Fettie macht 'ne Arschbombe. Martin Arz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Arz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783940839787
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angesichts eidgenössischer Ignoranz. »Kambodschanis!«

      Aus lauter schlechtem Gewissen, weil wir in der Elefantendiskussion nicht viel eher zugunsten von Ry eingeschritten sind, folgen wir am Abend dann doch Rys Restaurantempfehlung, was wir schneller bereuen, als uns lieb ist. Der wittert Morgenluft und unternimmt einen erneuten Anlauf, uns am nächsten Morgen den bislang verschmähten Programmpunkt »Sonnenaufgang um 5 Uhr früh« unterzujubeln. Vergebens. Wir ziehen »Ausschlafen bis 8 Uhr« vor, um für das angeblich unbedingt sehenswerte schwimmende Dorf auf dem Tonle Sap See fit zu sein.

      Ach, was waren wir naiv! Carsten hatte noch am Vorabend beschlossen, auf den Bootstrip zu verzichten, weil er lieber den Alten Markt in Siem Reap erkunden wollte. Dummerweise überredete ich ihn, doch mitzukommen. Malte romantische See-Idyllen mit glücklichen Fischern in bunten Booten aus, bis Carsten ganz heiß auf Bötchenfahren war. Immerhin können wir schon bei der Abfahrt Ry dahingehend weichklopfen, dass wir auf dem See nur die Schnelltour machen, und dann endlich außerplanmäßig den Markt in Siem Reap besuchen, bevor es mittags zum Flieger nach Bangkok geht.

      Doch weshalb der See Eingang in die Programmplanung von Reiseveranstaltern gefunden hat, wird eines der großen Rätsel der Menschheit bleiben. Es kann nur daran liegen, dass es eine Internationale Verschwörung Supersadistischer Reiseroutenplaner (IVSR) gibt. Die haben böse kichernd in ihren Kämmerlein beschlossen, dass man jedem Kambodscha-Touri gehörig den Rest geben muss, indem man Tonle Sap als Attraktion anpreist. Flugs haben sie noch den Verband Lügender Reisebuchautoren (VLR) auf ihre Seite gezogen. Eine andere Erklärung kann es nicht geben. Über eine Buckelpiste nähert man sich dem Gewässer. Der Bus schlingert wie ein Schiff in Seenot auf der unbefestigten Straße, die sich beim näheren Hinsehen als festgebackene Müllkippe entpuppt. Links und rechts ziehen verwahrloste Hundehütten vorbei. Nur dass darin keine Hunde, sondern Menschen hausen. Selbst die kleinen Geisterhäuschen, die wie überall in Südostasien vor den Häusern stehen, sind hier aus alten Blechdosen selbst gebastelt. Wir werden durch den slumigsten Slum, den man sich vorstellen kann, gefahren.

      Als Fernsehjunkie glaubt man, alles schon mal gesehen zu haben. Man kennt das Leben. Elendsviertel in Südamerika schocken natürlich, doch was da am Busfenster vorbeizieht, hat selbst ein Fernsehjunkie wie ich noch nie gesehen. Erbärmlichere Armut ist kaum vorstellbar. Ein kleines Mädchen im schmuddeligen blauen Kleid rennt fast die ganze Zeit neben dem Bus her, winkt verzweifelt und hebt ständig ihren rechten Zeigefinger. Ihr Zeichen für »one dollah«.

      Mitten im tiefsten Slum hält der Bus. Ein brackiges schwarzes Gewässer dümpelt neben der völlig zugemüllten Straße. Wir steigen geschockt aus und wollen sofort zurück in den Bus. Die Luft, die uns empfängt, ist zum Schneiden dick. Es stinkt nach Müllkippe, gemixt mit Kläranlage und Fischfabrik. Auf der Kloake schwimmen zwischen kleinen braunen Klumpen auch bunte Ausflugsboote. Der Weg dorthin gestaltet sich schwierig, weil wir nicht wissen, ob wir da überhaupt hinwollen.

      Clara herrscht ihren Freund an: »Gib mir gefälligst alle Dollar, die du noch hast!«, und betätigt sich wieder als Geldverteilstation. Ein Fass ohne Boden.

      Der Horror steht allen ins Gesicht geschrieben, als unser Ausflugsboot ablegt. Einzig Ry strahlt wie immer fröhlich vor sich hin. Nur wenn er sich unbeobachtet fühlt, hält er sich die Hand vor die Nase. Wir gleiten durch das Brack an heruntergekommenen Hausbooten vorbei. Erst als der Fluss etwas breiter wird, sehen die Boote einen winzigen Hauch gepflegter aus. Ein paar sind sogar bunt bemalt. Doch der Eindruck bleibt, dass wir hier die Perversion von Tourismus erleben. Derartige Armut zu fotografieren, verbietet sich von selbst. Bisher habe ich es nie getan, doch diesmal knipse ich drei oder vier Fotos zur Dokumentation, bis mich Carsten erzürnt anschnauzt: »Hör sofort auf! Hier zu fotografieren ist ja wohl das Allerallerletzte!«

      Die Hausbootbewohner verrichten ihre alltäglichen Arbeiten, waschen Wäsche und Geschirr in der Kloake oder trocknen Fisch auf großen Plattformen am Ufer. Wenn wir diese Plattformen passieren, löst selbst Luftanhalten Brechreiz aus. Diejenigen unter uns, die am Vorabend der grottigen Essensempfehlung von Ry gefolgt waren, leiden besonders. Bei einer der Spezialitäten khmerscher Küche handelte es sich nämlich um Mangosalat mit getrocknetem Fisch. Eine Kombination, die man beim besten Willen nur mit viel Angkor-Bier herunterwürgen konnte. Nun riecht es so, wie es gestern schmeckte.

