7,24 (nach Nestle-Aland28)
1. Variante
Äußere Bezeugung: ’Eκεῖθεν δέ ἀναστάς lesen die Majuskeln
01, B 03, L 019, Δ 037; die Minuskeln 892, 1241, 1424, sowie eine Randlesart der syrischen Harklensis. Dagegen lesen die Majuskeln A 02, K 017, N 022, Γ 036, Θ 038, die Minuskelfamilien 1 und 13; die Minuskeln 28.33.565.700.2542, mit Abweichungen D 05 und 579, der Mehrheitstext sowie die Harklensis καὶ ἐκεῖθεν ἀναστάς. Die Majuskel W 032, die Itala sowie der Sinai-Syrer lesen lediglich καὶ ἀναστάς. Das Lektionar 2211 liest: ἀναστὰς ό κύριος ἡμῶν Ίησοῦς Χριστός.Kommt den zuletzt genannten Lesarten schon wegen ihrer geringen äußeren Bezeugung nicht als ursprünglicher Text in Frage, so sind die beiden anderen Lesarten von der äußeren Bezeugung her etwa gleichwertig. Für die textkritische Entscheidung müssen somit innere Kriterien hinzugezogen werden.
Innere Bezeugung: Das καί der zweiten Lesart anstelle des bei Mk seltenen δέ könnte man als Paralleleinfluss von Mt 15,21 erklären. Wahrscheinlicher ist aber ein Einfluss von Mk 10,1, wo der Versanfang lautet: καὶ ἐκεῖθεν ἀναστάς. Dies ist um so wahrscheinlicher, als Mk 10,1 über den Anfang des Verses hinaus Parallelen zu 7,24 bietet.
Textkritisches Urteil: Nimmt man einen Einfluss von Mk 10,1 auf Mk 7,24 im Verlauf der Textüberlieferung an, so ist die Lesart ἐκεῖθεν δὲ ἀναστάς als die ursprüngliche anzusehen. Allerdings ist in diesem Fall keine Eindeutigkeit zu erreichen, was sich schon an den unterschiedlichen Entscheidungen von Nestle-Aland27.28 und Huck-Greeven zeigt.
2. Variante
Äußere Bezeugung: Die Lesart τὰ ὅρια wird durch die Majuskeln
01, B 03, D 05, L 019, W 032, Δ 037, Θ 038, die Minuskelfamilien 1 und 13, die Minuskeln 28, 579, 700, 892, 2542, l 2211 sowie den Kirchenvater Origenes bezeugt. Hingegen lesen die Majuskel A 02, K 017, N 022, Γ 036, die Minuskeln 1241, 1424 und der Mehrheitstext τὰ μεθόρια. Schließlich liest die Minuskel 565 τὰ ὅρη.Die äußere Bezeugung spricht deutlich für die erste Lesart, obgleich die zweite Lesart im Gegensatz zur dritten auch gut bezeugt ist.
Innere Bezeugung: τὰ μεθόρια ist Hapaxlegomenon im NT und zweifellos die schwierigere Lesart. Zudem kann man für τὰ ὅρια Paralleleinfluss aus Mt 15,22 (τῶν ὁρίων) und Mk 10,1 annehmen.
Textkritisches Urteil: Für die Ursprünglichkeit von τὰ ὅρια spricht vor allem die gute äußere Bezeugung. Andererseits sprechen innere Kriterien für τὰ μεθόρια; denn es ist Hapaxlegomenon und ein Einfluss aus Mt 15,22 und Mk 10,1 ist nicht auszuschließen. Das textkritische Urteil hängt somit von der unterschiedlichen Wertung der äußeren und inneren Kriterien ab, was wiederum durch die divergierenden Meinungen von Nestle-Aland27.28 und Huck-Greeven belegt wird.
3. Variante
Äußere Bezeugung: Nach dem Wort Τύρου lesen die Majuskeln
01, A 02, B 03, K 017, N 022, Γ 036, die Minuskelfamilien 1 und 13, die Minuskeln