Fröhliches Morden überall. Margit Kruse. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Margit Kruse
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839269107
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wahrhaben. Sollte er wie seine Frau Ellen den Kopf in den Sand stecken und hoffen, dass alles gut werden würde? Oder war es eher so, dass sie diejenige war, die einen kühlen Kopf behielt, wie so oft? Ellen, sein ruhender Pol!

      Die einzige und einfachste Lösung, die er sah, war eine Finanzspritze seiner Mutter Brigitte, mit der er eigentlich ein gutes Verhältnis hatte. Eine gut aussehende, taffe Frau von 75 Jahren, die mit beiden Beinen im Leben stand und äußerst klug war. Deshalb konnte Lothar sie nicht verstehen. Seit fast einem Jahr führte er unendliche Diskussionen mit ihr. Die alte Frau blieb jedoch hart und unerbittlich. Lothar, der große Hitzkopf, war oft kurz davor, sie kräftig an den Schultern zu packen und durchzuschütteln oder ihren Schal, den sie zu Hause ständig um den Hals trug, ordentlich strammzuziehen. Sie hatte vor fünf Jahren von ihrer Tante eine stattliche Summe und zwei Immobilen geerbt, eine davon lag direkt am Bodensee. Sybille war nicht ihre richtige Tante gewesen. Aber da sie kinderlos geblieben war, hatte seine Mutter die nicht vorhandene Tochter ersetzt. Schon als junges Mädchen hatte Brigitte viel Zeit bei der Frau verbracht und das auch beibehalten, als sie geheiratet und Kinder zur Welt gebracht hatte. Lothar hatte diese knochige, äußert geizige Sybille gehasst.

      Als vor drei Jahren Lothars Vater verstarb und der Hof endlich auch auf dem Papier an den Sohn ging – seine Schwester war in jungen Jahren verstorben –, hatte Brigitte ihm unmissverständlich klargemacht, dass das Erbe ihrer Tante einzig und allein ihr gehörte. Lothar war davon überzeugt, dass es Mittel und Wege gab, um an dem Geldsegen teilhaben zu können. Er scheute jedoch den Gang zum Anwalt und hoffte immer noch, dass seine Mutter zur Vernunft kommen würde. Obwohl sie ihm, als er ihr vermittelt hatte, dass es schlecht um den Hof stand, kein Geld geben, nicht einmal leihen wollte. Sie war stur geblieben, hatte sich stattdessen erst einmal einen neuen Golf gekauft. Sie strotzte nur so vor Gesundheit und lebte mit Sicherheit noch lange, was Lothar ihr ja gönnte. Doch ihr fettes Erbe, wenigstens ein Teil davon, würde dem Hof guttun. Wie er sie kannte, hatte sie im Testament eine seiner Töchter bedacht, er würde nur seinen Pflichtteil bekommen. Das war besser als nichts, sagte er sich. Wieso blieb sie nur so stur? Ihr müsste doch auch am Erhalt des Hofes gelegen sein. Der Hof war seit Generationen im Familienbesitz.

      Er brauchte eine Finanzspritze, so viel stand fest. Und zwar bald, sehr bald! Möglichst gestern. Er war froh, dass die Weihnachtstage vorbei waren. Diese Schöntuerei, diese Rennerei für nichts. Mutter Brigitte war mit ihrer Cousine Klara aus Meschede bei ihm aufgekreuzt und hatte sich an beiden Tagen durchgefressen. Ellen war mit hochrotem Kopf durch die Gegend gehetzt, um köstliche Mahlzeiten auf den Tisch zu bringen. Die Grazien hatten die Kinder samt Partner, Ellen und ihn mehr als großzügig beschenkt. Seine Töchter hatten richtig abkassiert und obendrauf noch je 500 Euro von der Oma bekommen, die sie natürlich gut gebrauchen konnten. Dagegen waren seine 200 Penunzen nichts. Die retteten den Hof nicht. Okay, ein Schlafanzug von Tchibo hatte für ihn noch unter dem Tannenbaum gelegen. Blau mit breiten weißen Streifen. Darin würde er wie ein Trottel aussehen. War sie denn so blind? Oder gar blöd? Er glaubte eher an Letzteres. Oder wollte sie die Tatsachen nicht sehen? Oder ihn ärgern?

      Am Heiligen Abend hatte sie sich morgens einen Streit mit Michael Vogt geliefert. Er fuhr gelegentlich den Molkereiwagen, der Lothars Milch abholte. Eigentlich ein verträglicher Zeitgenosse, dieser Michael. Er lebte in Bödefeld und betrieb eine kleine Landwirtschaft im Nebenerwerb. Ein großer stabiler Kerl von 1,90 Meter und mindestens drei Zentner Lebendgewicht. Seine Ländereien grenzten am Voss-Grobe-Anwesen, an einem Stück Land, das Mutter Brigitte gehörte und nicht genutzt wurde, weil sie sich nicht entscheiden konnte.

      Michael würde es ihr gerne abkaufen, um das Land für seine Pferde zu nutzen. Jahrelang schon war er scharf darauf. Er wollte eine Reitbahn anlegen, das war sein Traum und würde ihm zusätzliche Einnahmen bringen. Wie oft hatte er sich in der gemeinsamen Stammkneipe an Lothar gewandt, der nur mit den Schultern zuckte. In der Sache waren ihm die Hände gebunden. Dieses Stückchen Erde gehörte seiner Mutter. Weshalb das so war, wusste er nicht.

