Die älteste erhaltene Pergamenthandschrift wurde um 350 n.Chr. geschrieben und ist seit 1475 in der Bibliothek des Vatikans nachgewiesen. Sie enthält fast das gesamte Alte Testament und das Neue Testament bis Hebr. 9, 14a (es fehlen die Pastoralbriefe, Phlm, Apk). Der Codex Vaticanus ist die bedeutendste Majuskel, vor allem wegen der Verwandtschaft mit P75, die nahezulegen scheint, dass es im 4. Jh. keine durchgehenden Rezensionen des neutestamentlichen Textes gab, wie man bisher annahm.
Faksimileausgabe: Novum Testamentum e Codice Vaticano Graeco 1209 (Codex B), tertia vice phototypice expressum: Codices e Vaticanis Selecti etc. Vol. XXX, 1968.
4. C 04 Codex Ephraemi (rescriptus)
Diese im 5. Jh. entstandene neutestamentliche Handschrift wurde im 12. Jahrhundert abgeschabt und mit dem Text von Abhandlungen des Kirchenvaters Ephraem erneut beschrieben (= Palimpsest). Mit Hilfe chemischer Substanzen konnte der frühere Text durch Tischendorf wiedergewonnen werden. Der Kodex umfasst geringe Teile des Alten Testaments, aber mehr als die Hälfte des Neuen Testaments; nur vom 2Thess und 2Joh ist nichts erhalten.
Faksimilierter Typendruck durch C. v. Tischendorf, 1843.
5. D 05 Codex Bezae Cantabrigiensis
Dieser zweisprachige Kodex (griechischer Text links) wurde 1581 vom Nachfolger Calvins THEODOR BEZA (1519–1605) der Universität Cambridge geschenkt. Er enthält den größten Teil der Evangelien, die Apostelgeschichte und ein Bruchstück des 3Joh. Datiert wird die Handschrift ins 5. oder 6. Jahrhundert, ihr Entstehungsort ist umstritten (Südgallien oder Nordafrika). Wo D 05 mit der alten Überlieferung geht, ist er ein wichtiger Zeuge, abweichende Lesarten bedürfen einer genauen Prüfung.
Faksimileausgabe: Codex Bezae Cantabrigiensis quattuor Evangelia et Actus Apostolorum complectens Graece et Latine, 1899.
Die Masse der neutestamentlichen Handschriften sind Minuskeln, deren älteste datierbare (461) im 9. Jh. entstand (vgl. Nestle-Aland27, S. 703–711/Nestle-Aland28, S. 810–814). Die Minuskeln sind für die neutestamentliche Textkritik noch nicht voll ausgewertet; wegen ihrer teilweise hohen Textqualität gewinnen sie zunehmend an Bedeutung. Textkritisch bedeutsam sind die nach K. LAKE benannte Minuskelfamilie f1 und die nach W. H. FERRAR22 bezeichnete Familie f13.
Eine eigene Gattung biblischer Handschriften stellen die Lektionare dar. Sie enthalten den biblischen Text aufgegliedert nach gottesdienstlichen Bedürfnissen und bieten vornehmlich den Koinetext23.
3.5.3 Die alten Übersetzungen
Um 180 n.Chr. erfolgten die ersten Übersetzungen des neutestamentlichen Textes ins Lateinische, Syrische und Koptische.
1. Die lateinischen Übersetzungen
Die altlateinischen Übersetzungen des Neuen Testaments (Vetus Latina oder Itala) repräsentieren ein weites Spektrum sehr unterschiedlicher Handschriften (vgl. das Verzeichnis bei Nestle-Aland27, S. 714–718/Nestle-Aland28, S. 815–819). Die ältesten Handschriften stammen zwar erst aus dem 4./5. Jh., lassen aber teilweise deutliche Vorformen erkennen. Exakt nachweisbar ist die Benutzung lateinischer Handschriften beim Kirchenvater Cyprian um 250. So ist zu vermuten, dass zuerst in Nordafrika gegen Ende des 2. Jh. ein lateinisches Neues Testament existierte.
Die seit dem 7. Jh. in der abendländischen Kirche allgemein verbreitete (= vulgata) Form des lateinischen Textes heißt Vulgata. Sie erlangte im 16. Jh. in der katholischen Kirche amtliche Gültigkeit. Zumeist gilt die Vulgata als Werk des Hieronymus (340/350–420), was allerdings nur für das Alte Testament und die Evangelien zutrifft (Abschluss der Revision im Jahr 383).
