Noch ein Mord, Mylord. Ralf Kramp. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ralf Kramp
Издательство: Bookwire
Серия: KBV-Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954415748
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zu einer kleinen Bootstour überreden.«

      Das war mir neu, und darüber hinaus war es eine freche Lüge, denn Merridew verabscheute Bootsfahrten.

      »Kein Wort glaube ich Ihnen, Merridew«, knurrte der Mann und kletterte aus dem schwarzen Vanguard. Er zog sich den zerknitterten Schlips zurecht. »Wenn Sie auftauchen, gibt es immer Probleme.«

      »Wirklich nur eine unschuldige, kleine Landpartie. Darf ich vorstellen, Nigel, das ist mein alter Freund Superintendent Roger Smith!«

      »Nee, nee, ich bin raus«, sagte der Mann mit verkniffenem Gesicht. »Schon anderthalb Jahre. Ein Segen, sag ich Ihnen. Ist alles nicht mehr das, was es mal war.«

      »Oho, kein Polizeidienst mehr? Und was tun Sie hier? Im Auto sitzen und aus alter Gewohnheit die Enten observieren?«

      »Kleines Päuschen. Hab ja jetzt viel Zeit.« Smith ließ den Blick über die Autodächer schweifen und den Kopf langsam hin und her gehen. Weder Merridew noch mir entging, dass es hier an diesem Platz sehr wohl etwas oder jemanden zu beobachten gab.

      »Sie recken ja so den Hals. Machen Sie die Schwäne nach?«, fragte Merridew mit einem Kichern.

      Smith trat näher an uns heran und senkte die Stimme. »Hören Sie, Merridew, ich freue mich ja auch, Sie zu sehen. Hätte gar nichts gegen ein gelegentliches Pint im Pub, aber ich muss jetzt leider …« In diesem Moment fuhr er zusammen und riss Augen und Mund in stummem Entsetzen weit auf. Dann entfuhr ihm ein lauter Fluch: »Verdammt und zugenäht, so ein elender Mist!«

      Wir alle sahen ein Auto, das aus der Reihe der parkenden Fahrzeuge zurückgesetzt hatte und jetzt mit aufheulendem Motor an uns vorüberraste. Es war ein türkisfarbener Ford Anglia. Wir alle starrten auf die Personen, die wir im Wageninneren erkennen konnten. Hinter dem Steuer saß unverkennbar der Mann, den ich noch am Vormittag auf dem Hinterhof des Wachsfigurenkabinetts gesehen hatte. Das dunkel karierte Jackett, der Hut, der Schnurrbart, die runde Brille … es gab kaum einen Zweifel.

      Viel größer war jedoch die Überraschung, auf dem Beifahrersitz eine Frau zu sehen, die man hier am allerwenigsten erwartet hätte.

      »Ist sie das?«, rief Merridew. »Ist sie das wirklich, Smith?«

      »Ja, verdammt, es ist sie!«, rief der Ex-Polizist aufgebracht. »Aber sie sollte es nicht sein, verflucht noch mal!«

      Sie war deutlich zu erkennen, da ihr Antlitz nur ein paar Handbreit an uns vorübersauste. Die Haare der jungen Frau waren platinblond, das Gesicht zierlich, mit einer feinen, spitzen Nase, leicht geröteten Wangen und einem lächelnden, halb geöffneten Mund mit kräftig geschminkten Lippen. Die blauen Augen mit den dunkel getuschten Wimpern waren geradeaus gerichtet, und die geschwungenen dunklen Brauen zeugten weder von großer Furcht noch von Wut oder großer Heiterkeit. Sie sah aus, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, dass sie mit diesem Mann mitfuhr.

      »Was macht Marilyn Monroe hier?«, rief ich aufgeregt.

      »Wenn ich das wüsste, verflucht!«, schrie Smith. Der Mann, der so gewirkt hatte, als könnte ihn nichts aus der Ruhe bringen, ruderte aufgeregt mit den Armen. »Los, rein in mein Auto, sonst verlieren wir sie!«

      Und ehe wir’s uns versahen, waren wir schon zu ihm in den schwarzen Vanguard gestiegen. Noch nie hatte ich meinen Freund Merridew so behände auf einen Beifahrersitz klettern sehen. Ich warf mich auf den Rücksitz, und noch ehe ich die Tür richtig geschlossen hatte, raste Smith auch schon los.

      Der Ford war an der Ausfahrt der Parkfläche mit quietschenden Reifen rechts abgebogen und war schon nicht mehr in Sicht.

      Zwei andere Autos waren nun zwischen ihm und unserem Fahrzeug.

      »Die Nummer«, raunzte Smith und griff mit grimmigem Blick um das Lenkrad. »Habt ihr euch die Nummer merken können?«

      »Ich muss ehrlich sagen, dass ich nur Augen für das Wageninnere hatte«, sagte ich zerknirscht.

