Irrlichter und Spöckenkieker. Helga Licher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Helga Licher
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783967526691
Скачать книгу
und es kam der Tag, an dem Laas Klassen in Oldsum auftauchte.

      Er kam vom Festland und hatte die Aussicht, bei einem Fuhrunternehmer im Ort eine Anstellung zu bekommen. Laas war ein fülliger, junger Mann mit einem runden, freundlichen Gesicht. Er war von der Knudtsen-Tochter sehr angetan und umwarb sie nach allen Regeln der Kunst. Rieke zierte sich zunächst ein wenig, doch schließlich fand sie Gefallen an dem Burschen vom Festland.

      Während dieser Zeit blühte das Mädchen förmlich auf.

      Der Bauer registrierte die Veränderung seiner Tochter argwöhnisch und machte der Bäuerin heftige Vorwürfe.

      »Du wirst dafür sorgen, dass sie diese Liebschaft beendet«, befahl er und sah Meta böse an. »Rieke wird einen Bauern heiraten, der unseren Hof übernehmen kann und nicht diesen Tagelöhner. Außerdem dulde ich es nicht, dass meine Tochter in diesem aufreizenden Gewand herumläuft!«

      Meta kannte ihren Mann nur zu gut. Ein Gespräch mit Rieke war unumgänglich …

      Als aber dann Laas eines Tages auf dem Knudtsenhof erschien und um Riekes Hand anhielt, konnte auch Meta die Katastrophe nicht mehr verhindern.

      Der Bauer tobte und warf den Bewerber kurzerhand vom Hof.

      »Dieser Erbschleicher wird meine Tochter nie heiraten, er soll verschwinden«, schrie er und rannte wutentbrannt aus dem Haus.

      Als er Stunden später zurückkam, hatte sich nicht nur seine Laune, sondern auch seine Einstellung dem Klassen-Sohn gegenüber geändert.

      In einem vertrauten Gespräch mit dem Schuster Nansen hatte Ole Knudtsen erfahren, dass Laas Klassen, zwar kein Bauernsohn aber durchaus eine »gute Partie« war. Sein Vater war der Inhaber einer großen Spedition auf dem Festland und Laas sein einziger Erbe. Auf Wunsch des Seniors sollte Laas sich in anderen Unternehmen mal den »Wind um die Nase« wehen lassen und Erfahrungen in seinem Beruf sammeln.

      In Oldsum wurde Oles Sinneswandel nur belächelt. Jeder wusste, was den Bauern dazu bewogen hatte.

      Die prunkvolle Hochzeit der Knudtsen-Tochter mit dem Spross der Klassen-Dynastie wurde an einem Sonntag im September gefeiert.

      Rieke verbrachte zwar immer noch sehr viel Zeit in der Kirche und auf dem Friedhof, aber die Liebe ihres Mannes

      tat ihr gut, das spürte Meta.

      Nur dem aufmerksamen Beobachter wäre zu diesem Zeitpunkt aufgefallen, dass Riekes Fröhlichkeit allmählich einer tiefen Nachdenklichkeit gewichen war.

       3

      Auf dem Knudtsenhof begann die Weidesaison.

      Das Milchvieh wurde auf die umliegenden Weiden getrieben, und Meta bestellte ihren Gemüsegarten.

      Meta und Rieke saßen auf der Bank unter der alten Buche und schauten Stine beim Spielen zu.

      Die Bäuerin genoss es, die kleine Stine aufwachsen zu sehen.

      »Kinder werden so schnell groß«, stellte sie fest und fuhr fort: »Bald wird sie laufen können, du wirst sehen.«

      Vorsichtig versuchte Stine einige bunte Bauklötze zu einem Turm aufzustapeln. Immer wieder griff sie mit ihren winzigen Händen nach den Steinen und jauchzte laut, wenn der Turm zusammenfiel.

      »Siehst du die kleine, senkrechte Falte auf ihrer Stirn?«, fragte Meta und schaute ihre Enkelin prüfend an.

      »Stine sieht dir sehr ähnlich, besonders wenn sie lacht«, fuhr Meta fort. »Sie ist viel weiter entwickelt als andere Kinder ihres Alters. Es wird nicht mehr lange dauern, dann spricht sie die ersten Worte.«

      Die Bäuerin wandte sich lächelnd an ihre Tochter.

      Doch Riekes Augen glänzten fiebrig und ihre Hände waren zum Gebet gefaltet.

      Als Meta sie noch einmal ansprach, erschrak sie heftig und sprang verwirrt auf. Hastig riss sie die kleine Stine an sich und lief ins Haus.

      Meta beobachtete das Verhalten ihrer Tochter mit Entsetzen. Es war ihr nicht entgangen, dass Rieke sehr nervös reagierte, wenn man sie unvermittelt ansprach. Manchmal schien sie mit ihren Gedanken in einer anderen Welt zu sein. Aber da die kleine Stine ein sehr lebhaftes Kind war, und Rieke ihre Mutterpflichten stets gewissenhaft erfüllte, verdrängt Meta ihre Bedenken und erklärte Riekes seltsames Verhalten mit der ganz normalen Überforderung einer jungen Mutter.

