Fröhliches Morden überall. Margit Kruse. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Margit Kruse
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839269107
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fallen lassen. Er rief sich den Abend noch einmal ins Gedächtnis. Wieso hatte er nicht sofort reagiert? Sentimentale Stimmung? Alle an einem Tisch? Friedvolle Weihnachten? Eigentlich mochte er Weihnachten. Als er vom Melken durchgefroren an den gedeckten Tisch gekommen war und sich setzen wollte, hatte seine Mutter schon losgezetert.

      »Willst du dich nicht erst duschen? Mit dem Stallduft an den Tisch? Schämst du dich nicht?«

      Sich schämen? Wie alt war er denn? »Kannst ja gehen, wenn es dir nicht passt, da vorne ist die Tür.« Er hatte sich provokativ hingesetzt und nach der Fleischgabel gegriffen, um sich ein besonders großes Stück von der Pute auf den Teller zu packen.

      Die dämliche Cousine Klara mit ihren blutunterlaufenen Hundeaugen, eigens aus Meschede angereist, hatte losgeprustet, und er hatte sich zum zigsten Mal gefragt, was die am Heiligen Abend an seinem Tisch verloren hatte. Ihr Gelaber über ihre Busfahrt von Meschede nach Bödefeld hatte nicht nur ihn genervt. Als wäre sie aus Sibirien angereist. Keiner hatte verlangt, dass sie sich solchen Strapazen, wie sie behauptete, aussetzte. Aus diesen knapp 20 Kilometern so einen Aufstand zu machen! Na ja, hatte er sich gedacht, immer noch besser, als wenn sie, wie sonst, von ihren Krankheiten berichten würde.

      Nach der Bescherung hatte sie sich überschwänglich für die schönen Geschirrtücher bedankt, die Ellen ihr geschenkt hatte. Und was hatte er von der ollen Frau bekommen? Weihnachtszigarren! Was sollte er damit als Nichtraucher? Weil er wohl nicht dankbar genug geschaut hatte, hatte seine Mutter ihm eine Standpauke von wegen Dankbarkeit gehalten. Am liebsten hätte er sie und Klara vor die Tür gesetzt. Doch ein Tritt vors Schienbein von seiner ältesten Tochter hatte ihn davon abgehalten.

      In diesem Moment hatte Mutter Brigitte losgelegt. Unter anderem berichtete sie von Metzger Clemens und Molkereiwagenfahrer Michael. Seine Ohren auf vollen Empfang gestellt, hakte er mehrmals nach. Doch bereitete Ellen dem ein Ende, indem sie »Tochter Zion« anstimmte. Dabei wäre das der richtige Zeitpunkt gewesen, um endlich Klartext zu reden. Wer weiß, was die Alte hinter seinem Rücken verzapfte. Vielleicht wäre es auf den Tisch gekommen. Ein dummes Maul konnte eine schärfere Waffe sein als ein Messer, hatte er letztens erst gelesen.

      Angenehm gesättigt und vom Familienanschluss gewärmt, hatte sich die zittrige, ausgemergelte Klara in ihren Sessel zurückgelehnt und gegrinst. Die Chance, um auch hier mal richtig aufzuräumen. Hätte er nicht bereits drei Bier und zwei Klare intus gehabt, hätte er diesen Klarabesuchen endgültig ein Ende gesetzt. So hatte er zwei Stunden warten müssen, bis die zwei lauten Weiber endlich durch den Schnee in Brigittes Heim stapften.

      Am nächsten Tag, dem ersten Weihnachtsfeiertag, waren sie zum Mittagessen schon wieder aufgeschlagen. Kaum auszuhalten. Lothar hatte sich kalte Pute mit in den Stall genommen. Am Nachmittag, noch bevor die Kaffeerunde eingeläutet wurde, hatte er sich hoch ins Schlafzimmer geschlichen, sich aufs Bett geworfen und durch die Fernsehprogramme gezappt. Später, als die abendliche Stallarbeit erledigt gewesen war, hatte er sich vor dem Schlafengehen noch einmal vor die Haustür begeben und die klare Schneeluft eingeatmet. Wie schön diese Weihnachtsnacht war, hatte er da gedacht und hinüber zum Haus seiner Mutter geblickt. Er hatte die beiden Frauen freudig plappernd im Wohnzimmer sitzen sehen. Es hatte ihn traurig gestimmt, dass er im eigenen Heim dauernd die Flucht ergreifen musste. Betrübt war er ins Haus zurückgekehrt.

      Heute war Silvester. In wenigen Stunden begann ein neues Jahr. Ob es besser werden würde als das alte?

      5.

      Die Tote lag auf dem Bauch, direkt an einem Gebäude in der Nähe der kleinen Straße »Zur Wahr«. Der Kopf war zur Seite gedreht, am Hals klaffte eine riesige Wunde, aus der das Blut in den Schnee gesickert war. In eine dicke Jacke gehüllt beobachtete der Besitzer des Hauses das Schauspiel und stapfte aufgeregt hin und her. Da es bereits spät am Abend und deshalb stockdunkel war, hatten die Beamten Scheinwerfer aufgestellt, um Leiche und Fundort zu untersuchen.