2. Die syrischen Übersetzungen
Am Anfang der Übersetzungen des Neuen Testaments ins Syrische steht die zu Beginn des letzten Drittels des 2. Jh. verfasste Evangelienharmonie des Apologeten Tatian, genannt Diatessaron (διὰ τεσσάρων = durch die vier Evangelien). Umstritten ist, ob das Diatessaron ursprünglich auf Griechisch oder auf Syrisch abgefasst wurde, da lediglich aus der Benutzung und Kommentierung des Diatessarons durch Ephraem Syrus (ca. 306–373) Rückschlüsse möglich sind.
Die ältesten syrischen Übersetzungen des Neuen Testaments (Vetus Syra) liegen in zwei Handschriften vor, dem Cureton-Syrer (syc) und dem Sinai-Syrer (sys), wobei allerdings jeweils nur die Evangelien erhalten sind. Da beide Handschriften aus dem 5. Jh. stammen, dürften die Vorlagen im 4. Jh. entstanden sein.
In der Mitte des 5. Jh. entstand die Peschitta (= die ‚Einfache‘), eine syrische Übersetzung des Neuen Testaments, die eine weite Verbreitung fand. Nicht mehr erhalten ist die im Jahr 507/508 geschriebene syrische Übersetzung des Neuen Testaments im Auftrag des Bischofs Philoxenus von Mabbug, die Philoxeniana. Im Jahr 616 unterzog der Mönch Thomas von Harkel die Philoxeniana einer gründlichen Neubearbeitung und schuf eine durch besondere Anlehnung ans Griechische gekennzeichnete syrische Übersetzung, die Harklensis.
3. Die koptischen Übersetzungen
Die ägyptische Kirche war zunächst eine griechisch sprechende Kirche. Im 3. Jh. erforderte die Missionstätigkeit eine umfangreiche Übersetzung des Neuen Testaments ins Koptische. ‚Koptisch‘ ist ein Sammelbegriff für ägyptische Dialekte (Achmimisch, Subachmimisch, Bohairisch, Mittelägyptisch, Mittelägyptisch-Faijumisch, Protobohairisch, Sahidisch), die erst in christlicher Zeit Schriftform erlangten. Die ältesten koptischen Handschriften sind ins 4. Jh. zu datieren, das gesamte Neue Testament wurde nur ins Sahidische und Bohairische übersetzt.
Erfolgten die Übersetzungen ins Lateinische, Syrische und Koptische direkt aus dem Griechischen, so trifft dies für andere Übersetzungen nicht zu (Armenisch, Georgisch, Äthiopisch), so dass der textkritische Wert dieser Übersetzungen gering ist.
3.5.4 Fehlerquellen der neutestamentlichen Textüberlieferung
Für die richtige Bewertung von Lesarten ist es wichtig, die möglichen Fehlerquellen der Textüberlieferung zu kennen.
1. Lese-, Schreib- und Hörfehler
– Verwechslung ähnlich aussehender Buchstaben (vgl. Röm 12,11: κυρίῳ – καιρῷ)
– Verwechslung ähnlich klingender Buchstaben beim Diktat (vgl. Röm 5,1: ἔχομεν – ἔχωμεν)
– Itazismus: In der Koine wurden die Vokale η, ι und υ, die Diphthonge ει, οι und υι sowie ῃ häufig als langes ι gesprochen, so dass es insbesondere bei den Personalpronomina (ἡμεῖς / ὑμεῖς; ἡ;μᾶς / ύμᾶς) zu Verwechslungen kam.
– Haplographie: Einfachschreibung von zwei gleichen oder ähnlichen Buchstaben, Buchstabengruppen oder Wörtern, die unmittelbar aufeinander folgen.
– Dittographie: versehentliche Doppelschreibung eines Buchstabens, Wortes oder einer Wortgruppe (Im Codex Vaticanus steht der Schrei der Volksmenge in Apg 19,34 μεγάλη ἡ ’Άρτεμις Έφεσίων zweimal).
– Ausfall durch Homoioteleuton (»gleiches Ende«) oder Homoioarkton (»gleicher Anfang«): Abirren des Blickes durch graphisch ähnliche bzw. mit dem gleichen Buchstaben endende oder beginnende Wörter (Im Codex Sinaiticus fehlt Lk 10,32, weil dieser Vers mit dem gleichen Verbum endet, wie der vorausgehende V.31: ἀντιπαρῆλθεν).
– Fehlerhafte Wortverbindung oder Worttrennung (vor allem wegen der scriptio continua).
– Missverstandene Abkürzungen.
– Einfügen von sekundären Randnotizen (Marginalien) in den Text.
2. Absichtliche Änderungen
– Änderungen in der Orthographie und Grammatik (Änderung des Nominativ nach ἀπό in Apk 1,4).
– Ersetzen altertümlicher oder ungewöhnlicher Wörter.
– Harmonisierung und Angleichung an Parallelstellen (bei den Synoptikern besonders an das Matthäusevangelium; vgl. die Zusätze am Ende des Vaterunsers in Lk 11,4).