      Endlich erreichen wir den Tonle Sap See. Die Luft wird frischer, die paar Boote am Ufer sehen relativ gepflegt aus. Es ist auch die Anlegestelle für die Schnellboote von und nach Phnom Penh. Ry hält uns Vorträge über irgendwelche Seeschlachten, die hier stattgefunden haben. Wir hören kaum zu. Erst Wochen später erfahre ich, dass die Attraktion des Tonle Sap Sees angeblich vom Aussterben bedrohte Süßwasserdelfine sind (vom Aussterben bedroht, weil der Kambodschaner gerne mit Dynamit fischt). Wir sehen jedenfalls keine. Das Boot fährt langsam zurück, auf eines der großen, bunt bemalten Hausboote zu, auf denen »Fishing Center« steht. Wir sehen Souvenirramsch blinken und verweigern Ry die Gefolgschaft. Verstört weist er unseren Bootsführer an, zurückzufahren. Auf halber Strecke, mitten im erschütterndsten Kloakensumpf, schlägt Ry dann vor, doch schon mal hier anzulegen, wir könnten ja gemütlich per pedes zum Bus bummeln. Wenn wir wollten. Er meint es ernst. Wir auch. Das Boot legt nicht an.

      Auf der Busfahrt zurück nach Siem Reap halten wir noch mal kurz, um dem Mädchen, das seit einer Ewigkeit flehend neben dem Bus herrennt, ein paar Baht zuzustecken. Und wir formulieren in Gedanken schon mal den Brief an unseren Veranstalter: »Sehr geehrter Herr Meier, Sie sollten Ihre Weltreisen aus den Klauen des IVSR reißen und Ihre Prospekttexte nicht vom VLR schreiben lassen. Richten Sie lieber sinn- und wirkungsvolle Hilfsfonds ein, für die wir gerne spenden. Um uns reichen, verwöhnten, selbstmitleidigen Deutschen mal gehörig die Jammer-Perspektive zurechtzurücken, reicht schon das ganz normale Straßenleben in Siem Reap …«

      Bevor uns das ganz normale Straßenleben in Siem Reap wieder hat, treibt uns Ry gnadenlos in das Handicraft-Center. Erneut vergebens. Keiner kauft was, obwohl das Center durchaus unterstützenswerte, unesco-geförderte Arbeit leistet, indem es junge Kambodschaner zu Kunsthandwerkern ausbildet. Die angebotenen Schnitzereien und Steinmetzarbeiten sind tatsächlich auf hohem Niveau, die Preise allerdings auch. Gerade überlege ich, ob ich einen der khmer-typischen, milde lächelnden Buddhaköpfe aus Holz erstehen soll. Doch noch bevor ich mich entscheiden kann, scheucht uns Ry schon wieder in den Bus. Schnell unseren Wunsch abhaken und den alten Markt Psah Chas besuchen.

      Endlich. Hier finden wir letztlich alles, was unser Herz bisher vergeblich suchte und begehrte: Atmo, Kontakt zur Bevölkerung und jede Menge Asia-Ramsch. Wir scheißen auf die halbe Stunde Zeit und verzichten auf die gemeinsame Busfahrt zum Hotel. Ein Tuktuk wird uns rechtzeitig zurückbringen. Tuktuks, jene legendären zweisitzigen Rikschas, die ihren lautmalerischen Namen den röhrenden Mopedmotoren verdanken, mit denen sie durch die Straßen jagen, sind in Kambodscha die gängigste Form des öffentlichen Personennahverkehrs.

      »Aber der Shuttle zum Flughafen geht pünktlich um zwölf«, kreischt die Schweizerin panisch und sieht sich schon wegen uns den Flieger verpassen.

      »Ja und? Es ist noch nicht mal elf!« Wir verlassen unsere Pauschalfreunde und hetzen zum Shoppen, stinksauer darüber, dass man uns diesen Markt fast vorenthalten hätte. Mittlerweile ohne einen Dollar oder Baht in der Tasche. Angeblich, so wurde uns eingebläut, kann man nirgends mit Euro zahlen. Angeblich! Carsten ersteht endlich seine heiß ersehnte, riesengroße Vishnufigur aus Bronze, ich kralle mir einen Buddhakopf aus blaugeädertem Marmor. Natürlich nehmen die Händler mit Kusshand Euro. Okay, ich weiß mittlerweile, dass es eigentlich kein Buddhakopf ist, sondern das meditativ-entrückte Antlitz König Jayavarmans VII. (ca. 1125 bis 1219), das einem in Kambodscha wie eine Pop-Ikone überall friedfertig entgegenlächelt. Allein die Auffahrt zu unserem Hotel wird von vier überdimensionalen Jayavarmännern aus Beton geschmückt.

      Selig schleppen wir unsere tonnenschweren Souvenirs zum nächsten Tuktuk. Ich begehe unterwegs den Fehler, mein letztes Kleingeld einer Bettlerin zu geben, schon sind wir von verzweifelten Dollah-Kreischern umgeben – zerfetzte Gliedmaßen, handlose Arme recken sich bittend nach vorne, augenlose Gesichter flennen. Uns bleibt nur, dem Tuktuk-Fahrer »Go! Go! Go!« zuzubrüllen.

      Bangkok

      Kaum aus Siem Reap in Bangkok gelandet, löst