      Laas Klassen hatte sich in dem kleinen Fuhrbetrieb schnell unentbehrlich gemacht. Er verbrachte immer weniger Zeit zu Hause. Überstunden waren an der Tagesordnung, und so bemerkte er viel zu spät, dass seine Frau immer eigenbrötlerischer wurde und ihren Pflichten als Hausfrau und Mutter irgendwann nur noch sporadisch nachkam. Rieke begann von Erscheinungen zu sprechen und verschwand manchmal stundenlang, ohne dass jemand wusste, wo sie war. Laas ertrug geduldig das seltsame Verhalten seiner Frau. Pflichtbewusst versorgte er in seiner knapp bemessenen Freizeit seine Tochter Stine. Doch Meta sah mit großer Sorge, wie Rieke sich immer weiter von ihrer Familie entfernte und sich irgendwann kaum noch um ihren Mann und ihr Töchterchen kümmerte. Die Oldsumer beobachteten das sonderbare Verhalten der Rieke Klassen argwöhnisch. Einige lachten, andere zeigten mit dem Finger auf sie.

      »Rieke spinnt, das hat sie von ihrer Mutter. So was vererbt sich, würde mich nicht wundern, wenn die lütte Stine auch schon einen Spleen weg hat«, sagte der alte Hinrichsen am Stammtisch hinter vorgehaltener Hand.

      »Ich habe sie neulich an der alten Mühle gesehen. Sie hatte keine Schuhe an. Mit bloßen Füßen hüpfte sie in den Wasserpfützen herum.« Die Kellnerin aus dem Krog war entsetzt.

      Ole tat zwar so, als ob er die Sticheleien der Oldsumer nicht wahrnahm, aber das Gerede seiner Stammtischbrüder verletzte ihn sehr.

      Immer wieder versuchte Meta mit ihrer Tochter zu sprechen, um ihr einen Umzug aufs Festland nahe zu legen, doch Rieke wich stets aus.

      »Warum willst du nicht einsehen, dass es für euch das Beste ist? Deine Schwiegereltern wären froh, wenn sie durch euch entlastet würden. Laas kann im Geschäft seiner Eltern arbeiten und du kümmerst dich um Stine«, hatte Meta gefleht. Rieke jedoch hatte trotzig den Kopf geschüttelt und sich jede Einmischung in ihr Leben verbeten.

      Vielleicht wäre dieser Umzug eine Lösung gewesen, und die kleine Familie hätte in einer Umgebung, wo niemand Rieke Klassen kannte, endlich Ruhe gefunden. Doch Meta ahnte zu diesem Zeitpunkt bereits innerlich, dass sie das Schicksal nicht mehr aufhalten konnte.

      Zunächst versuchte die Bäuerin ihre Sorgen und Befürchtungen vor Ole zu verheimlichen. Doch es dauerte nicht lange, da traf der Bauer seine Tochter Rieke alleine am Dorfteich an. Sie stand mit den Füßen im Wasser und sprach laut vor sich hin. Den wirren Blick ihrer Augen sollte der Bauer sein Leben lang nicht mehr vergessen.

      Noch am gleichen Abend holte Ole Knudtsen die kleine Stine auf seinen Hof.

      In den ersten Wochen besuchte Laas Klassen seine Tochter regelmäßig, doch mit der Zeit sah man ihn häufiger im Wirtshaus als auf dem Knudtsenhof. Rieke wurde noch einige Male am Dorfteich und auf dem Friedhof in Süderende gesehen, dann verlor sich vorerst ihre Spur. Tagelang suchten Ole und Laas nach der jungen Frau, doch diese blieb verschwunden. Laas kehrte Oldsum schließlich den Rücken und ging zu seiner Familie aufs Festland zurück.

      Immer wieder gab es Gerüchte darüber, dass auch Rieke Föhr verlassen hätte und auf der Nachbarinsel Amrum leben würde. Doch Nachforschungen, die Ole zunächst noch anstellte, liefen ins Leere. Als man, an einem düsteren Herbsttag, Rieke Klassens Leiche aus dem Hafenbecken von Wyk zog, war Stine gerade drei Jahre alt geworden. Für Meta brach eine Welt zusammen. Sie fragte sich ununterbrochen, ob sie dieses Unglück, das sie doch vorausahnte, hätte abwenden müssen. Hatte es untrügliche Zeichen gegeben, die sie nicht begriff? Ole begann zu trinken und verbrachte seine Abende kaum noch zu Hause. Auf Fragen und Beileidsbekundungen reagierte er sehr abweisend und aggressiv.

      »Jeder kriegt das, was er verdient«, raunte er, als der Wirt vom Krog ihm sein Bedauern