      Michael, als hartnäckig bekannt, hatte am Morgen des Heiligabends wegen dieser Angelegenheit erneut Brigitte aufgesucht und mit einem Korb voller Leckereien wie Dauerwürste, Kuchen und Brot vor ihrer Tür gestanden. Sie hatte den Braten sofort gerochen, ihm, bevor er loslegen konnte, den Wind aus den Segeln genommen und ihm klargemacht, dass sie ihr Land nie verkaufen würde. An ihn schon gar nicht. Sie mochte die gesamte Vogt-Familie nicht. Mit Michaels Frau saß sie im Vorstand der ortsansässigen kfd (Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands) und hatte sich schon einige Male heftig mit ihr wegen Kleinigkeiten gestritten. Zum Beispiel darüber, wer zu welcher Veranstaltung welchen Kuchen backte und wer Kaffee und Zucker spendete.

      »Nur über meine Leiche«, hatte sie ihm hinterhergerufen, als sie sein Körbchen im hohen Bogen über das vereiste Treppengeländer warf.

      »Wenn es so nicht geht, dann eben anders«, hatte Michael wütend gekontert und seine Habseligkeiten aufgesammelt. »Wenn sie das Zeitliche segnet, verkauft Lothar mir das Stück Land«, hatte er vor sich hingemurmelt, sich eine eiskalte Mettwurst in den Hals gestopft und war vom Hof gebraust.

      Lothar, der den Streit vom Stalltor aus mitbekommen hatte, hatte nur gelacht. Noch einer, dem sie im Weg war, hatte er gedacht und war zurück zu seinen Tieren gegangen.

      Lothar nahm an, dass der Ärger, den er mit der Molkerei hatte, dieser Sache geschuldet war. Zwei Überweisungen für Milchlieferungen waren überfällig, und nichts tat sich. Schon mehrmals hatte er wegen der Sache mit der ansonsten netten Dame telefoniert. Ein Komplott, dachte er, nichts anderes. Alle hatten sich gegen ihn verschworen.

      Er schaute ein weiteres Mal aus dem Küchenfenster. Die Außenbeleuchtung an dem Häuschen der Mutter ging an. Sie hangelte sich vorsichtig die Treppe hinunter. Wenn sie doch danebentreten und die Stufen, wenn auch nur acht an der Zahl, hinunterstürzen würde. Sie könnte sich den Halswirbel brechen. Der Hof wäre gerettet. Doch sie kam unbeschadet unten an. Da lief sie, mitten hinein ins Schneegestöber. Mit ihrem alten blauen Thermomantel, die rote Mütze tief ins Gesicht gezogen. Vor dem Gottesdienst wollte sie sich noch mit ihren Freundinnen auf ein Gläschen im Hotel Albers treffen. Hoffentlich blieb ihr der Pfirsichlikör, den sie besonders gerne trank, im Hals stecken. Verbittert holte sich Lothar ein weiteres Bier aus dem Kühlschrank. Und ein frohes neues Jahr würde er ihr auch nicht wünschen, beschloss er. Wozu?

      Einen solchen Wunsch bekam er soeben als Kurznachricht auf sein Handy. Der Metzger Clemens Vollmer wünschte ihm einen guten Rutsch. Lothar musste lächeln. Dass der junge rothaarige und sommersprossige Metzger sich überhaupt noch meldete, war ein Wunder. Auch da hatte Brigitte ihre Griffel im Spiel. Okay, Clemens war nicht ohne, sehr aufbrausend und rachsüchtig, man musste ihn mit Samthandschuhen anfassen. Er hatte es jedoch weit gebracht, besaß zwei Metzgereien, vor Ort und in einem Nachbarort, die er seinem viel zu früh verstorbenen Vater zu verdanken hatte. Lothar war auf ihn angewiesen und konnte sich letztendlich immer mit ihm einigen, was die Fleischpreise betraf. Außerdem mochte er ihn und hielt sich gerne in seinem Hauptgeschäft hier am Ort auf. Clemens bot wunderbares Fleisch und sehr schmackhafte Wurst an. Lothar liebte den Geruch von geräucherten Würsten. Da gab es nichts, der Kerl verstand sein Handwerk.

      Wenn nur Brigitte nicht überall mitmischen und Unfrieden und Zwietracht säen würde. Gern steckte sie ihre Nase in Lothars Geschäfte, obwohl diese sie einen feuchten Kehricht angingen. Erst kürzlich hatte sie ihm beinahe den Deal mit Clemens verdorben. Der Preis für die Kuh und das Kalb, die Lothar dem Metzger überlassen wollte, war längst ausgehandelt, als Brigitte in den Laden gestürmt war, den Chef sprechen wollte, und vor versammelter Kundschaft angefangen hatte, den Preis in die Höhe zu treiben. 20 Cent müsse er pro Kilo drauflegen, hatte sie verlangt, war zu guter Letzt sogar pampig geworden und hatte dem Brummer von Metzger mit ihrem Stockschirm um die Nase herumgewedelt. Clemens hatte sie daraufhin aus dem Laden geschmissen, sich in seinen Daimler gesetzt und war mit quietschenden Reifen auf den Voss-Grobe-Hof gefahren, um dem Bauern den Kopf zu waschen.

      Lothar seufzte. Wenn er nur daran dachte, wurde ihm übel. Das Ende vom Lied war gewesen, dass er mit dem Preis, der schon fest vereinbart war, heruntergehen musste. Erwürgen hätte er sie können. Seine eigene Mutter.

      Unter Garantie hatte er die Differenzen mit der Molkerei auch Brigitte zu verdanken. Wer weiß, was da noch alles zwischen Michael