»Na ja, nun, da du es erwähnst…« Noah zuckte mit den Achseln und spürte, dass seine Wangen rot wurden. »Ich hatte den Eindruck, dass Len und du irgendwie eine Geschichte habt. Als wäre er vielleicht dein Ex?«
Will hörte auf zu kauen und fuhr sich übers Kinn. »So offensichtlich, ja?«
»Es war nicht so schwer, darauf zu kommen«, sagte Noah, während er nach einer Traube griff.
»Wir haben uns letztes Jahr getrennt. Es funktionierte einfach nicht zwischen uns und ich hatte sowieso eine Menge Familienscheiß um die Ohren. Zu dem Zeitpunkt habe ich auch entschieden, vom Theater wegzugehen. Ein sauberer Schnitt, ein neuer Anfang«, erzählte Will, und als Noah nur die Brauen hob, fuhr er fort. »Ich verdiene deutlich mehr und was den Laden angeht, habe ich einen geregelteren Schichtplan.«
Noah kaute nickend an einem Stück Brot, während er über Wills Worte nachdachte. »Hast du deinen Traum aufgegeben?«, fragte er schließlich.
Will sog zittrig die Luft ein. »Da bin ich mir noch nicht so sicher. Fürs Erste ist es eine Pause… während ich ein paar andere Sachen in Ordnung bringe.«
Sie schwiegen eine Weile, jeder in seinen Gedanken verloren. Noah sah stur geradeaus und beobachtete einen Jongleur, der nah der Straßenecke seine Kunststücke zeigte und vor sich einen Hut für Spenden von Passanten hingelegt hatte.
»Gefällt sie dir wenigstens? Die Arbeit als Escort?« Noah druckste etwas herum, als er fragte, nicht sicher, ob er damit eine Grenze überschritten hatte. Doch sie waren im Café so offen miteinander gewesen, warum also jetzt damit aufhören? Es war wirklich erfrischend. Keine Erwartungen, nur die Wahrheit.
Will zuckte mit den Schultern. »Manchmal. Irgendwie ist das auch Schauspielerei – man spielt eine Rolle. Das hilft mir, andere Teile meines Gehirns zum Schweigen zu bringen.«
Scheiße, an diese Schauspielkiste hatte Noah gar nicht gedacht, aber es ergab Sinn. Sein Bauch verkrampfte sich und er fragte sich, ob Will ihm ebenfalls eine Performance liefern würde.
»Sorgst du dich je um deine Sicherheit?« Die Frage rutschte ihm heraus, bevor er sich bremsen konnte.
Will drehte sich auf seinem Platz zur Seite und zog die Nase kraus. »Hast du vor, mit einem Messer vor mir herumzufuchteln? Mir zu drohen, mich abzustechen, wenn ich dir keinen blase?«
Heilige Scheiße. Noah lief puterrot an und erstickte allein bei der Erwähnung, dass etwas Körperliches zwischen ihnen geschehen könnte, beinahe an einer Weintraube.
»Ich zieh dich nur auf.« Will lachte leise, dann stand er auf und reckte sich. »Ich muss nach Hause. Aber ich gehe mit dir zur U–Bahn-Station.«
Unterwegs warfen sie ihren Abfall fort. Sobald die Treppe hinter ihnen lag, mussten sie in unterschiedliche Richtungen gehen.
»Ich muss hier entlang.« Will deutete auf das Gleis Richtung Downtown. »Wir sehen uns auf der Arbeit.«
»Klingt gut«, sagte Noah. »Und… danke noch mal.«
Aber seltsamerweise war er noch nicht bereit, sich zu trennen. Was, wenn Will Fragen hatte? Was, wenn sie noch etwas besprechen mussten?
Noah wollte gehen, doch dann blieb er stehen und rief Will über die Schulter zurück. »He, warte mal!« Es war doch wohl normal, ihre Nummern auszutauschen, oder?
Er zog sein Handy hervor und trat dichter an Will heran, damit die anderen Passanten an ihnen vorbeigehen konnten. »Falls sich irgendetwas ändert und du vor dem Wochenende Fragen hast, lass es mich wissen. Ansonsten treffen wir uns an der Penn Station. Dann können wir zusammen nach Long Island fahren.«
»Gute Idee. Es könnte ein bisschen auffällig sein, das auf der Arbeit zu erledigen.«
Nachdem sie rasch ihre Nummern ausgetauscht hatten, gingen sie ihrer Wege. Noah war sowohl für die Wende der Ereignisse als auch für den netten Nachmittag dankbar. Beides war unerwartet gewesen und auf dem Heimweg konnte er nicht anders, als die ganze Zeit über zu pfeifen, während er an das Wochenende auf Fire Island dachte. Vielleicht freute er sich sogar darauf.
