Fröhliches Morden überall. Margit Kruse. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Margit Kruse
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839269107
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war beleuchtet, der Schnee schaffte zusätzliche Helligkeit.

      Sie fragte sich zum wiederholten Mal, wieso sie mitgefahren war. Wieso hatte sie zugestimmt, als ihr Sohn sie zu diesem Weihnachtsurlaub eingeladen hatte? Weil er es gut meinte und sie aus dem Trauerloch holen wollte? Wahrscheinlich. Dabei befand sie sich nicht in diesem Loch, das er ihr einzureden versuchte. Er sagte, sie sehe bald wieder Licht am Ende des Tunnels. Dabei war sie längst am Ende des Tunnels angekommen. Was sie sah, war jedoch kein Licht, sondern Fritz. Nur Fritz. Doch Fritz sollte vorläufig ihr Geheimnis bleiben. Trauerjahr abwarten? Quatsch, sie trauerte ja gar nicht. Zwei Tage musste sie noch aushalten, dann ging es heimwärts, zurück nach Herten.

      So schlecht war dieser Urlaub nicht gewesen, stellte sie fest. Ihr Sohn und auch Margareta samt Mutter hatten sich alle Mühe gegeben, es ihr recht zu machen. Obwohl, Margareta hatte sich schon sehr rar gemacht. Während Thomas durch die verschneiten Wälder streifte, hing sie auf diesem Bauernhof ab und stank bestialisch, wenn sie heimkam. Und dann diese ewige Knutscherei der beiden vor dem Fernseher. Thomas hätte durchaus etwas Rücksicht nehmen können. Fritz hatte sie noch kein einziges Mal geküsst. Über ihr Haar hatte er gestrichen. Eine kleine, zarte Geste.

      Eleonore seufzte. Alles war besser, als jetzt bei denen am Tisch zu sitzen, in diesem Haus am Wald, und schon wieder Kartoffelsalat mit Würstchen zu essen. In der Kirche würde sie sich Fritz ganz nahe fühlen. Später stand Bleigießen auf dem Programm. So ein Unsinn. Das hatte sie bereits gehasst, als Thomas noch klein war und sie es zu Silvester praktiziert hatten. Vater und Sohn hatten gelacht wie Verrückte, wenn sie was angeblich besonders Originelles gegossen hatten. Nur Dreck hatte das gemacht. Löcher in Tisch und Tischdecke. Und gestunken hatte es außerdem.

      Als sie auf den schneebedeckten Ort mit den erleuchteten Tannen vor den Häusern blickte, wurde ihr ganz warm ums Herz. Sie schaute in helle Fenster, sah geschmückte Weihnachtsbäume und erhitzte Gesichter daneben.

      Sie hatte die Treppe erreicht, die sie runter in den Ort führte. Das Paar vor ihr entschied sich, den Weg, der um die stellenweise vereiste Treppe herumführte, zu nutzen. Anscheinend wollten sie keinen Beinbruch riskieren. Eleonore hatte keine Angst. Wozu gab es ein Geländer? Unten angekommen, konnte sie schon eine Menge Menschen in Richtung Kirche strömen sehen. Der Schneefall wurde stärker. Was, wenn die Kirche während des Gottesdienstes eingeschneit wurde und sie den Jahreswechsel dort verbringen musste? Eleonore grinste. Besser als Bleigießen, sagte sie sich.

      Sie passierte das Landhotel Albers, dessen Geräuschkulisse nach draußen drang. Sie blickte durch die Fenster in fröhliche Gesichter. Musik forderte die Silvestergäste zum Tanzen auf. Das wäre was für Waltraud, dachte sie. Spontan wechselte sie die Straßenseite und blieb an der kleinen Brücke stehen, die über die laut plätschernde Palme führte. An den Uferseiten glitzerte das gefrorene Eis. Links reichte der Anbau eines Hauses bis ans Ufer. Eine Dachlawine drohte jeden Moment abzustürzen. Glitzernde Eiszapfen zierten die Dachrinne. Eng nebeneinander, lang und schmal funkelten sie in der Silvesternacht.

      Die Kälte kroch ihr den Nacken hoch. Sie schüttelte sich und überquerte die Straße, um wenig später die Kirche zu betreten. Was für ein schöner Jahresabschluss, dachte sie mit Blick auf den wunderbaren Altar, der von zwei prachtvoll geschmückten Weihnachtsbäumen flankiert wurde. Sie kannte niemanden der großen Gemeinde, was sie reizvoll fand und sie wieder zum Grinsen zwang.

      Sie schloss kurz die Augen. Das Lied »Großer Gott, wir loben dich« erklang. Der Organist an der Orgel gab alles. Der Herr rechts neben ihr in seinem grünen Lodenmantel roch nach Eukalyptus und fing nun an zu husten. Eine Erkältung hätte Eleonore gerade noch gefehlt. Warm war es hier drinnen auch nicht. Sie bekam schon kalte Füße. Ob sie doch lieber bei den anderen hätte bleiben sollen?