      »Ich fürchte, ich muss auch passen«, gab Merridew gequält zu. »MF irgendwas.«

      »MF?« Smith schnaubte verärgert. »Nord West London … Hilft uns auch nicht viel weiter. Wir verlieren sie!«

      »Warum ist sie hier?«, fragte Merridew. »Was haben Sie mit ihr zu tun?«

      »Sie dreht nen Film in Iver. Mit Sir Laurence Olivier. Fragen Sie mich nicht was, interessiert mich auch nicht. Irgend so’n Kostüm-Kokolores. Die haben mich beauftragt, nach ihr zu gucken, und ich kann euch verflucht noch mal sagen, dass es leichter ist, nen Eimer voll Aale zu beaufsichtigen!«

      »Reporter und Fans?«

      »Das auch. Aber vor allen Dingen sie selbst! Überdreht und unberechenbar. Mal will sie hier hin und dann plötzlich da hin. Seit ihr Mann vor ein paar Tagen nach Paris abgedampft ist, läuft sie völlig aus dem Ruder.«

      Ich erinnerte mich daran, gelesen zu haben, dass ihr frisch Angetrauter, der amerikanische Dramatiker Arthur Miller, der seit ihrer Ankunft im Juli an ihrer Seite war, zu einer Geschäftsreise aufgebrochen war.

      »Da sind sie!«, rief Merridew, als der Ford nach der nächsten Kurve wieder in Sicht kam. Doch schon wenige Momente später war er bereits wieder verschwunden.

      »Wir verlieren sie!«, wiederholte Smith, schlug wütend auf das Lenkrad und trat das Gaspedal durch. »So ne Schande!«, fluchte er. »So ne verfluchte Schande!«

      »Was wollte sie denn da am Hafen?«, fragte ich.

      »Keine Ahnung. Heute Mittag sagte sie, es ginge ihr nicht gut, hat sich dann von Evans, dem Chauffeur Richtung Parkside House fahren lassen, und dann musste er plötzlich anhalten und sie bei den Booten rauslassen.«

      »Und er ist weitergefahren?«

      »Das kam mir ja gleich komisch vor. Er fuhr weg, und sie ging runter zu den Booten. Da hab ich dann mein Auto abgestellt, und gerade, als ich sie suchen will, tauchen Sie plötzlich auf. Es ist zum Mäusemelken. Ich hab sie nur einen Moment aus den Augen gelassen, und schon is sie weg!«

      »Parkside House in Englefield Green? Sie wohnt bei Lord Garrett Ponsonby Moore?«, fragte Merridew.

      »Er und seine Frau sind ausgezogen und haben alles der Monroe und ihrer Ami-Mischpoke überlassen. Ich hab da auch’n Zimmerchen.«

      Wir ließen die letzten Häuser von Datchet hinter uns und hatten nun eine lange Gerade vor uns, die direkt auf die Brücke über die Themse zu führte. Von dem Ford war weit und breit nichts zu sehen.

      »Wir haben sie verloren!«, kam jetzt nur noch ein schwaches Keuchen von Smith. Er kaute auf der Unterlippe. Und dann glomm offenbar doch noch einmal ein Funke Hoffnung in ihm auf: »Vielleicht ist ja alles halb so wild, und sie macht nur eine ihrer Extratouren. Womöglich lässt sie sich ja von diesem Kerl nach Parkside bringen. Das ist meine einzige Chance. Sonst bin ich den Job los, und das Gespött der alten Jungs ist mir sicher.«

      »Wie weit ist es denn noch?«, fragte ich.

      »Knappe vier Meilen.«

      »Na, dann geben Sie mal Gas«, beschwor ihn Merridew.

      Wir erreichten das hölzerne Tor von Parkside House in rekordverdächtiger Bestzeit. Smith sprang aus dem Wagen und öffnete einen Flügel, sodass wir hineinfahren konnten. Auch hier gab es keine Spur des anderen Wagens. Dafür stand eine große Limousine auf dem Vorplatz, ein auf Hochglanz polierter Austin Princess mit cremefarbener Karosserie, schwarzer Motorhaube und schwarzem Dach.

      Wie der geölte Blitz lief Smith zum Haus hinüber und klingelte Sturm.

      »Es war der Mann vom Parkplatz bei Madame Tussauds.«

      Merridew sah mich überrascht an. »Der Mann, mit dem die Assistentin sprach?«

      »Ja, der Mann hinterm Steuer, das war er. Ich bin mir absolut sicher.«

      »Donnerwetter, das fügt ja schon mal ein paar Sachen zusammen. Aber es ist ein bisschen wie die Geteilte Brücke. So richtig passt das alles noch nicht.«

      Als