Kapitel Sechs
Will
Will fand die Wochen vor der Party auf Fire Island irgendwie surreal. Auch wenn er mehrfach dieselbe Schicht wie Noah hatte, sprachen sie im Verkaufsbereich nicht viel miteinander und sahen sich auch nicht großartig an. Ein paar Mal erwischte er Noah dabei, dass er ihn anstarrte, bevor er schnell wieder wegsah. Aber Will machte sich in dieser Hinsicht ebenfalls schuldig.
Er entdeckte keine weiteren Narben an Noah, besonders, da sein Kragen und Haar die Stellen allzu gut bedeckten, aber er konnte dennoch nicht anders, als ihn näher zu betrachten. Noah war derselbe fröhliche, selbstsichere Verkäufer wie zuvor. Sein Stil unterschied sich von Wills, das war mal sicher, und deshalb hatte Will ihn als ein bisschen fies empfunden. Noah begrüßte Kunden fröhlich, sobald sie Home and Hearth betraten, während Will sich zurückhielt und es den Kunden ermöglichte, erst einmal die Lage zu sondieren, bevor er sich ihnen näherte.
Zweifelsohne war Noah der beste Verkäufer im Team und vermutlich auf der Überholspur Richtung Management unterwegs. Will war mit seinen durchschnittlichen Verkäufen zufrieden – dies war schließlich nicht seine Leidenschaft. Solange er seine Arbeit größtenteils gern erledigte und regelmäßig sein Gehalt bekam, reichte ihm das.
Er war sich nicht sicher, wie ihr gemeinsames Wochenende verlaufen würde und ob er Noah anschließend noch mehr aus dem Weg gehen würde. Warum hatte Will sich überhaupt für die Buchung entschieden? Um Gottes willen, sie waren Kollegen, und in ein paar Tagen würden sie durch eine Überweisung vertraglich aneinander gebunden sein.
Doch Noah hatte an jenem Tag im Café so verwundbar ausgesehen und Will hatte instinktiv das Bedürfnis gehabt, ihm zu helfen. Ihn vielleicht sogar zu beschützen. Aber, um ehrlich zu sein, drehte sich ihm bei der Vorstellung, Noah einen anderen Escort zu empfehlen, der Magen um. Abgesehen davon wurde er dafür bezahlt, ein ganzes Wochenende auf Fire Island zu verbringen, wenn sie Glück hatten, bei perfektem Strandwetter.
Sie hatten sich beide dieselben Tage freigenommen, aber da sie nur selten miteinander zu tun hatten, hatte niemand auch nur mit der Wimper gezuckt. Unabhängig davon war es seit seiner Einstellung das erste Mal gewesen, dass er darum gebeten hatte, seine Schichten anzupassen. Daher war die Geschäftsführerin entspannt damit umgegangen.
Will und Noah mochten im Laden nicht viel miteinander reden, aber jenseits davon lagen die Dinge anders. Sie schrieben sich von Zeit zu Zeit und stellten sich Fragen, die das Wochenende betrafen. Will hatte an dem Nachmittag mit Noah auf dem Union Square Spaß gehabt. Daher fühlte es sich fast natürlich an, sich mit ihm abzusprechen.
Vielleicht waren sie mutiger, wenn sie sich nicht gegenüberstanden.
Also, was soll ich anziehen?, fragte Will eines Abends, als er schon im Bett lag. Wird das eine formelle Angelegenheit?
Nee, die Partys sind normalerweise ziemlich lässig. Die meisten tragen Shorts und Badesachen.
Cool. Und wie sieht es mit den Schlafgelegenheiten aus?
Es folgte eine lange Pause, die in Will die Frage weckte, ob er Noah durcheinandergebracht hatte.
Äh, ich bin mir nicht sicher. Ich habe im Strandhaus immer in demselben Schlafzimmer im ersten Stock übernachtet. Ich vermute, dieses Mal wird es genauso sein. Aber hey, wenn du lieber ins Hotel möchtest oder gern ein eigenes Zimmer hättest, ist das total in Ordnung.
Er konnte fast vor sich sehen, dass Noah ebenso rot anlief wie im Starbucks. Ganz anders, als er sich im Verkauf verhielt.
Keine Sorge! Ich soll so tun, als wären wir zusammen, weißt du noch?
Gott, das ist so dämlich. Es tut mir leid, dass ich dich unter Zugzwang gesetzt habe.
Tief durchatmen. Solange du nicht furchtbar schnarchst: Ich habe schon mit vielen Freunden in einem Bett geschlafen. Das klappt schon.
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