      Ralf Radomski, Polizeihauptkommissar aus Fredeburg, leuchtete mit einer Taschenlampe hoch zur Dachrinne, an der in engen Abständen lange kräftige Eiszapfen hingen. »Der Täter meint wohl, wir seien bescheuert.« Er hatte einen abgebrochenen Zapfen in der Reihe entdeckt und deutete darauf. »Hier, das fehlende Teil des Eiszapfens war bestimmt die Tatwaffe.«

      Rolf Grundmüller, Hauptkommissar aus Dortmund, war von PHK Radomski angefordert worden, nachdem dieser festgestellt hatte, dass es sich eindeutig um Mord handelte und somit die Kripo in Dortmund zuständig war. Grundmüller war sichtlich genervt. Er hätte lieber mit seinen Gästen zu Hause das neue Jahr begrüßt, statt ins Sauerland zu fahren und den Abend mit einer Leiche zu verbringen. In 90 Minuten war er hier gewesen, trotz des chaotischen Winterwetters.

      An seiner Seite die wortkarge Tanja Altmüller, seine Kollegin, ebenfalls in Dortmund wohnhaft. Ihr schien es nichts auszumachen, am Silvesterabend zu arbeiten. Grundmüller wusste, dass die 35-Jährige kein Privatleben hatte.

      Rolf Grundmüller, 55 Jahre alt, wulstige Lippen, zurückgekämmte dunkle Haare, wahrlich keine Schönheit, rollte mit den Augen, besah sich den Rest des Zapfens an der Dachrinne und anschließend die Wunde am Hals der Toten, die von der Mitte des Halses bis zum Ohr reichte. »Sie kannten die Tote?«, wandte er sich an Radomski.

      »Ich habe sie schon einmal gesehen. Da bin ich mir ganz sicher. Ich komme allerdings aus Bad Fredeburg, immerhin zwölf Kilometer von hier entfernt.«

      Das erklärte natürlich alles, dachte Grundmüller und starrte Radomski auf seine platte Nase.

      Tanja Altmeier kramte in der Handtasche der Toten. »Alles noch da, Papiere, Geld, EC-Karte. Also kein Raubmord.«

      Wieder rollte Grundmüller mit den Augen. Da stand dieser Trottel von PHK hier seit über einer Stunde herum und hatte noch nicht nach den Papieren der Toten geschaut. Wartete stattdessen auf ihn. Zu blöd, eigene Entscheidungen zu treffen. Und das mit 48 Jahren. Radomski war als Lahmarsch bekannt, jedoch als listiger Lahmarsch.

      Ein Nachbar meinte, die Tote zu kennen. »Das ist die Mutter von dem Voss-Grobe, der seinen Hof etwas außerhalb von Bödefeld hat. Wahrscheinlich war sie in der Kirche und ist auf dem Heimweg dem Täter in die Arme gelaufen.«

      »Sie sollten bei der Kripo anfangen, guter Mann«, meinte Grundmüller mit spitzer Zunge. Noch so ein Oberschlauer, dachte er.

      Die Männer vom Erkennungsdienst waren inzwischen eingetroffen und machten sich an der Toten zu schaffen. Zum Glück hatte es aufgehört zu schneien.

      Tanja Altmüller ging zu einem der aufgestellten Scheinwerfer. »Eleonore Scheffel, steht im Ausweis. Aus Herten kommt sie.«

      »Also ein Urlaubsgast«, schlussfolgerte Radomski. Auch er sehnte sich nach Hause, in sein warmes Wohnzimmer, an den Bowletopf. Kirschbowle hatte seine Gisela zubereitet. Obwohl er bei Bereitschaftsdienst nicht trinken durfte. Sie waren gerade beim Essen gewesen, als der Anruf kam. Hoffentlich hatte die stets hungrige Gisela inzwischen nicht das gesamte zarte Fleisch aufgegessen. Da kannte die nichts. Ihm würde sie ein paar Brote schmieren und gut war es. Tschüss Fondue-Topf!

      »Befragen Sie mal die umstehenden Leute, ob jemandem was aufgefallen ist, Altmeier. Auf die Idee ist Radomski mit Sicherheit noch nicht gekommen«, befahl Grundmüller seiner Kollegin. Er schätzte die drahtige junge Frau mit dem blonden Pagenkopf sehr, auch wenn sie ein Drachen war. Aber ein schlauer, wie er fand.

      Eine kleine Traube Menschen drückte sich bei sieben Minusgraden am Leichenfundort aneinander. Wegen der Kälte seien die meisten Neugierigen schon verschwunden, wurde ihr mitgeteilt. Okay, ein Leichenfund war etwas Besonderes, doch nach fast zwei Stunden in der klirrenden Kälte zog es jeden Normaldenkenden nach Hause. Bis auf den harten Kern, der eisern ausharrte.

      Auf die Frage von Grundmüller, wer die Tote gefunden habe, meldete sich der Besitzer des Gebäudes. »Mein Hund, der Piko. Der stromert hier abends immer rum. Plötzlich fing er wie ein Irrer an zu bellen, da habe ich nachgesehen und die Frau entdeckt. Ich meinte, ein Geräusch gehört zu haben, und habe mich umgesehen. Doch bis auf die Spuren im Schnee war da nichts.«

      Der freundliche Berner Sennenhund mit dem Namen Piko sprang an Grundmüller hoch und schleckte ihm durchs Gesicht.