      Waltraud hatte sich heute Morgen im Edeka-Markt mit neuen Zeitschriften eingedeckt. Im Moment sehnte sich Eleonore danach, mit einer Wolldecke um ihre empfindlichen Beine gewickelt in einem Sessel zu sitzen und in den Zeitschriften zu blättern, obwohl sie ansonsten kein gutes Haar an der Regenbogenpresse ließ. Sie sah ihren Thomas vor sich, wie er mit Wonne Walnüsse knackte. Eigens für ihn hatte sie zwei Pfund im Preis reduzierte Nüsse aus dem Markt mitgenommen. Margareta saß bestimmt mit ihrem Laptop auf dem Sofa, die Beine unter ihren Allerwertesten geklemmt, und klickte durch ihre ach so wichtigen Fälle. Dabei schaute sie gelegentlich auf den TV-Bildschirm, um ja keinen Silvesterklassiker zu versäumen: »Dinner for one« oder Ekel Alfred, der sich total hacke Punsch kochte.

      Der gewichtige Pfarrer begrüßte die große Gemeinde. Pfarrer Ansgar Morgenrot gefiel ihr besser.

      Die Predigt zog sich wie Kaugummi. Immer wieder wurden Lieder gesungen, der Chor kam zum Einsatz und Passagen aus der Bibel wurden vorgelesen.

      Nach fast zwei Stunden hatte sie keine Lust mehr, fühlte sich unwohl und durchgefroren. Fritz war sie hier keinen Zentimeter gedanklich nähergekommen. Ob sie die heilige Stätte verlassen und Thomas anrufen sollte, dass er sie abholen möge? Keine gute Idee, fand sie. Er würde ausrasten.

      Endlich erklangen die Glocken, die den Schluss der Messe verkündeten. Eleonore freute sich. Nun aber heim an den warmen Kaminofen.

      4.

      Lothar Voss-Grobe sah sich die Fotos, die er von seinem abgebrannten Stall gemacht hatte, noch einmal genau an, eines nach dem anderen. Seufzend griff er sich mit der rechten Hand in die dunklen Locken. Dann schlug er den Ordner, der vor ihm lag, auf und holte die Zeitungsberichte heraus, um sie erneut zu lesen. Ebenso die Briefe von der Versicherung. Ein gutes halbes Jahr war der Brand jetzt her. Er schaufelte den Kartoffelsalat und die Würstchen, die Mahlzeit, die Ellen ihm hingestellt hatte, in sich hinein. Dazu gönnte er sich ein kühles Bier. Mit seiner Familie im Esszimmer am schön gedeckten Tisch neben dem voluminösen Tannenbaum zu essen, dazu verspürte er keine Lust. Er hörte sie lachen, seine drei erwachsenen Töchter, deren Partner, und dazwischen die ruhige Stimme seiner Frau. Seine Mutter Brigitte, die das kleine Haus auf der Anhöhe hinter dem Hof bewohnte, hatte ihm soeben telefonisch mitgeteilt, dass sie sich auf den Weg zur Kirche machen wollte. Er schaute aus dem Küchenfenster. Dichtes Schneetreiben, einige Flocken blieben an der Scheibe kleben. Bei dem Wetter jagte man keinen Hund vor die Tür, dachte er. Aber er musste gleich in den kalten Stall zum Melken.

      Der Zeitungsbericht der »Westfalenpost« für Schmallenberg verursachte ihm noch immer eine Gänsehaut. Zum Glück waren alle seine Tiere gerettet worden. Noch bevor die Feuerwehr vor Ort gewesen war, hatten die hilfsbereiten Nachbarn Milchkühe, Kälbchen und Kaninchen aus den Ställen gebracht und sie mit Hängern abtransportiert, um sie auf Höfen in der Umgebung unterzubringen. Das Übergreifen des Feuers auf das Wohnhaus hatte verhindert werden können. Der Stall jedoch war lichterloh niedergebrannt. Nur ein Gerippe war übrig geblieben. Der Regen hatte die Löscharbeiten erleichtert. Brandursache war ein Blitzeinschlag.

      Eigentlich sollte Lothar glücklich sein, dass weder Mensch noch Tier Schaden genommen hatten und das Wohnhaus unversehrt war. Die Versicherung hatte gezahlt, doch die Summe reichte nicht aus, um alles wieder so aufzubauen, wie es vorher gewesen war. Ein weiterer Kredit musste her. Schon vor dem Brand hatte es nicht besonders gut um den Hof gestanden, was Lothar sich nicht hatte eingestehen wollen. Die neue Melkanlage war teurer geworden als geplant und musste nachfinanziert werden. Darüber hinaus waren die beiden letzten Sommer viel zu trocken gewesen, sodass noch viel Winter am Ende des Futters übrig war. Kühe waren keine Kostverächter. 50 Kilo Futter pro Tag und Tier und 80 Liter Wasser dazu. Milchkühe zu füttern hatte zur Folge, nicht in kleinen Dimensionen zu denken. 50 hungrige Kühe im Stall bedeuteten, tief in die Tasche zu greifen, wenn man Futter kaufen musste. Also produzierten die Landwirte das Futter selbst. Reichlich Felder, um welches anzubauen, gehörten zum Besitz des Bauern Lothar Voss-Grobe. Leider hatte es in den letzten zwei Jahren dieses gravierende Problem gegeben: das Wetter! Die wahnsinnigen Dürren hatten seine Planung zusammenbrechen lassen. Lothar hatte sich von etlichen Kühen getrennt, was zwar eine kurzzeitige Einnahme bedeutet hatte, jedoch letztendlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen war. Weniger Kühe, weniger Milch, weniger Geld von der Molkerei, mit der er seit Monaten im Clinch lag. Alle zwei Tage wurden 1.700 Liter Milch von der Molkerei abgeholt. 31 Cent bekam er pro Liter. Das war nicht die Welt. Und die Kälbchen, die in regelmäßigen Abständen geboren wurden,